
Originaltitel: Skandal um Eva. Komödie 1930; 98 min.; Regie: G. W. (Georg Wilhelm) Pabst; Darsteller: Henny Porten, Ludwig Stössel, Paul Henckels, Adele Sandrock, Oskar Sima, Käthe Haack, Fritz Odemar, Claus Claussen, Frigga Braut, Karl Etlinger; Nero-Tobis-Film.
Eine Lyzeallehrerin nimmt den außerehelichen Jungen ihres Verlobten ohne dessen Wissen zu sich, was sie in den Verdacht bringt, Mutter des Knaben zu sein. Nachdem Schuldirektor und Kollegen ihren Rücktritt gefordert und selbst der Verlobte an das Gerede geglaubt, löst sich schließlich alles in Wohlgefallen.
Zusammenfassung
Die Schülerinnen der Unterprima sind heute ganz aus dem Häuschen. Ihre angeschwärmte Lehrerin, Studienassessor Dr. Eva Rütgers, hat sich verlobt. Und mit wem ? Mit keinem Geringeren als dem Unterrichtsminister Dr. Kurt Hiller. Der sitzt derweilen in seinem Amtszimmer, Berge von Gratulationen häufen sich vor ihm. Eva macht an diesem Tag einen vierundzwanzigstündigen Klassenausflug mit ihren Mädels, und vor dieser für Verlobte unendlich langen Trennung, besucht Eva ihren Bräutigam noch rasenmal im Amtszimmer. Doch hat der Glückwunschberg noch immer kaum abgenommen und deshalb muß Eva während Kurt amtlich beschäftigt ist die Briefchen aufmachen. Ihr graut schon von den Danksagungen für die hunderte Gratulationen – ja, so ein Minister ist doch ein großes Tier. Aber, o weh, unter der Post befindet sich ein Schreiben von einer gewissen Frau Schlotterbeck, und wenn Kurt das geahnt hätte, nie wären seine Briefschaften von einem anderen geöffnet worden.
Die Frau Schlotterbeck gratuliert nicht, keineswegs, sie hat gar keine Ahnung von Dr. Hillers Verlobung, sie gibt einfach einmal wieder Post über „den vierjährigen Gustav” des Herrn Doktors eigen Fleisch und Blut. Eva ist gewiß ein moderner Mensch, aber es ist doch eine Überraschung für sie, auf diese Weise von der Ankunft eines gesunden, kräftigen Jungen zu erfahren. Und am meisten verübelt sie ihrem Dückmauser von Bräutigam, daß er ihr gegenüber noch kein Wort von seiner Vergangenheit und ihren lebendigen Folgen anvertraut hat. Kurt merkt eine leise Veränderung in Evas Wesen. Er kann sich den Grund nicht erklären, denn Eva hat den Brief der Frau Schlotterbeck verschwinden lassen. Kurt weiß also gar nichts von dem Brief. Beunruhigt über Evas plötzliche leise Zurückhaltung fährt er Ihr auf den Ausflug nach und erscheint überraschend unter den übermütigen Primanerinnen. Bei einer Maibowle hofft Eva ihren Sünder zur Beichte zu bringen, aber Kurt bleibt verstockt. Er hat es natürlich längst vor, Eva zu gestehen, daß er aus einer früheren Verbindung irgendwo einen Jungen sitzen habe, für den er zwar sorge, den er aber selbst noch gar nicht kenne – er schweigt nur aus Angst, Eva zu verlieren. Kurts „beredtes” Stummsein veranlaßt Eva zu einer Kur. Sie fährt heimlich nach Pfeiße zu den Schlotterbecks, sieht sich den Gustav an, ist entzückt von ihm und weiht als Kurts Braut die Pflegeeltern in alles ein, sie wird den Jungen mitnehmen, ihn dem Minister präsentieren und dann will sie sehen, ob ihm noch immer die Sprache wegbleibt.
