Originaltitel: Voruntersuchung. Kriminaldrama 1931; 96 min.; Regie: Robert Siodmak; Darsteller: Gustav Fröhlich, Albert Bassermann, Hans Brausewetter, Charlotte Ander, Oskar Sima, Julius Falkenstein, Edith Meinhard, Heinrich Gretler, Hermann Speelmans, Jakob Tiedtke, Anni Markart; Ufa-Klangfilm.
Ein leichtes Mädchen wird ermordet. Der Untersuchungsrichter hält auf Grund einiger Indizien einen Studenten für den Täter, kommt von seinem Vorurteil erst ab, als sein Sohn ebenfalls in die Affaire hineinschlittert. Ein Zufall führt zur Entdeckung des wirklichen Mörders: Raubmord.
Zusammenfassung
In der alten häßlichen Mietskaserne im Zentrum der Stadt in der Nähe des Bahnhofs hausen seltsame verlorene Großstadtmenschen. Unsaubere Visitenkarten stecken an fleckigen Türen auf der alten ausgetretenen Treppe treffen sich die Hausbewohner, beobachten sich hämisch, und dann und wann schleicht auch verstohlen und geniert ein Fremder herum, den das Laster lockt. In verwohnten Zimmern leben die Mädchen, Tür an Tür, und wenn Mella Besuch hat, weiß Erna Bescheid und umgekehrt. Man nimmt Rücksicht aufeinander . . .
Schüchtern klopft ein dicker Spießer an Mellas Tür, die ihn als alten Kunden vergnügt begrüßt. Das Schäferstündchen soll beginnen, da hört man aus Ernas Zimmer erregten Wortwechsel, eine wütende, schreiende Frauenstimme, einen Mann, der beschwichtigt. Vergeblich – immer erregter schreit die Frau, man versteht jedes Wort: „Drei Jahre habe ich dich durchgefüttert! Wer ist die Frau? – Die andere Frau?“ Im höchsten Zorn dringt Erna auf Fritz Berndt ein: „Wer ist die Frau?“ Er wird auch heftig, sie ringen miteinander, sie reißt ihm den Schlips heraus – auch den hat sie ihm geschenkt . . .
Er flieht entsetzt die Treppe hinunter, aber oben steht Erna, wild wie eine Furie und gellend hallt ihr Schrei: „Zuhälter! Zuhälter!”
Mellas Freund hat sich ängstlich gedrückt. Bernt stürzt aus dem Hause, vorbei an Zülke, dem stets neugierig schnüffelnden Portier.
Bernts Freund und Studiengenosse Walter, der Sohn des Landgerichtsrats Bienert kennt das Lied des Freundes, weiß, daß Fritz mit allen Mitteln heraus will aus dem Sumpf der Verbindung mit Erna Kabisch, weiß auch, daß Fritz Walters Schwester Gerda liebt und daß Gerda ihn leidenschaftlich wiederliebt. Aber nochmals mit Erna sprechen kann Fritz nicht nach der furchtbaren Szene. Da bietet Walter dem Freunde an, für ihn den schweren Gang zu tun, und Fritz gibt Walter die Schlüssel zu Ernas Wohnung. Am Bahnhof will er den Freund erwarten, wenn der bei Erna war.
Aber Fritz wartet vergeblich auf Walter, viele Stunden, von denen er einige mit dem Artisten Klatte verplaudert.
Als Fritz wieder in seinem Zimmer ist, klopft es – Kriminalpolizei! Was ist geschehen? Nichts ahnend war Mella nach Hause gekommen, hatte die Tür geöffnet – gleich darauf ein Schrei! Mord! Mord! Erna lag in ihrem Blute!
Der Verdacht lenkt sich naturgemäß auf Fritz Bernt. Landgerichtsrat Bienert ist Untersuchungsrichter. Die Zeugen werden vernommen. Immer dichter zieht sich das Netz um Fritz Bernt zusammen. Er kann doch nicht sagen, wenn er die Schlüssel gab, kann den Freund nicht preisgeben. Weiß er denn, ob nicht Walter . . .
