Originaltitel: Salto mortale. Zirkusdrama 1931; 103 min.; Regie: E.A. (Ewald André) Dupont; Darsteller: Anna Sten, Reinhold Bernt, Anton Walbrook, Kurt Gerron, Otto Wallburg; Harmonie-Tobis-Klangfilm.
Eine Artistin betrügt ihren Mann nicht ohne dessen Schuld mit seinem Freund, der, den Fehltritt entdeckt glaubend, sich selbst verrät und vor der Rache des Betrogenen, der bei der allabendlichen Produktion das Leben der beiden in seiner Hand hat, zittert. Als es zur Katastrophe kommt, rettet der Artist die Geliebte und der Mann tritt resigniert ab.
Zusammenfassung
Eine Arena steigt empor bis unter die dunkle, gewaltige Kuppel. Der Zirkus, der große, internationale Weltzirkus! Mächtige Lichter glühen wie Sterne am Himmel. Ein Brausen ist da, viele tausend Menschen sitzen in Reihen um grellbeleuchtete Manegen. Es riecht nach glatten Pferden, Elefanten, nach eingesperrten Großkatzen und Wüstenviehzeug. Musik schmettert dazwischen, mit Clairons, Becken und Paukenschall. Peitschen knallen, drei Dutzend bunter Clowns schreien und schlagen Rad. Ein Ballett von Mädchen, die schöne Beine und weiße Zähne zeigen. Seltsame Kostüme, alle Rassen der Erde, viele betreßte Diener. Eine Welt für sich, dieser mächtige Rundbau, eine Welt für sich sein Verwaltungsapparat, die großen Ställe mit den Tieren, die große Familie der Zirkusleute. – Jim und Robby gehören zum Zirkus. Sie sind beim Raubzeug tätig. Mit langen Eisengabeln schieben sie blutiges Fleisch den Löwen und Tigern zu. Sie kriegen nicht viel bezahlt. Aber der Zirkus ist ihre Welt. Robby war auf dem Pennal, ehe er von zu Hause durchgebrannt ist, um Löwen zu füttern. Jim, Proletarier von Geburt, nennt den Freund deshalb „Herr Studienrat“. – Eines Tages kommt – Auftakt zum großen Abenteuer – eine Neue in den Zirkus: Marina, die Kunstreiterin. Russin. Verflucht rassige Person. Jim und Robby rasieren sich plötzlich täglich. Mit ihren ersten Annäherungsversuchen haben sie wenig Glück. Jim, Rauhbein mit großer Schnauze, kriegt sogar Krach mit dem Mädel. – Aber dann hilft der Zufall. Urplötzlich, von heute auf morgen. Der alte Grimby führt den Artisten seine neue Todesschaukel vor. Freiwillige sollen die Sensation ausprobieren. Es sei nicht viel dabei, meint Grimby. Aber niemand meldet sich. Ein Spiel mit dem Tod ist es, sagen die Artisten. Bis eine junge Frau über die feigen Männer lacht. Marina. Sie will auf die Schaukel. Aber es müssen zwei sein. Einer der Männer muß mit. Jim renommiert so lang, bis er nicht mehr zurück kann. So geht Jim mit Marina auf die Todesschaukel. – Jim und Marina werden die große Attraktion des Zirkus Central. Allabendlich verfolgen Tausende atemlos die gruseligen Vorbereitungen, das beklemmende Schwingen der Riesenschaukel, von der sich der Wagen mit den kühnen Artisten loslöst und frei in den Raum hinaussaust. Der Wagen in die Tiefe, Jim und Marina nach einem Trapez, hoch hinauf unter die Zirkuskuppel. Robby steht in der Manege. Er muß den Hebel bedienen, der den Wagen von der schwingenden Schaukel freimacht Auf seiner Uniform blinkt ein Totenkopf. Symbol seiner gefährlichen Aufgabe. Macht Robby einen Fehler, um den Bruchteil einer Sekunde zu früh oder zu spät, dann müssen die beiden fliegenden Menschen das Trapez verfehlen. – Abend