Aber es kommt anders. Der kleine Gustav, von seiner neuen Mama begeistert, die ihn bei der Rückkehr als den Neffen ihrer Freundin ausgibt, durchkreuzt ihren Plan. Er stellt sich bevor es Eva um konnte, der Stadt selbst vor. In aller Öffentlichkeit, mitten bei der Platzmusik, springt er auf Eva, die an Kurts Arm promeniert mit dem Ruf „Mama” zu. Skandal ! Fräulein Doktor hat ein Kind ! Sitrlen am entrüstetsten ist natürlich Doktor Hiller, der keine Ahnung hat, daß Evas „Fehltritt” sein eigener Sprößling ist. Bis ihn sein Freund Lämmerberg auf den Gedanken bringt, über Evas uneheliches Kind froh zu sein, seinen Gustav zu beichten und mit zwei Jungens in die Ehe zu treten. Also telephoniert Kurt an Schlotterbecks um sofortige Überweisung seines Sprößlings. – Inzwischen fordert die Säuberungspartei den sofortigen Abschied der durch ihr Kind bloßgestellten Lehrerin. Aber die Jugend der Stadt huldigt „Fräulein Mama” durch einen Fackelzug. Kurt erfährt neulich, daß Evas Gustav „sein” Gustav ist, und so löst sich der Skandal um Eva in Wohlgefallen auf.
Kritik (Ernst Jäger, Film Kurier #140, 06/14/1930):
Wie spricht die Porten – so fragt das Publikum, wenigstens der Teil des Kinovolkes, der für Uraufführungen Interesse hat.
Er wird sich sehr befriedigt zeigen und die Aufnahme der Henny Porten in den Kreis der attraktiven Tonfilmsprecher sanktionieren.
In solcher Frage – „wie spricht mein Star ?” – liegt eigentlich ein doppeltes Mißtrauen des wachen Publikums – ein Zweifel, ob durch die Schleier der erst halbfertigen Tonapparatetechnik die menschliche Stimme unverwundet, ungefährdet passieren kann, zum zweiten auch: ein geringes Zutrauen in die Sprachintelligenz und damit die künstlerische Formkraft der bisher stummen Filmmimen überhaupt. Gibt das zu denken ? Waren Filmdarsteller, selten vor einer heiteren oder ernsten Aufgabe, nicht meist Puppen, die sich anmutig oder tragikbestrichen zu bewegen hatten ?
Sie sollen nun sprechen können – (es wäre noch zu fragen, ob sie für die kommenden Aufgaben der Leinwandkunst körperbeweglich, tänzerisch locker, mit der selbstverständlichen Technik der Entschwerung oder Körperbetonung begabt sind, alle die Stummimen, die im Lautsprecher jetzt ihre Intelligenzprobe abzulegen haben.)
In Amerika hat sich ein Teil der beliebtesten Reklamelarven vor dem Sprechfilm aufs Altenteil zurückgezogen, die Bühnenerfahrung, die Schauspielerjugend wandert in die Filmateliers. Bei uns kommt es ebenso.
Henny Porten braucht sich da nicht zu fürchten – und ihre Gemeinde nicht minder. Sie war stets eine klug geführte Frau, die wußte, was sie sich zutraun konnte.
Sie hat ja beim Sprechfilm eine weit größere Motiv-Auswahlmöglichkeit, ihr Charme, in früheren Rollen zu stillen Anmutposen gesteigert, kann jetzt in einer ununterbrochenen Spielfolge wohl temperiert über den ganzen Film wirken, sie ist nicht nur in Großaufnahmen die Porten, sie kann es in jedem Wörtchen sein.
Sie gewinnt also im neuen Aufgabenbereich, nicht nur die Gartenlaubenleser werden zu Portenfilmen kommen. Sie kann sich eine große Sprechfilmgemeinde sammeln, die nicht nur aus denen besteht, die noch einen Dutt tragen. Denn man hat bereits auf ihre Sprechgroteskfähigkeit in ihrem ersten „Sprecher“ mit seinen paar sächsischen Portenszenen deutlich hingewiesen, auf die Charakterisierungskunst und den Mut zum Volksspaß, der der verhaltenen, mütterlich-fraulichen Einfachheit dieser Deutschen besonders zu Gesicht und (muß man heute sogen) zu Mund steht.
Jung und mit der Jugend steht Henny als Fräulein Studien-Assessor Dr. Eva Rüttgers und Braut eines harmlosen Ministers von heute, der es aber in sich hat, im Klassenzimmer des Mädchenlyzeums einer Kleinstadt (es kann auch die Kleinstadt Groß-Lichterfelde bei Berlin sein, unsere deutschen Kleinstädter sind nicht zu unterscheiden).
