Originaltitel: Kameradschaft. Film einer Bergwekskatastrophe 1931; 89 min.; Regie: G. W. (Georg Wilhelm) Pabst; Darsteller: Ernst Busch, Alexander Granach, Fritz Kampers, Elisabeth Wendt, Gustav Püttjer, Daniel Mendaille, Georges Charlia, Alex Bernard, Héléna Manson, Andée Ducret; Nero-Tobis-Klangfilm.
1919. Beiderseits der deutsch-französischen Grenze Bergwerke. Über Tag durch Grenzwache, im Stollen durch ein Eisengitter geschieden. Explosion auf der französischen Seite. Die deutsche Rettungsmannschaft eilt den französischen Kameraden zu Hilfe. Drei deutsche Bergleute überschreiten auf eigene Faust die unterirdische Grenze. Dann Verbrüderung der Bergleute beider Nationalitäten, während in der Grube das Grenzgitter wieder aufgerichtet wird.
Zusammenfassung
12. Mänz 1906 ereignete sich die größte Bergwerkskatastrophe aller Zeiten. das Grubenunglück von Courrières, bei dem über 1200 französische Bergleute verschüttet wurden. Damals eilten deutsche Kumpels den französischen Kameraden zu Hilfe und fuhren unerschrocken in die totgeweihten Schächte ein. Diesen heldenhaften Bergleuten ist der Film „Kameradschaft“ gewidmet. Regie führte G. W. Pabst. Der Regisseur ging in Wahrung des Lokalkolorits so weit, daß er die deutschen Bergleute durch deutsche und die französischen durch französische Schauspieler verkörpern ließ.
Grenzen zwischen den Völkern, gläserne Wände, fiktive Mauern, die die Natur nicht kennt, sie aufzuzeigen durch die Einheit der Grundelemente des Lebens, die Identität gleicher Arbeit diesseits und jenseits der Grenze – dieses Thema hat sich die Nero in ihrem neuen G. W.-Pabst-Film „Kameradschaft“ gestellt.
Fiktive Mauern: Denn, wenn das Flugzeug über die Lande zieht, bleiben Wälder Wälder und Wiesen Wiesen, bleibt das Land und das Wasser sich gleich, diesseits und jenseits der Pfähle, die Menschenhand sich selbst als Schranke gesetzt hat.
Und auch die Sprache bleibt nur äußerer Unterschied, die primitive Empfindung, die ihr zugrunde liegt, und der gefühlsmäßige Ausdruck sind die gleichen. Der eine sagt: mère, der andere: Mutter, aber sie meinen das gleiche.
Bewußt stellt Pabst den Arbeiter in den Mittelpunkt seines Films, den Bergarbeiter, der südlich der Grenzpfähle: „la fosse“ und nördlich „die Grube“ sagt, aber beide Male das gleiche meint: Die Kohlenflöze, Hunderte von Metern unter der Erde, die er abzubauen hilft, die Grube, den Ort der Arbeit.
Und auch die Kohle kennt keine Grenzen, wenn sie sich, klafterstark unter der Oberfläche kilometerweit in der Erdkruste hinzieht, Kohle bleibt Kohle, Arbeitende an ihr bleiben Arbeitende, rechts und links, nördlich und südlich, überall, wo es Kohle gibt.
Hier hinein stellt Pabst seinen Film. Hier heraus entwickelt er die Idee der Arbeitsverbundenheit, die, politische Grenzen elementar durchbrechend, wenn die Not es erfordert, aus gemeinsamem Erleben eine Gemeinschaft schmiedet.
An das Bergwerksunglück von Courrières. dem im Jahre 1908 1400 französische Bergleute zum Opfer fielen, leimt sich die Handlung des Films an, steigert sie aber im Symbolischen: In den Bergwerken an der Grenze liegen französische auf der einen, deutsche Bergleute auf der anderen Seite vor der Kohle. In der französischen Grube geschieht ein Unglück, und in den Deutschen brennt der Gedanke auf, nur an die Bergleute, die in Not im brennenden Stollen sind, nur an Frauen und Kinder von Bergleuten, die verloren sind, wenn nicht die Nächsten, die helfen können, zur Rettung eilen. Und die Nächsten, das sind die Deutschen. Minuten sind kostbar, bedeuten da Rettung oder Verderben, und die Scharen der Deutschen, die nicht warten wollen, bis politische Formalitäten an der Grenze erledigt sind, durchbrechen diese Grenze, eilen zur Hilfe.