für Abend brausender Erfolg. Bis Jim abstürzt. Mit zerbrochenen Gliedern Hegen bleibt Zum hinkenden Krüppel wird, den Marina, die Partnerin, aus Mitleid heiratet. Aber auf die Todesschaukel kann Jim nicht mehr. – Das Leben geht weiter, und die Verträge werden ungültig, wenn nichts geschieht. Robby soll für Jim einspringen. Er zögert Nicht aus Feigheit. Er fürchtet die Nähe Marinas, die er Hebt. Robby ist ein anständiger Kerl. Er will die Hand von der Frau des Freundes lassen. Aber Jim, der Krüppel, bleibt dabei, daß Robby nunmehr mit Marina auf der Todesschaukel arbeitet Jim wird den Hebel bedienen und die Uniform mit dem Totenkopf tragen. – Und alles geht gut Der Erfolg bleibt dem Trio treu. Jedoch, – was Robby fürchtete, tritt schnell ein. Die gemeinsame Arbeit führt ihn mit Marina zusammen. Zuerst wehren sich beide standhaft gegen die Versuchung. Endlich ist Jim in seiner arglosen Blindheit die Ursache, daß sich Marina und Robby finden. Dem kurzen Taumel der Liebesseligkeit folgt jähe Ernüchterung. Jim kommt in Robbys Zimmer, während Marina bei ihm ist. Jim verläßt das Zimmer. Hat er Marina gesehen? Sein Wesen scheint verändert seit jener Stunde. Angst und Grauen beschleichen des heimliche Liebespaar. Aus Jims Reden entnehmen sie, daß er alles weiß. Von Abend zu Abend wächst ihre Angst vor der Rache des betrogenen Krüppels. – Bis Robby die Nerven verliert und von Jim ein Ende der Qualen erfleht Aus Jims Verhalten erkennt plötzlich das Paar seinen gräßlichen Irrtum. Jim hat nichts gesehen, nichts gewußt. Jetzt aber weiß er alles. Jetzt fühlen sie, daß er sich rächen wird. Dann holt man sie in die Manege. Es ist der letzte Abend am Zirkus Central. Das Publikum jubelt seinen Lieblingen zu. Diener müssen Marina stützen, ehe sie die Strickleiter emporsteigt. Todesangst erfaßt die beiden Menschen, die nichts anderes sehen als den Mann, der in der Tiefe an dem Hebel ihres Lebens steht. Ein tausendstimmiger Schrei ertönt, als der Wagen in den Raum hinausfliegt. Robby hat das Trapez erreicht Aber Marina hängt am Ende einer Fahne, hoch über den Köpfen der Zuschauer. Man sieht, wie ihre Kräfte schnell erlahmen. Entsetzen erfaßt die Menge. Da beginnt Robbys Trapez zu schwingen. Näher und näher kommt er Marina. Weit streckt er ihr die Hände entgegen. Jetzt erfaßt er sie. Während man unter dem Jubel der Menge das Trapez herabläßt, hält Robby eine Bewußtlose in seinen Händen.– Am nächsten Tag spricht Jim mit dem Direktor. Er will wieder zu den Löwen zurück. Er hat eingesehen, daß er Marina und Robby nicht mehr im Wege stehen kann. Der Zufall hat ihn zu hoch emporgeschleudert. Nun kehrt er wieder an den Platz zurück, wohin er besser paßt. – Robby und Marina fliegen in die Welt hinaus. Dem Trapez entgegen, das ihnen das Glück, zugeworfen hat. –
Kritik (E. J., Film Kurier #190, 08/15/1931):
Der Zirkus lärmt. Abend für Abend, meine Herrschaften.
Das Heer der Clowns und der Pferde galoppiert in der Runde. Und immer die Musike.
Abend für Abend proklamiert einer da die gleiche „Weltattraktion“. Die Sensationslüsternen sitzen vor der Sensation: einem Salto mortale, kühn ausgedacht mit dem Todessprung des Artistenpaares vom Schwungrad auf das Trapez. – und die Todesschaukel dreht sich, schwingt sich Abend für Abend.
