Originaltitel: Westfront 1918. (Vier von der Infanterie.) Kriegsdrama 1930; 100 min.; Regie: G. W. (Georg Wilhelm) Pabst; Darsteller: Fritz Kampers, Gustav Dießl, Hans Joachim Moebis, Carl Balhaus, Claus Clausen, Jackie Monnier, Hanna Hoeßrich, Else Helle; Nero-Tobis-Film.
Vier Deutsche im Schützengraben. Ein Bayer, der sich mit Humor in alles findet, ein Berliner, der beim Heimaturlaub seine Frau mit einem anderen erwischt, der Leutnant, der nur seine Pflicht kennt, und ein Student, der bei einem französischen Mädchen erst Mann wird. Alle ereilt sie das Schicksal. Die beiden ersten sterben, schwer verwundet, im Lazarett, den Studenten erwürgte schon früher ein Farbiger im Nahkampf, der Leutnant wird wahnsinnig. Und der Krieg geht weiter…
Zusammenfassung
1918 in Frankreich. – Irgendein Frontabschnitt. – Die deutschen Truppen, von den Entbehrungen und den Kämpfen der vier Kriegsjahre aufs äußerste erschöpft, halten unter Aufbringung übermenschlicher Kräfte ihre Stellungen. Drüben kommen ständig neue Truppen. Bei den Deutschen sind schon längst die letzten Reserven im Feuer. – Vier von der Infanterie – der Bayer. Karl, ein Student und der Leutnant – liegen während einer Ruhepause hinter der Kampflinie bei einem französischen Bauern im Quartier. – Yvette, die Tochter des alten Bauern, dem das Haus gehört, sorgt für die vier Infanteristen. Der Bayer, Karl und der Student machen ihr den Hof, jeder auf seine Art. Der Bayer derb ungeschlacht. Karl, ein bißchen den Kavalier herauskehrend, und der Student schüchtern. Er hatte noch nie richtig geliebt, als er von der Universität ins Feld mußte. – Plötzlich ein Granateinschlag; der das ganze Haus erschüttert. – Alles rettet sich in den Keller. – Draußen vor dem Hause hat eine Granate die halbe Straße aufgerissen. Die Granaten trommeln weiter. Im Keller haben sich der Bayer, Karl und der Leutnant zu dem unvermeidlichen Skat zusammengefunden. – In einem Winckel sitzen Yvette und der Student und küssen sich. Immer näher kommen sie sich. Eine heiße Leidenschaft schlägt in den beiden jungen Menschen hoch. Der Krieg ist vergessen. Zwei Menschen gehören sich ganz allein. – Aber bald werden sie auseinandergerissen. Der Student muß wieder in den Graben. Trommelfeuer . . . Gasangriff . . . Schrappnells . . . Granaten . . . Flieger . . . Maschinengewehre . . . Flammenwerfer. – Alle diese gräßlichen Instrumente eines Verderben bringenden Orchesters spielen zu einer grausigen Symphonie auf. Und plötzlich als Paukenschlag eine Minute mitten auf den Unterstand der vier Infanteristen. Ein Donnergetöse, und dann sieht der Student der einzige, der nicht drin ist, daß der Bayer, Karl und der Leutnant verschüttet sind. Mit Leibeskräften beginnt er zu schaufeln. Schnell muß ein Zugang geschaffen werden, sonst ersticken alle. Das Trommelfeuer geht weiter. Rings herum krepieren Schrappnnells und Granaten. – Endlich ist ein Luftloch geschaffen, und nun werden die Kameraden herausgezogen, halb erstickt. – Der Angriff der Franzosen wird abgeschlagen. Aber zum Entsetzen stellt man jetzt fest, daß die eigene Artillerie den Frontabschnitt beschießt. – Der Leutnant will zum Stab telefonieren, aber alle Leitungen sind zerschossen. – Wer will zum Regimentsstab ? Der Student tritt vor. Zögernd betrachtet ihn der Leutnant. Der Junge ist total erschöpft. So hat er vorhin geschaufelt, um die Kameraden zu retten. Aber die anderen sind es nicht minder. Der Leutnant reißt sein Meldebuch heraus und schreibt. Und nun jagt der Student über das Feld, von Granattrichter zu Granattrichter. – Schließlich ist er beim Stab, macht seine Meldung. Die vorn sind gerettet. – Wieder in Ruhestellung. Karl kommt glückstrahlend. Er hat Urlaub bekommen. Er darf nach Hause. In Brüssel wird er viel einkaufen, vor allem recht viel zu essen. Er will es seiner Mutter und seiner Frau mitbringen, denn er weiß, daß die in der Heimat darben und Not leiden, und daß sie auch heldenhaft kämpfen – auf ihre Art. – Die Reise dünkt Kerl eine Ewigkeit. Endlich, fährt er in den heimatlichen Bahnhof ein und nun