Die Zeugen sagen nichts aus, was Bernt entlassen könnte. Da ist der alte schwerhörige Scherr, ein Hausbewohner, der nichts hört, aber alles sieht. Da ist Brann, ein Hausierer, da ist Zülke, der Portier und Wichtigmacher, Klatte, der Artist, und auch Mellas Freund muß herbei. Fritz Bernt gilt als überführt, aber noch fehlt sein Geständnis. Der Landgerichtsrat ringt mit ihm, Tag und Nacht folgen sich die zermürbenden Verhöre. Allmählich erliegt Bernt der furchtbaren Maschine. Der Richter siegt, aber trotzdem quälen ihn schwere Zweifel. Wem hat Fritz die Schlüssel gegeben? Er weiß, daß sein Sohn Walter mit Fritz befreundet ist. Aber – das ist ja gar nicht möglich!
Der Mann wird verhaftet, der die Schlüssel im Besitz hat. Man führt ihn zum Verhör. Ängstlich raunt der Kriminalkommissar es dem Richter zu – es ist sein Sohn Walter! Sein Sohn! Sein eigener Sohn! – Ist er der Mörder? Die furchtbare Angst würgt den Landgerichtsrat. Er ist nur noch Vater und Mensch. Mit ungeheurer Willenskraft rafft er sich auf. Ein gebrochener, tödlich verwundeter Mann setzt beinahe mechanisch das Verhör fort –
Eine neue Spur taucht auf. Noch einmal treten Zeugen an, unter ihnen – der Mörder!
Die Voruntersuchung ist beendet!
Kritik (Georg Herzberg, Film Kurier #092, 04/21/1931):
Ein Film für die Gerechtigkeit, ein Film zum Nachdenken. Im Vordergrund steht das Problem der Voruntersuchung, dahinter steht die Mahnung an alle, nicht voreilig zu verdammen, nicht voreingenommen zu verurteilen.
Dieser Film ist in dem Kampf um besseres Recht eine scharfe Waffe. Der Ufa gebührt Dank und Anerkennung für die Verfilmung des Theaterstückes.
Die Theaterbesitzer, die gerade in den letzten Monaten so oft den berechtigten Wunsch äußerten, die deutschen Filme möchten inhaltsreicher, durchdachter, interessanter, ernsterzunehmender sein, haben allen Anlaß, diesen Film zu begrüßen. Mit diesem Film wird jeder Theaterbesitzer vor jedem Publikum Ehre einlegen, das Eintreten für die gute Sache der Gerechtigkeit wird den Lichtspielhäusern neue Freunde zuführen. Dieser Film wird ein wichtiges Argument gegen die sein, die dem deutschen Film die ausschließliche Tendenz zum Amüsierprodukt vorwerfen.
Ziel des Theaterstückes von Max Alsberg und Otto Ernst Hesse ist, das deutsche Gewissen aufzurütteln im Kampfe gegen überlebte Methoden der Voruntersuchung, im Kampfe für eine Justizreform, die die Chancen des Unrechts verringert. Es geht jeden an, jeder kann einmal unter die Räder der schlechtgesteuerten Justizwalze kommen. Recht wird im Namen des Volkes gesprochen, das Volk ist also auch verpflichtet, darüber zu wachen, daß das, was in seinem Namen gesprochen wird, nicht Unrecht ist.
Um die breite Masse für die Idee wachzumachen, um Verständnis für die, Gedanken des Stoffes zu erzielen, um das Publikum überhaupt erst einmal dazu zu bringen, sich den Film anzusehen, ist es notwendig, daß der Film spannend und volkstümlich ist. Gerade bei diesem Stoff wären literarische Experimente völlig verfehlt.
Die Verfilmung mußte zwar in einer Weise erfolgen, die der großen Grundidee würdig ist, sie mußte aber auch dem Kino geben, was das Kino nötig hat.
Robert Liebmann, dieser alte Filmhase, der im kleinen Finger immer noch mehr Filmgefühl hat als viele der Jungen in ihrem ganzen Gehirn, hat, ohne den Rahmen des Bühnenwerkes zu sprengen, die Geschehnisse mit Geschick auf den Filmnenner gebracht.
Der Inhalt ist kurz der, daß ein junger Student des Mordes an einer Prostituierten beschuldigt wird, weil ein paar Indizien gegen ihn sprechen, an denen sich der Untersuchungsrichter festklammert. Derselbe Untersuchungsrichter empfindet die Brüchigkeit der ganzen Justizmethoden erst dann, als der eigene Sohn in den Fall hineingezogen wird, als er zum erstenmal menschlich von dem Fall gepackt wird. Der Mord findet dann seine Aufklärung, keiner der vorher Verdächtigten ist an ihm beteiligt.