Wie über der Erde, so 800 Meter unter der Erde, wo ein Gitter die Stollen zerteilt; wie oben die Rettungskolonne die politische Grenze überrennt, so zersägen im Berg die Kumpel das Gitter, um helfen zu können.
Und das Symbolische steigert Pabst noch weiter, wenn der vom grausigen Erleben halb ohnmächtige Franzose schon fast rettungslos verloren in dem mit Gas gefüllten Stollen liegt.
Da naht rufend, durch Nebel und Wasser, ein mit einer Gasmaske geschützter deutscher Bergmann, der den französischen Kameraden findet. Der Franzose, vom Wahn befallen, erblickt die Gasmaske, hört die deutsche Sprache und glaubt im Kriege zu sein, da er gegen diese Sprache vor wenigen Jahren kämpfen mußte, erst mit Gewalt kann der Retter den fast irren Kameraden, der ihn angreift, bändigen, und dem Leben wiedergeben.
Und Pabst zeigt einen Weg, den einzigen Weg der Vernunft, wenn er später, als die Franzosen ihre deutschen Kameraden, die die bei der Rettung verwundeten Deutschen zur Grenze zurückbegleiten, fragen läßt: „Warum können wir nur Zusammenhalten, wenn es uns dreckig geht, warum nicht auch sonst?“ Und er zeigt die Narrheit politischer Struktur, wenn er zur gleichen Zeit das Gitter im Stollen wieder aufrichten läßt, im Beisein von Behörden und Militär.
„Die Bedeutung des Films“, so formuliert es Pabst, „liegt im Ethischen und nicht im Ästethischen.“
Dies verlangt, daß der Film sich mit Problemen beschäftigen muß, mit denen der Alltag sich beschäftigen wird.
Noch ist der Versuch einer Zollunion zweier Staaten mißglückt, mußte mißglücken, und um so mehr hat der Film den Wert, den.eine Kunstform bestenfalls zu erreichen vermag: Der Entwicklung voranzugehen, sie anzubahnen.
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #271, 11/19/1931):
Im rechten Augenblick ist dieser Film entstanden:
An einem Zeitpunkt, da die Grenztrennungen der europäischen Nationen stabilisiert werden sollen offenbaren seine Bildfolgen die Nachbarverbundenheit der Völker.
Not überrennt künstliche Barrieren –, so lehrte jenes Bergwerk-Unglück von Courrières, das deutsche Kumpels als Retter in ersoffenen französischen Gruben sah.
Im rechten Augenblick: Zu lange haben wir nur maschinelles in Filmdingen konstatieren können; Fortschritte der Form, Vervollkommnung im Technischen.
Diesmal geht es um den Gehalt, die geistige Stellungnahme. G. W. Pabst hat sich, man erwartete nichts anderes von ihm, der entfesselten optisch-akustischen Wirkungen um der Zielsetzung willen bedient.
Im rechten Augenblick.
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„Kameradschaft” zwischen französischen und deutschen Grubenarbeitern wird demonstriert. Der Weg ist nicht ohne weiteres frei; zumal in den Randländern, wo Mißverständnisse sich häufen.
So der Auftakt: keimende Feindseligkeit zwischen murmelspielenden Jungens. – Die Grenzabriegelung. – Nicht zuletzt die Schwierigkeiten sprachlicher Verständigung, gezeigt an der Invasion dreier Deutscher bei einem französischen Arbeiterball. –
Noch in Momenten der Gefahr, wenn während der Grubenkatastrophe die deutschen Kumpels helfend eingreifen, gibt’s einen Rückfall. Die Schutzmarke des Retters wird dem Franzosen zur Gasmaske; Kriegsbilder blenden auf, und die Grabenpsychose läßt beide ineinander sich verkrallen.
EIN EUROPA-FILM.
