Originaltitel: Der weiße Rausch. (Sonne über dem Arlberg. Neue Wunder des Schneeschuhs.) Ein heiterer Sportfilm 1931; 94 min.; Regie: Arnold Fanck; Darsteller: Leni Riefenstahl, Hannes Schneider, Guzzi Lantschner, Walter Riml, Rudi Matt; Sokal-Tobis-Klangfilm.
Ein Mädel aus der Stadt bezwingt die Heimtücke des Schneeschuhs, kann es im nächsten Winter schon besser, bestraitet eine originelle Fuchsjagd.
Zusammenfassung
Mein liebes Publikum!
Es ist sehr dicke Luft hier im Tiefland und in den Städten. Und das Leben ist momentan gewiß gar nicht so erfreulich, wie es eigentlich sein sollte. Deshalb möchte ich Euch alle kurzerhand wieder einmal aufpacken – auf unsere langen Bretter stellen (wenn’s zunächst auch nur im Film und für eine Stunde sein kann) und Euch mit hinaufnehmen in Schnee und Berge und Wintersonne, wo dünnere und schwerelosere Luft weht als hier unten.
Da sollt Ihr wenigstens auf eine Stunde alle Sorgen vergessen und dieses ganze jauchzende Glück und übermütige Lachen mitmachen, das zwei einfache, aufgebogene Bretter uns allen zu schenken vermögen, und all diesen seltsamen Zauber mit dem nun einmal der Schnee aus Erwachsenen Kinder macht.
Da sollt Ihr vor keine Probleme gestellt werden, wenn Ihr mit uns dort hinaufzieht, weder vor geistige noch ethische, weder vor solche der Liebe mit dem ihr nun einmal anhaftenden Leid, noch vor Krieg und Kampf oder Not und soziale Fragen.
Jeder Geist der Schwere soll für diese Stunde verbannt werden, jede drückende Dramatik oder hissig satirischer Witz verpönt sein, und kein Lebens- oder Welt-Problem soll gelten dürfen, das nicht durch einen Purzelbaum gelöst werden könnte.
Nur auf diese Weise ist ja auch das ureigentliche Wesen des Schneeschuhs zu erfassen, der nun einmal diesen seltsam unbeschwerten fröhlichen und jugendhaft übermütigen Charakter in sich trägt.
In der Bewegung ein Jubel – an körperlichen Leistungen ein Wunder – in der Handlung ein Wirbel von übermütigem Geschehen im Schnee – ein Stäuben, Glitzern und Spritzen von leuchtendem Pulver – ein jagendes Spiel von Licht und Bewegung – so soll Euch dieser Film den ganzen beseligenden „weißen Rausch“ in die Adern gießen.
Das ist uns schon einmal in den ersten schweren Nachkriegsjahren so erstaunlich gelungen, mit einem so naiven und noch anfängerhaften Werk, wie es unser damaliges „Wunder des Schneeschuhs“ war, das heute noch in der Erinnerung fast wie eine Sage wach geblieben ist. Warum sollten wir da diesen beglückenden Eindruck nicht heute nach zehn Jahren noch einmal hervorrufen können, wo unterdessen nicht nur die Filmtechnik in Fotografie und Auffassung so weit fortgeschritten ist, sondern vor allem auch die inzwischen herangewachsene junge Skiläufer-Generation an Können und Tollkühnheit sogar in der Masse das überbietet, was damals schon die Spitzenleistung einiger Aus-erwählter bedeutete.
Auch ist ja der Skilaut in diesem Jahrzehnt gerade in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz zu einem wahren Volkssport geworden (nicht zuletzt durch den begeisternden Eindruck der Skifilme selbst auf das große Publikum der Städte), der heute wohl schon von weit über einer Million Deutschsprachiger aktiv ausgeübt wird.
Noch viel grober aber ist sicherlich die Zahl derer, die zwar aus irgendwelchen Gründen nicht selbst auf den Brettln hinaus- und hinaufziehen können in Wintersonne und Bergluft, die aber die Sehnsucht danach vielleicht gerade deshalb noch tiefer in sich tragen und den seltsamen Jubel, der nun einmal von diesem weißen Sport ausstrahlt, noch beglückender und sehnsüchtiger miterleben können.
Und so dürfen wir wohl hoffen, daß, wenn in diesem Film nun unsere 50 Skikanonen der jungen Generation in wilder Heize hinter dem Altmeister des Skilaufes, – dem ersten mitteleuropäischen Skiphänomen Hannes Schneider, herjagen und in brausendem 100-krn-Tempo ihre langen Staubfahnen hinter sich herziehen – – – oder wenn Leni Riefenstahl (die im Ernstfall bei dem diesjährigen Rennen auf der berüchtigten Kandarhar – Strecke immerhin als Schauspielerin sich den 7. Preis holen konnte gegen die Weltklasse von Sportmädchen) nunmehr als blutige Anfängerin in urdrolliger Weise die Grundzüge des Skilaufens erlernt – – oder gar wenn unsere zwei lustigen Hamburger Zimmerleute (in Wirklichkeit der Weltmeister im Geschwindigkeitslauf Guzzi Lantschner und der Skiakrobat Walter Riml) als Autodidakten sich ihre Seelen den langen Brettern verschreiben und als Anfänger mit tödlichem Ernst die wilde Hetze der Fuchsjagd mitmachen –, daß dann alle an diesen mit lebenslustiger Komik und jauchzender Schönheit der Bewegung geladenen Bildern den gesündesten und harmlosesten aller Räusche in sich eintrinken können – – den weißen Rausch.