gehts im Sturmschritt nach Hause. Die Treppen hinauf. Er öffnet, geht ins Zimmer und bleibt erstarrt stehen. – Er findet seine Frau im Bett und bei ihr einen jungen Mann. Karl reißt das Gewehr herunter und richtet es auf seine Frau. – Angstvoll schaut sie ihn an, und neben ihr steht feige der Junge. – Als Karl in das verhärmte, sorgenvolle Gesicht seiner Frau blickt, in dieses Gesicht, in das Not und Entbehrungen der Kriegsjahre ihre Runen gegraben haben, entsinkt das Gewehr seiner Hand. – Er fühlt in diesem Augenblick, daß auch hier in der Heimat der Krieg seine Opfer sucht . . . – Karl sinkt auf einen Stuhl. Seine Mutter kommt, – „Es ist nicht gut, eine junge Frau zwei Jahre allein zu lassen“, sagt sie nur und drückt ihrem jungen die Hand, und dieser Druck sagt mehr als tausende Worte. – Nun ist Karl schon Tage zu Haus. Er freut sich nicht recht. Er hat fast Sehnsucht nach dem Graben. – Zwischen ihm und seiner Frau hat sich eine unsichtbare Wand aufgerichtet. – Seine Frau wartet auf ein liebes Wort von ihm, auf eine Umarmung. Aber er kann nicht, trotzdem er ihr innerlich vergeben hat. Die Tage gehen dahin. Traurig. – Endlich geht der Urlaub zu Ende. Karl nimmt Abschied. Innig umarmt er seine Mutter; seiner Frau drückt er nur die Hand. Sie wirft sich ihm an die Brust. – „So kannst Du nicht von mir gehen”, schreit sie und bettelt mit traurigen Augen um einen Kuß. Aber Karl kann nicht, er wendet sich ab und stürzt hinaus – Endlich ist er wieder draußen und meldet sich beim Regiment und bei der Kompanie. –Viele sind gefallen. Aber der Student, der Bayer und der Leutnant sind noch da. Sie sind wieder bei Yvette. – Und nun gehts hinaus. Das Grabenleben mit all seinen Schrecken, mit seinen Entbehrungen beginnt wieder, – Wieder ist Karl in der Hölle von Eisen und Blut. – Die Stellungen sind schon ganz zerschossen. Von Gräben ist kaum noch etwas zu sehen. Es gibt eigentlich nur Granattrichter. – Es geht zum Angriff. – Schulter an Schulter springen die vier Infanteristen aus dem Graben. Die Kameradschaftlichkeit ist unerschüttert. Aber bald werden die vier auseinandergerissen. Der Student gerät mit einem Franzosen in einen Einzelkampf und fällt. Der Leutnant und die beiden anderen werden schwer verwundet und kommen im Lazarett. In den Fieberträumen sind ein in der Heimat und denn wieder in den Linien bei den hunderttausend anderen Kameraden, die weiter kämpfen und weiter ringen.
Kritik (Georg Herzberg, Film Kurier #123, 05/24/1930):
Bei schon abklingender Saison noch ein großer, schwerer, ernster Film. Ein Kriegsfilm, in dem nicht der Weltbrand deßen Rahmen bildet für Menschenschicksal, sondern in dem der Krieg Star ist und alles andere nebenbei.
Ernst Johannsens Roman schildert zuerst den Krieg, das furchtbare Leiden, das gigantische Ringen im stetigen Trommelfeuer, die Not der zusammenbrechenden Heimat. Es kommen und gehen Menschen in diesem Roman, die Ereignisse konzentrieren sich zuweilen um vier Soldaten, die alle bei einem furchtbaren Sturmangriff ums Leben kommen – aber im Vordergrund steht doch immer der Krieg.
Wir sehen diesen Krieg zum erstenmal im deutschen Tonfilm. Und es ist festzustellen: Die ungeheure Wirkung, die schon von technisch gut gemachten stummen Kriegsfilmen ausging, ist vervielfacht worden. Der Ton gibt dem Kriegsgeschehen erst die lähmende, niederschmetternde Wucht. Geschoßhagel, Minenpfeifen, Maschinengewehr-Tacken, Verwundetenschreie, Todesstöhnen bohren sich in uns hinein. Kein Wunder, daß es Besucher gab, die wie benommen in den Sommerabend des lärmenden Kurfürstendamms hinausgingen.
Ladislaus Vajda übertrug die Handlung ins Filmische. Es ist schwer, seine Arbeit von der des Regisseurs G. W. Pabst zu trennen, da die wichtigsten Stellen es Films von der Technik entschieden werden. Vajdas Drehbuch enthält eine Reihe zündender Dialoge, es leidet aber zum Schluß an mangelnden Steigerungsvermögen, der Film scheint einige Male zuende zu sein und abzuklingen und beginnt dann immer wieder von neuem. Es ist für den Zuschauer schwer, diesen Wellenbewegungen zu folgen.