Nichts ist hinzugefügt, nichts verschwiegen. Aber das Trennende wird aufgezeigt, um das Einende zu unterstreichen. Wo immer es an der Grenze brennt, bleiben die Probleme sich gleich: Dieselbe Schichtung in der Verflechtung, dieselbe in der Abriegelung.
Solches weist der Film nach. Zweier Länder Firmen haben sich zu seiner Herstellung zusammengefunden. Unter der Hand des Bildschöpfers wurde aus der Kombination eine Kooperation.
Ein Auftrag wird damit in die Sphäre der ethischen Forderung gehoben. Belichtetes Zelluloid, allzu oft für bloße Unterhaltungszwecke benutzt, zur Ueberkleisterung unleugbarer Gegensätze entwürdigt, wird in den Dienst einer Sache gestellt.
KEIN HOHELIED DER ARBEIT.
Der Ernst der Themenstellung duldet kein Vertuschen. In den ersten Minuten schon werden brachliegende Kokshalden sichtbar. Arbeitslose suchen diesseits der Grenze Beschäftigung.
Da ist nicht Raum für eine verschwommene Symphonie des Werkens. Wenn Millionen feiern müssen, wird den Tätigen die Leistung zur Fron.
In Erdschlünden müssen sie hauern. Ständig im Kampf gegen die mühsam gebändigten Elemente. Jeden Tag vier –, Opfer, die dahinsinken; das ist die Todesstatistik des deutschen Bergarbeiters.
Ein unpathetisches Heldentum ist dieser Beruf. Nicht arbeiten dürfen und die ständig drohenden Grauen unter der Erde sind der gleich unerbittliche Feind.
Eine gemeinsame Sprache sprechen sie. Diesseits und jenseits jeder Barrieren, die sich bis in die Erde erstrecken. Es ist die Sprache der Kumpels, die für die anderen die Kohle, die Energien schaffen.
Ihre Sprache spricht auch dieser Film. Es ist nur konsequent, daß er in einer einzigen Fassung gedreht wurde. Worte sind nichts als Mittel der Verständigung; sie können dort unverdolmetscht bleiben, wo das Bild als Mittler eingreift.
Wie leben Grubenarbeiter –, eine zentrale Frage für einen Bildbericht von solchen Ausmaßen. Knapp wird die Antwort erteilt: die Hausfassaden der Gassen verraten es, durch die das Lastauto mit der deutschen Rettungsmannschaft sich windet, und es ist dieselbe Aermlichkeit auf der anderen Seite; auch die haben keinen Krieg gewonnen.
Von den zermürbenden Sorgen des Alltags künden die Gesichter der Frauen, zeugt Kleidung und Haltung. Das bedarf keiner zusätzlichen Erläuterung.
ENDLICH EINMAL KEINE REPORTAGE.
Wie leicht hätten die Pabstleute es sich machen können! Spielfilm, der alles Sagenswerte dem Wort überläßt . . ., vielleicht auch die Flucht in die feige Sachlichkeit unverbindlich aneinandergehängter Schilderungen; dann wäre das Dokumentarische gerettet gewesen.
Statt dessen haben sie da gestaltet, wo andere sich mit dem Photographieren begnügen. Sie gaben dem Tatsachenbild den Inhalt eigenen Wollens. Und vom Mimischen wurde nur soviel genommen ,als notwendig war, um letztmögliche Verständlichkeit zu erreichen.
Die Akteure werden somit anonym. Sie sind Träger des Schicksals, nicht mehr Meister. Vom Sockel überhöhten Film-Mimentums heruntergeholt sind sie Helfer; das ist Leistung genug.
Alexander Granach, Fritz Kampers, Ernst Busch, Elisabeth Wendt, Gustav Püttjer, Oskar Höcker, die deutschen Bergleute. Ihre Mit-Spieler auf französischer Seite: Daniel Mendaille, Georges Charlia, Andrée Ducret, Alex Bernard, Pierre Louis, Heléna Manson: Man unterschätze sie nicht. Auch ihre Arbeit hat den Platz im großen Räderwerk.
Das Atelier wird seiner Berufung zugeführt: es ist da, um Leben in gedrängter Form zu spiegeln. E. Metzner und K. Vollbrecht, die Architekten, haben die Realität des Bergwerks in Staaten nach geschaffen. Ihr Werk ist von zwingender Suggestion.