Kritik (E. J., Film Kurier #290, 12/11/1931):
Wie arm ein Mensch, der dies nicht bewundern kann – wie arm:
Die aufblendende Natur, bezwungen von fröhlichen Menschen im Spiel.
Den besseren Menschen in seinem friedlichen Sport-Spiel schenkt dieser Film dem Auge.
O Bruder alter Urwaldjäger, guter Kerl in der beschneiten Wildnis, kräftiger Zeitgenosse, frei aller zivilen oder uniformierten Laster, sichtbar auf die Berge erhobener Mensch von heute, für dessen Schneefelder (vergessen sind die Schlachtfelder) man keinen Burgfrieden braucht, kein Abzeichenverbot –.
„So überschwänglich?“ Gewiß.
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Nicht die Schneeschuhe bilden des Schneeschuhfilms Ereignis – sondern die Schuhbeherrscher, die Schnee-Menschen, die Film-Sportler. Gepriesener Fanck – einmal ein lustiges Echo auf deine schweren dramatischen Werke, einmal vom alpinen Eise des Bergdramoletts befreit – – welcher Tanz im Schnee wurde da gezaubert. Ein menschlicher, apolitischer, apollinischer Gesinnungsfilm gestaltet.
Man rede sich nicht ein: es sei ein „Lehrfilm“, Skisportunterweisung, nur etwas für Kenner oder Interessenten. Bewunderswert und einzigartig, wie Fanck diese Paraphrase über ein sachliches Sportthema ausweitet – denn er stellt Menschen in die Berge, nicht Sportgrößen – wie er sein Naturfühlen jedem Publikum aufzwingt Auch diesmal.
Obwohl er gar keine Schöne-Berge-Konzession für Postkartenliebhaber macht – und nicht einmal Skiernächte mit Magnesiumfackeln anzündet – – und kein strenggebautes filmphilosophisch montiertes Bergtheaterlustspiel hinstellt – –. Schrecklicher Fanck, die Verleiher können nicht schlafen über ihn und die Filmkritiker müßten ihm nachrechnen, gegen wieviele Tabulaturen und Kodexe der Filmdramaturgie er verstieß. Doch er hat die Theorie nicht vonnöten: Keine Manuskriptkonstruktion, keine Montageregeln. Bei ihm strömts aus dem Ueberfluß, welche Vermählung von Stoffelementen und Reproduktion. Ein Natureindruck das Ganze, mit soviel unbedenklicher Amateurlust dabei – wie sie zur Schöpferlaune gehört.
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Eine „Handlung“ mit szenischem Geschehen, aufgebaut so literarisch-hoch da droben, davon keine Spur. Ganz einfach: ein dummes Mädel lernt anstellig-grotesk Ski – im nächsten Jahr kann sie’s, fährt mit dem Meister-Lehrer die große Fuchsjagd. Aus. Alles Filmleben aus dem wirklichen Leben geboren. Aus der Bewegtheit der Sportleistungen, aus der Spannung zwischen Wagnis und Gelingen eines Sprungs, einer Wendung, aus dem rasenden Band der Skijagden – – tausendfältig nuanciert ohne Verschnaufen ein einziges Allegro des Jagens, – ein Fangen, Verfolgen, Entwischen – jauchzende Flucht, lachendes Sich-Finden.
Auf jeden Roman-Kitsch einer unechten Rahmen-Handlung hat Fanck verzichtet. Dafür läßt er seinem und seiner Genossen Frohsinn zügellosen Lauf. Auch hier: der Film macht keine Witze, das Komische liegt in den Menschen, in ihren Sportübungen und Parodien. Eine Art Werkhumor, wie er so sachverbunden, so echt etwas ganz Seltenes. – aber das die einzige Schwäche: zu verneckischt mit ihren stereotypen „au fein“ die skibeflissene Leni.
Sonst aber – heiterste, graziöseste Bildkompositionen –. Selbst die Natur kennt keine Schrecken mehr, keine Todesschluchten, keine Lawinen, keine Gletschertiefen, keine Schneestürme – – dafür aber welche neuen Ausdrucksarten.
Diese Menschen-Ensembles und Ski-Solis auf den weißen Feldern. Ja, es treibt zum „Rausch“.
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Heiter genommen, schwebend leicht – auch die verblüffende, jeder Schwierigkeit spottende Sportarbeit der Rekordleute, der Skimeister unerhörtes Können. Oft ins Gewollt-Ungeschickte umgebogen – – um so deutlicher die wirklichen „Sensationen“ dieses Films: Sprünge über Dächer, Kletterpartien, Rekord Fahrten in 100-Klm.-Tempo, mit der Zeitlupe verfolgte Sprung-Wunder in die Tiefen and Weiten seltenen Ausmaßes. Man erlebt jede Sekunde mit – – von mir aus noch 1000 Meter länger.