Der Film ist sowohl bild- wie tontechnisch eine große Leistung. Das Wüten der Granaten ist von kaum zu überbietender Realistik. Ton und Bild ergänzen sich zu einer Symphonie des Grauens, Guido Bagier und Joseph Massolle, beide Pioniere des deutschen Tonfilms, haben an diesen Ergebnis mitgearbeitet.
Die politische Grundeinstellung des Films ist vorsichtiger Pazifismus. Bei den ungeheuren Kosten ist eine radikale Einstellung undenkbar. Es ist besser, daß Millionen ein Dutzend Dialoge hören, die zum Nachdenken Anlaß geben, als daß ein paar Tausende eine glühende Anklage gegen das Kriegsverbrechen erleben.
G. W. Pabst zeigt den Krieg in allen Phasen, er kennt kein Pardon für die Nerven des Publikums. Er fälscht und dreht und deutet und beschuldigt nicht. Bitte sehr, so war der Krieg. Es wurden Menschen verletzt und erstickt und auseinandergerissen und in Schlammlöchern ersänft, so wurden Beine und Arme am laufenden Band amputiert, so zerfleischte Mensch den Menschen. Pabst und sein Autor sind vorsichtig in der Behandlung des Themas, warum dieser Krieg kam und warum überhaupt Kriege kommen. Aber er ist radikal beim Darstellen, daß der Krieg kein Fest für Helden ist, wie es heute wieder frontferne Bierredner der neuen Generation erzählen.
Darstellerisch ist der Film auf Schlichtheit gestellt, große Gesten passen nicht zu der Uebergröße der Ereignisse. Fritz Kampers spielt den fantastisch sich mit dem Schicksal abfindenden Bayern. Claus Clausen, den Leutnant, der sein Inneres mit dem Glauben an den Befehl zugeschüttet hat, Hans Joachim Moebis den blutjungen Studenten, der eben erst Mann wurde ebi einem großängigen Franzosenmädel und so gern noch leben möchte, Gustav Dießl den Landwehrmann, dessen Welt zusammenbricht, als er beim Heimaturlaub seine Frau in den Armen eines Schlächtergesellen findet.
Ueber alle vier ist zu sagen, daß man ihnen glaubt, daß sie da Jahre im Schützengraben gelegen haben, nicht ehr siegesbewußt, nicht mehr ideenbeschwingt, sondern zermürbt und sich fügend in ein unabwehrbar scheinendes Schicksal.
Sie anderen, Jackie Monnier, die Französin, die auf ihr bißchen Jugendglück auch in der großen Zeit nicht verzichten will, Hanns Hoeßrich, die Frau, die, wie es so viele alles tat, weil der Hunger schmerzte. Sonst noch Gustav Püttljer, Else Heller, Wladimir Sokoloff, Carl Ballhaus.
Des Regisseurs technische Helfer sind: F. A. Wagner und Ch. Métain an der Kamera, Karl Brodmerkel an der Tonkamera, Ernö Metzner, der Architekt. Ihre Arbeit und die eines riesigen Stabes der Hilfsarbeiter, von denen Paul Falkenberg, Wolfgang Léo Bagier und Walter Zeiske genannt und viel ungenannt sind, ist nur als Ganzes zu werten. Dieses Ganze ist eine große Leistung. Leo Meyer kann zufrieden sein, seine Leute haben gezeigt, daß sie filmen können.
Und nun die große Frage: Wird man diesen Film sehen wollen ? Die objektive Ansicht des Rezensenten muß da ausgeschaltet werden. Es ist nur festzustellen: Als der erste Kriegsfilm kam, sagten die Fachleute: Das wird bestimmt ein Reinfall. Die Menschen haben so genug von den vier Jahren Krieg, daß sie nicht noch einmal im Kino daran erinnert werden wollen. Diese Ansicht der Fachleute war, wie so oft, falsch. Bisher war so gut wie jeder gut gemachte Kriegsfilm, ob aus- oder inländischen Ursprungs, ein großer Erfolg. Bei der Abstimmung des „Film-Kuriers“ über die vergangene Saison steht der Front-Bericht „Verdun“ an dritter Stelle !
Als vor ein paar Wochen der „Somme“-Film herauskam, bat einer unserer Seizer, nationalistischer Beweggründe bestimmt unverdächtig, ob man ihm nicht da eine Karte besorgen könne. Unsere Frage: „Aber warum gerade zu dem Film, sie waren doch vier Jahre draußen, sie müßten doch genug haben.“ Und er: „Ja sehen Sie, zuerst einmal freut es einen doch, daß man da heil rausgekommen ist, das Nocheinmalerleben der Gefahr hat seinen Reiz. Na und dann, dann will ich meiner Frau zeigen, wie es uns da gegangen ist.“
Diese Antwort dürfte typisch sein: Freude des Heimgekehrten, gefahrloses Nocheinmalerleben – Wollen vom bequemen Sessel aus und Stolz, der Frau zeigen zu können, was man da ausgehalten hat.
Der Ton verstärkt das Erleben. Ob dieses Verstärken größerer Anreiz oder doch schon Abschreckung ist, wird die nahe Zukunft lehren.