Es geht nicht um die Maschinerie des Gerichtes, sondern um die der Voruntersuchung, die sich unter Ausschluß der Oeffentlichkeit abspielt, aber in der für die meisten Prozesse der Grundstein gelegt wird für die Anschauung des Richters und des Staatsanwalts.
Es wird gezeigt, wie der untersuchende Richter nur das hört, was er hören will, nur das glaubt, was er glauben will, nur das beachtet, was in die Richtung des einmal gefaßten Verdachtes fällt.
Dem Untersuchungsgefangenen wird, im Volksjargon gesprochen, tatsächlich das Wort im Munde herumgedreht. Er wird zermürbt durch vielstündige Dauerverhöre, wird mit kleinen Tricks nervös gemacht, bis schließlich dem Unschuldigen die Nerven reißen, bis er ein Geständnis niederzuschreiben bereit ist, um nur loszukommen aus dem grellen Licht der Schreibtischlampe, um alle die Foltermethoden, die spitzfindige Kriminalisten ersannen, nicht mehr erdulden zu brauchen.
Robert Siodmak liefert eine klare, sachliche Zweckregie. Läßt in ein paar Details seine Begabung für die Bilddichtung aufblitzen, aber hält sich weise zurück vor szenischer Verspieltheit, die hier unangebracht ist. Um so mehr Sorgfalt legt er auf die Darstellung, die von der Hauptrolle bis zur kleinsten Charge ein wahrer Triumph gekonnter Sprechfilm-Regie ist.
Der Film hat ein paar Längen, wenn der Versuch gemacht wird, stumme Spielszenen einzulegen. Der nächtliche Gang durch das leere Untersuchungsgefängnis ist zu gedehnt, ein paar Spielszenen Bassermanns könnten straffer sein.
Den Erfolg des Films hat Julius Falkenstein in einer kleineren Rolfe. Er liefert erneut den eindeutigen Beweis, daß er nicht nur in Radaulustspielen für karikierte Figuren am Platz ist, sondern daß wirkliches Spielen-Können in ihm wohnt. Mit leisen Mitteln legt er hier einen eitlen Sonderling hin, der entschlossen sein Ziel verfolgt bei der Aufdeckung der Tat und schließlich den Erfolg für sich hat. Falkenstein bat ein paarmal Beifall auf offener Szene.
Gustav Fröhlich spielt die Hauptfigur, schlicht sachlich, ohne Schöntuerei, ohne Stargesten. In dramatisdien Hauptmomenten wäre vielleicht bei einiger Dämpfung die gleiche eindringliche Wirkung erzielt worden. Albert Bassermann bringt das äußere und innere Format für die überzeugende Darstellung des Untersuchungsrichters mit. Er ist durchaus kein Menschenfeind, dieser so korrekte Beamte, seine Gestalt wird gar nicht verzerrt, er ist so, wie viele sind – und eben nicht sein sollen.
Oskar Sima hat viele Lacher als wichtigtuerischer Portier. Hermann Speelmanns kann als effektvolle Type dem Richter ein paar derbe Wahrheiten sagen, die stark beklatscht wurden.
Hans Brausewetter gibt einem Studenten sympathische Züge.
Die Frauen rollen sind etwas zweitrangig behandelt. Annie Markart hat ein paar fesselnde Momente, die hübsche Edith Meinhard sollte stärker beachtet werden. Charlotte Ander hat leider wenig Entfaltungsmöglichkeit.
Heinrich Gretler, Jakob Tiedtke und Gerhard Bienert sind sonst noch zu nennen.
Das Technische ist hoher Ufa-Standard. Konstantin Tschet und Otto Baecker photographierten mit Bildgefühl. Erich Kettelbut baute überzeugend, Fritz Thiery und Eberhard Klagemann lieferten das Tonliche in ausgezeichneter Qualität.
Das Publikum ging mit dem Film, der ein neuer großer Produktionserfolg Erich Pommers ist, willig mit und feierte zum Schluß minutenlang die Darsteller.