Die große Nummer in der betriebsamsten der Welten, in der sie alle nur Nummern sind; – und jede dieser Nummern hat auch mit ein kleines Schicksal. Doch wenn das Schicksal zu Ende ist, dann mag vielleicht eine Saison für den Zirkus aus sein, das Leben schloß sich nicht und nicht der Zirkus, die Nummern ändern sich nur, nicht so wichtig.
Wer vielleicht oben auf dem Trapez saß, muß unten jetzt den Hebel bedienen.
Oder wird wieder ein noch kleineres Nichts von Zirkusmensch, das die Löwen füttert und wenn sie brüllen „Schnauze“ zu ihnen sagt; ohne daß so ein Vieh widerspräche.
Ja, ja: betriebsamste der Welten, die wurde hier neu geschaffen: mit ihrem Zirkussand und den Marmortischinseln der Artistencafés, ihren Garderobegeheimnissen, den Pressecheftricks, den weisen Kellnergesprächen, den Barsphinxen, den meckernden Manegekollegen, dem verrückten Erfinder – (und immer die Musike, wie Paul Dessau sie so frech-sicher komprimierte; Carmengeschmetter mit Isoldesong, Negertenorstimmung mit dramatischem Schrumm-Schrumm).
E. A. Dupont zwingt diesen ewigen Zirkus-Rhythmus magisch auf: mitzuschwingen, mitzukreisen. 1000 Augen hat seine noch nie so erregt gewesene Kamera. Mit 1000 Augen macht er das Kinopublikum sehend. Was tanzt da vorüber, . . . das Zirkus-All; eilige Nummer wird Ding und Mensch, alles eins, alles in einem. Seifenschaum, wenn sich zwei Verliebte rasieren, ein Vampblick, ein Clownplakat, eine Orangenpresse, ein Tropfen Parfum, ein Schatten an der Wand, eine Kaffeemaschine, Trapezfahne, Arzneiflasche, nicht anders als Kuß, Liebe, Eifersucht, Betrug, Haß, Freundschaft, Zigarrenasche, Hurenauge, Artistenschminke; zwischen Ding und Ding ist kein Unterschied, zwischen Ding und Mensch auch nicht.
Wann haben wir das banale Leben, den entgötterten Betrieb so in Film umgedichtet gesehen? Das kann so nur Dupont.
Er hat auch anders gekonnt, sein letzter Film: Dialogspiel der Prominenten im Käfig, – jetzt jähester Stilwechsel, konsequentester, – Zirkus um die Menschen, (Der Käfig um die Menschen), doch die drei, um die es geht, sehen sich kaum in ihrem Privaterleben, der Zirkus lebt sie auf, frißt sie auf, ein Glück für sie (und für uns), das Leben spielt Tragödien unauffällig, auch hier verdeckt ein Bilderrausch den unwichtigen Menschen. Nur so kann man aus einem Salto mortale-Stoff noch einen Film machen.
Ein Reißer mit Regiekunst, hinter der ein tolles Temperament steht, einer, ders uns mal zeigen will (und er zeigt es uns) . . . einer, der mit jedem Griff aus der linken Hand sein Objekt packt, es der Kamera vor die Nase hält, daß sie vor so viel ungewohnter Schaubestürmung kaum noch mitkann.
Dupont hat das Mikrophon fast vergessen, es ist die extremste Stummfilmleistung, die im Tonfilm bisher gewagt wurde, sie enthüllt die impulsive Macht des Optischen, die Brutalität des pantomimischen Rhythmus, daß man fast geblendet wird. Duponts erster Film in Deutschland und schon souveräner Beherrscher der Kamerakunst, die ihm ein junger Schöpfer wie Friedel Behn-Grund genial vermittelt. Wann hat man seit den großen stummen Deutschen und Russen eine solche Ausstrahlung der Leinwand erlebt? Die Welt ist wieder sichtbar (auch wenn es nur die Zirkuswelt ist).