Ob Freiaufnahme, Untertag im Kohlenrevier oder im Seheinwerferlicht, das gilt gleich für die nachspürende Kamera des Fritz Arno Wagner. Noch im fahlsten Dunkel sind Schattierungen deutlich. Schemen verraten in Umrissen Gestalt. (Wirklichkeit hallt auch aus der Lautkulisse A. Jansens.)
Erst solche Vollkommenheit der technischen Faktoren ermöglicht die Nachhaltigkeit der Eindrücke. Die unverzierte Wahrheit der Form läßt dem Inhalt volle Werbekraft.
Drei Autoren zeichnen für die Dramaturgie: Karl Otten, Finder der Idee; Peter Martin Lampel und Pabsts alter Drehbuch-Mitarbeiter L. Vajda.
Sie halten gut Linie: keine Tragödienüberspitzung; aber ebensowenig eine Monotonie der Lichtlosigkeit. Vielmehr ein Lebensausschnitt ist’s, betrachtet unter dem Gesichtswinkel gegenseitiger Menschenhilfe in der Grenzen Unnatur.
Und aus dem Bergwerks-Alltag wächst ein Epos der Solidarität.
G. W. PABST, NICHT NUR REGISSEUR.
In erster, zweiter und zehnter Beziehung aber ist dies ein Pabst-Film. Seine Intensität faßt die Filmelemente zusammen. Sein nicht zu bestechender Intellekt kontrolliert, stimmt ab, entscheidet.
Seit der noch unvergessenen „Jeanne Ney” ist die innere Geschlossenheit nicht so evident gewesen wie hier.
Von jeher ist für G. W. Pabst der große Wurf wichtiger gewesen als Ausfeilungen; mit Recht.
Sein Filmreich ist von der Welt des Gedanklichen. Filmschaffen wird ihm zu einer Geistesdisziplin. Er führt damit Werk und Zuschauer in eine Region des Rationalismus, deren kältere Temperatur erfrischend wirkt.
Pabst hat mit „Kameradschaft“ an derselben Stelle fortgesetzt, wo er mit „Westfront 1918″ dem deutschen Tonfilm den Weg zur ideologischen Auseinandersetzung freimachte. Er spricht durch die Kunst des Zusammenhangs von Wort und Bild, weil diese Gattung ihm das denkbar größte Echo sichert. Er wird es finden, überall, wo Projektoren surren.
(Soll man ihm die Zugehörigkeit zur Weltfilm-Klasse erneut bestätigen? Selbst in Deutschland – das Ausland weiß es schon längst – wird er sich noch diesem Film endgültig durchgesetzt haben.)
Ein paar Männer des Films arbeiten in den Filmländern der Erde auf die gleiche Weise wie er: Sternberg in Amerika, Kortner in Deutschland, Duvivier in Frankreich; und der zur Zeit in Mexiko kulturfilmgrübelnde S. M. Eisenstein.
Ihnen allen ist Film ein Mittel zum Zweck. Und in dieser Einstellung liegt zugleich die Distanzierung des Schöpfers zur eigenen Arbeit.
Film als Gesamtkunstwerk, Film als Träger von Ideen; Film in solchen Höhen: Es weht eine klare Luft.
AN DER GRENZE.
Planmäßig, wie in diesem Film alles, wird dem Abschluß der brüderlichen Hilfsaktion ein Epilog angefügt.
Es wäre eine billige Färbung ins Rosenrote, diese Verbrüderung; ein wertvolles Moment –, doch ein Augen-Blick in Zeiten getrübten Sehens.
Die Tatsachen haben gesprochen; was die Arbeiter hüben und drüben zu sagen haben, ist von dem Lastwagen herab verkündet, der neben der Trikolore die Farben der Deutschen Republik zeigt.
Nun folgt das selbstverständliche Nachspiel: Die Schranken, 800 Meter unter der Erdsohle, werden ordnungsgemäß wieder hergestellt. Die Situation ist korrekt, aber nicht hoffnungslos.
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Macht nichts, diese erneute Verschalung. Wir haben gesehen, wie leicht sie in Zeiten der Not zu sprengen ist.