Milieugriff und Stoffauswahl nach Ilgensteins Lustspiel „Skandal um Olly“ – – also überaus geschickt !
Die Durchführung der Handlung, der Dialoge, die Film-Aufteilung in Stumm und Sprache erreicht noch kein Ideal, sie ist aber ein für den ersten Film der Porten-Kaufmann-Produktion im Sprechgebiet und für die hier auch „neuen“ Autoren Raff und Urgiss sehr ansprechend gelungen. Die beiden Autoren arbeiten ja auch sonst nicht für den kleinen Kurfürstendamm sondern für das größere Reich.
Sie geben moderierte Tradition des Familienlustspiels – lassen dabei aber ein paar nette Schulmädels aus dem Heute und ein paar auch gegen „uneheliche“ Kinder unvoreingenommene Menschen durch die Welt der deutschen Flachsmänner pilgern. So steht Provinzsatire neben der anregenden Gesundheit und Geradheit der Portensphäre. Paul Oesterreich neben der Helene Böhlau.
Attacken gegen muckerische Lehrer, gegen die kleinen und großen Unarts – – stets dankbares Thema, seit Tovote das „Fräulein Doktor“ schrieb. Um nicht zu verletzen treibt der Film ins Schwankhafte und meidet die Komödiengrenze.
Viel gute Luft, sogar ein paar deutsche Volkslieder bringt er nebenbei noch mit, ganz wie bei Otto Ernst. Schnell wird das Autorenpaar wieder mehr Otto-Otto als ernst, dann zündet der Wortwitz vieler Dialogteile.
Lachsalve folgt auf Lachsalve; im Tempo die langsamere Auffassungsgabe (und die grauenhaften Wiedergabe-Apparate – Zustände der Nachspieler) berücksichtigend. Trotzdem: es müßte mit mehr Feingefühl geschnitten werden. Der Cutter auf „lang“ schadet dem Film.
Auch die stummen Kleinteilchen des Films erwecken Jubel und der sprechende, schwer verständliche Henckels muß sich vom stummen Henckels besiegen lassen, der als Pedant in der Speisekammer die Weckgläser ordnet und Gurken stiehlt. Das Haus rast.
Auch die Sandrock erreicht als Sprecherin schon ihre stummen Wirkungen. Gerade bei ihr wird deutlich, wie gute Sprecher vor dem Mikrophon noch „drücken“ müssen, die Allseitigkeit eines Wortes, das Mitschillern von Nuancen und Untertönen im lebenden Dialog erwartet man aus dem Lautsprecher noch vergeblich.
Eine besonders hübsche Episode: der Säuberungsparteimann und Herausgeber der „nackten Wahrheit“ (Karl Ettlinger), der leider im letzten Akt nicht mehr erscheint und den notwendigen Auftrieb für den vergleitenden Schluß nicht bringt. (er hätte, er hätte . . .)
Dialekt-Partien gefallen wieder sehr.
Wer schafft eine sächsische Kurzfilm-Reihe ? Wäre doch eine Sensation.)
Den Skandal um Eva bringt ein Kind herbei: mit lustigen Hängebäckchen ein richtiger Junge, natürlich im Spiel und in der Sprache. Auch ihn hat der Regisseur G. W. Pabst gut vor Bildkamera (F. A. Wagner) und Tonapparat (Emil Specht) gestellt. Das wesentliche seiner Lustspielregie: daß der Pabst bei dem harmlosen Spiel nicht zum Pabst wird und sich nur darauf beschränkt, die Fehler anderer Regisseure zu vermeiden.
Er sorgt für ein schmuckes Film-Lustspiel – das Lebenslustspiel, dahin findet er sich noch.
Zu nennen: Käte Haack, Oskar Sima, Fritz Odemar, Ludwig Stössel, Signor Becce Frigga, Braut im Ensemble – und Franz Schroedter, der eine niedliche Amtsgerichtsrätin-Witwe so nobel und hübsch ausstattet, daß sie bestimmt wieder einen Mann bekommt.