Langweilig, gedehnte Partien? Ist die Sonne „lanweilig“, ist der Blick auf einen Abhang „gedehnt?“
Man muß in der Naturnähe dieses Films nicht mit Filmtheatermaßen messen.
ln der Naturnähe dieses Films . . .
Das ist der Fanck-Zauber: Man vergißt (selbst bei dieser oft mit Bild und Sprache getrennt arbeitenden Technik) jede Spur von „Reproduktion“. Kein Gedanke an „gestellte“ Natur, Atelier; – die Illusion, daß wir mit auf den Bergen – – bei ihm vollkommen.
Grund: Kongruent sind die Aufnahme-Meister den Ausführungs-Meistern.
Wen soll man mehr in den Vordergrund stellen? Die Kamera-Artisten (Kamera-Tänzer; wirklich: sie fliegen mit der Kamera) Richard Angst und Kurt Neubert (sachlicher Ergänzer im Atelier: Hans Gottschalk) – – oder die Ski-Internationalen Hannes Schneider, Guzzi Lantschner, Walter Riml, Rudi Matt? Die Jäger im Schnee oder die hinter ihnen herjagen?
Das ist die Fanck-Schule, sie sind sich gleichwertig, man könnte sie auswechseln, es gibt da kein Sport-Mimentum vor der Kamera und es gibt vor der Sport-Entfaltung keine sachlich-unberührte, starre Kamera. Beides greift sich gegenseitig auf – daher diese unentrinnbare Geschlossenheit des lebensechten Natureindrucks.
Es gibt keine Stars – nur freudige Leistung, aufgelöst im Sport-Können. Der verschmitzte, durch keine Schwierigkeiten berührte Meister im phantastischen Skigelände: Hannes Schneider und sein halbes Hundert routinierter Verfolger, – an der Rudelspitze der sympathische Rudi Matt.
– und dann das heiterste Duo. Lantschner und Riml als Hamburger Zimmerleute, voller Körper-Komik, der riesige, lange Kerl mit seinem kleineren Schatten, lustiger in diesen Naturbegebenheiten als das fröhlichste Clownpaar der amerikanischen Groteske.
Dieses Skier-Duo der beiden Hummel-Hummeln nimmt Selbstunterricht für Skien mittels Lehrbücher. Urkomisch. Im zweiten Jahr können sie’s, da walzern sie los und im frechen Schwung ihrer Drehtänze, stoßen des Langen Schneeschuhe faßt bis an den Himmel. Das Lustigste, was man je in einem Film sah Kein Dialog-Scherzchen – Humor aus dem Menschen. Wieviel Können in diesen grotesken Paradefahrten.
Auch Leni Riefenstahl muß auf „Nichtkönnerin“ umlernen, beginnt als Anfängerin – endet als Meisterin, ihr Sport-Können wieder erweisend.
Der acht fahrige Lothar Ebersberg gehört in diesen Film. Beherzt, ohne altklug zu sein, beim Kartenspiel, wie beim Skilauf, schon ein ganzer Kerl. Und drumherum keine Liebeshandlungen, kein Schmus, kein Flirt – es geht gesund zu. Eng umgrenztes Filmthema – und doch welche Naturweite erreicht!
Wichtiger Helfer: Paul Dessau. Gibt populäre Musik dazu, in der Art bester Illustrationen des stummen Films. Hornklänge beim fröhlichen Jagen, Lieder, verdrehte Volksweisen, allerlei symphonisches Allotria, sympathisch-anspruchslos und doch ganz dem Zweck entsprechend.
Weitere Assistenten des Werks: Die sich geschickt unpassenden Tonleute Dr Bittmann und Specht. Der Architekt Blonder.
– Und jener andere Architekt, der die Bäume bereift, die Berge von St. Anton um Arlberg errichtete, das phantastische Skigelände ausbreitete, damit die großen Fanck-Kinder darauf spielen.
Ein schöner Rausch. Schneefelder mit Glitzerblüten, graziös zerstört durch die Ornamente der kletternden Skier, durchfurcht von ihren dampfenden Pflügen, gemalt von einer fast diebisch belustigten Zeitlupe, im Rhythmus gefangen von der Kamera, die keine Grenzen kennt.
In diesen warmen Schneegewittern, zwischen den Körpertumulten voller Freude, eine Vision, über die die Kamerameister wohl selbst gestaunt haben: Wie der Regenbogen zwischen Wetterwolken, so der Widerschein der Menschenschatten, die in den Schneewolken ihre große Skikurve fahren. Ein Phantasiespiel – eine Fata morgana schöner Menschen. Problemlos und doch sinnvoll.
Ein ganz eigenartiger, einmaliger Film. Nicht allzu viel hineingeheimnissen und doch nicht nur die Pulverschnee-Dampfrosse bestaunen.
– sondern sich gesund sehn – am Lachen der Berge.