Klein die Geschichte, bewußt eng gehalten, begrenzt von allerlei psychologierenden Einfällen, ganz selbstverständlich dabei in ihrem Verlauf, was kann im Zirkusfilm schon geschehn, als daß beim Salto mortale einer abstürzt oder absichtlich zum Todessturz gebracht wird. Es kommt auf das „Wie“ an, im stummen Varieté-Film war dieser große Wirbel, der einem die Luft nimmt, noch nicht so stark.
In plastischster Nähe die Todes-Schaukel, dazu die Motivmusik Dessaus, aufreizend, frech asynchron gegen den Schwungrhythmus, filmisch ausgeklügelt bis ins letzte, die gespenstige Maschinerie in der Zirkuskuppel, in der fremde Mächte zu zaubern scheinen. Unglaublich packend gestaltet.
Daneben in jedem Meter überlegte Kameraästhetik, nicht in jedem Meter originell, doch echtester Dupont, schillernd, unerschöpft, mit vergrabenem Herzen, zynisch glossierend, mit Paprika, Knallerotik, kokett, bizarr, verdreht, übermondän; so wie er das Milieu sieht; voll Radau, voll harmloser Lasterschminke. Die Artisten sind wie du und ich.
Darum läßt er keine Stars – Star sein. Nicht einmal die Anna Sten.
Sie sagt kein Wort zuviel, diese Marina mit dem Akzent-Appeal, dafür sprechen ihre Augen.
Auch mit ihr schafft der Kamerameister Bildereignisse, was da schreitet ist schon ein Frauenwunder. Doch der Regisseur kommandiert, brav sein, erst ein bißchen Klaffte, denn einmal, einmal einen tiefen fast gesungenen Herzton schwingen lassen, melodie russe: in der unvergeßlichen Passage der Schattenpantomime des Krankenzimmers, dann wieder Geliebte, die sich keine großen Gedanken macht, sie nimmt das Leben wie es aus der Kulisse tritt. Großartige Leistung. Wohlbrück ihr verhaltener, konventioneller Partner, kein Fehler das, er soll so sein und wir müssen es schätzen, wenn man endlich im Atelier nicht mehr an der Rampe, nicht immer in der Größtaufnahme spielt.
Einer aus der Gruppe der „Jungen Schauspieler“, die diesem Artisten Milieu Physiognomie geben (welch ein Kellner z. B. der Roth!) kommt ganz nach vorn: Reinhold Berndt.
Die kesse Schnauze, irgendwo feige, nie ganz glücklich, er muß immer einen Anlauf nehmen, wenn er sich äußern will, dieser Kutschersohn und Löwenfütterer, jeder der wohl von einem Meister der deutschen Bühnenliteratur stammenden Dialogteile, ein pointierter Treffer, man bringt ihn im zugespitzten, nicht ganz glaubhaften Schluß, „unsereins soll nicht übertreiben“ – sagt er und verzichtet auf Ruhm und Weib. Diesen Sonderfall eines Sonderlings macht er glaubhaft.
Noch als Episoden zu nennen: Gerron, schlicht und echt. Otto Wallburg, oft zu sehr aufgedreht. Darüber, daneben das anonyme Heer derer, aus denen Film sich komponiert. Gesichter voll Sinn, gelegentlich mit allzuviel Sinn. Immer aus Kraft und Kunst hingestellt.
Kunstwillen und Reißerpflicht – Dupont schweißt es hier zusammen. Es geht. Appell an das Seh-Gefühl, an das Auge, gut, fördernswert.
Es wird in jedem Kino ein großes Staunen geben vor so viel Sehfülle. Wir zweifeln nicht daran.
Wir zweifeln nicht daran, daß E. A. Dupont, der immer, wo er filmt, der „große Einsame“ blieb, seit er von der Ufa ging, wenig verstanden von seinen Auftraggebern, geschätzt, nur von seinen Mitarbeitern auch mit diesem Film dem Kino weit mehr gibt als der Durchschnitt der Produktion.
Er stellt einen Filmvorgang zurück in die optische Sphäre. Dieses „Zurück“ ist ein Wiederfinden der Filmkunst. (Es ist nicht die letzte Form des Tonfilms, es ist eine Form).