Originaltitel: 1914, die letzten Tage vor dem Weltbrand. (Die Herren der Welt, Ausbruch des Weltkrieges.) Historisches Drama 1931; 111 min.; Regie: Richard Oswald; Darsteller: Reinhold Schünzel, Albert Bassermann, Oskar Homolka, Eugen Klöpfer, Heinrich George, Ferdinand Hart, Lucie Höflich, Hermann Heilinger, Theodor Loos, Alfred Abel, Victor Jensen, Alfred Gerasch, Carl Götz, Hans Peppler, Eugen Burg; Oswald-Prod.-Tobis-Klangfilm.
Die 39 Tage vor dem Weltkrieg. Kabinettpolitik treibend die russische Militärpartei, Österreichs zumindest zu Mißverständnissen anlaßgebende Diplomatie Deutschland in seinen Entschließungen nicht frei, Frankreich indifferent, England zaudernd. Letzte Bemühungen, durch verwandschaftliche Beziehungen der Monarchen zu bremsen. Schließlich Nehmen der letzten Hindernisse. Der erste Schuß im Weltkrieg trifft den französischen Pazifisten Jaurès.
Zusammenfassung
Der letzte Sonntag im Juni 1914. Das Volk von Sarajewo drängt sich auf den Straßen, bejubelt den Erzherzog-Thronfolger, der seinen Einzug hält – da krachen zwei Revolverschüsse … und eine Stunde später meldet dem 84jährigen Kaiser Franz Josef sein Generaladjutant, aufs Tiefste erschüttert, daß der zu seinem Nachfolger auserwählte Erzherzog ermordet ist.
Kronrat in Ischl. Graf Berchtold, der österreichische Außenminister, fordert energisches Einschreiten gegen Serbien, das die Fürstenmörder unterstützt hat, der Generalstabschef Conrad schließt sich ihm an, nur Graf Tisza ist gegen einen Krieg, und der alte Kaiser gibt ihm recht. Er will keinen Krieg. Berchtold läßt in Berlin anfragen, Reichskanzler von Bethmann-Hollweg versichert ihm, daß der deutsche Kaiser seinen Bündnispflichten gemäß treu an der Seite Österreichs stehen werde, aber er wünscht, ebenso wie der Kaiser, dringend eine Lokalisierung des Konflikts. Graf Berchtold arbeitet die Note aus, in der die Monarchie von Serbien Genugtuung fordert – und Bethmann ist sehr peinlich überrascht, wie er das Dokument liest. Das entspricht ja nicht den Besprechungen? Er will die Note mildern, ja abändern lassen – aber sie ist schon abgesandt und wird am nächsten Tag in Belgrad übergeben. In Belgrad ist man im ersten Augenblick ratlos. Der alte König Peter will die Bedingungen Österreichs annehmen, so schwer sie sind, Kronprinz Alexander und der greise Paschitsch sind aber anderer Meinung. Sie wenden sich an den Zaren um Hilfe und Beistand. Der große slawische Bruder soll Serbien gegen Österreich unterstützen. Alexanders Telegramm an den Zaren geht ab, und damit verschiebt sich der Schwerpunkt der Ereignisse nach Petersburg.
Der Zar antwortet, von Sasonow beraten, daß er Serbien beistehen werde. Die serbische Regierung, die fieberhaft auf das Eintreffen des Zarentelegramms gewartet hat, läßt nun ihre Antwort auf die österreichische Note überreichen. Der österreichische Gesandte, Baron Giesl, findet sie ungenügend und reist ab.
Österreich macht mobil. In Berlin ist man anderer Meinung. Kaiser Wilhelm II. findet die serbische Note „eine brillante Leistung für die kurze Frist“. Er hätte darauf „nie mobil gemacht, und Giesl hätte ruhig in Belgrad bleiben können“. Schon beginnt Berlin zu vermitteln – aber jetzt hängt alles von Petersburg ab. Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch fordert von dem Zaren die Mobilmachung. Keine Teilmobilmachung gegen Österreich, sondern die allgemeine Mobilmachung. Der Zar sträubt sich – eine allgemeine Mobilmachung würde sich ja gegen Deutschland richten! Aber Nikolaj hat auch Sasonow für sich, und die Generäle, die um jeden Preis losschlagen wollen. Petersburg wird zum Brandherd des Weltkrieges. Vergebens versucht die Zarin ihren Gatten zurückzuhalten, er führt zwar auf der einen Seite einen ständigen Telegrammwechsel mit dem deutschen Kaiser, läßt sich aber von seiner Umgebung doch beeinflussen und befiehlt die allgemeine Mobilmachung. Deutschland bleibt nichts weiter übrig, als sich zu wehren.
Der Zustand der drohenden Kriegsgefahr wird verkündet – nochmals versucht es der Kaiser, auf Rußland einzuwirken. Eine zwölfstündige Frist wird Rußland gegeben, die Mobilmachung zurückzuziehen. Den 1. August punkt 12 Uhr mittags erscheint der deutsche Botschafter Graf Pourtales zum letzten Male bei Sasonow, um das eine Wort zu hören, das den Weltkrieg und die Weltkatastrophe aufhalten würde – aber das eine Wort wird nicht ausgesprochen. Pourtales verläßt Petersburg. Noch scheint eine Hoffnung zu bestehen, noch sträubt sich England, aber Frankreich erklärt sich schon bereit, an Rußlands Seite zu treten, Paris mobilisiert, England wird überredet . . . und in dem kleinen „Cafe Croissant“ zu Paris fällt durch zwei Revolverschüsse der einzige Mann, der vielleicht noch das Unglück aufhalten könnte: Jean Jaures, der Führer des französischen Volkes.
Der erste Schuß im Weltkrieg traf einen Mann, der nur für den Frieden lebte . . .
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #017, 01/21/1931):
Richard Oswald setzt die mit „Dreyfus“ so überaus erfolgreich begonnene Linie seiner, Geschichts-Bildberichte fort.
Er und seine Mitarbeiter sind diesmal zur Gegenwart vorgedrungen. Sie hatten sich an einem Thema zu erweisen, dessen Behandlung zu den Lebensnotwendigkeiten der mitteleuropäischen Gemeinschaft gehört: Juli 1914.
Die Tätigkeit des Oswald-Kollektivs hat sich darauf beschränkt, den äußeren Verlauf der Ereignisse nachzuzeichnen. Das dem Zuschauer sich einprägende Fazit ist es, das von der Kinowand Eindrücke stärkster Art vermittelt.
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Selbstbegrenzung des Problems: „Die 39 Tage vor dem Weltkrieg” Weitere Einengung: Zusammenfassung und Aufhellung jener Politik der Kabinette. Dies nicht, ohne daß hernach die Konsequenz durch Jaurès gezogen wird.
(Was hinter der Politik stand, die über die Auswärtigen Aemter ragenden Schatten großindustrieller Werke –, den Hintergrund auszuleuchten, das wäre eine Aufgabe für sich.
Als Beispiel etwa die Internationale der Rüstungs-Industrie von Krupp und Skoda über Armstrong zu Creusot. Zugleich die Konkurrenz der Militärs aller Länder; mit dem Ausblick:
Daß der Krieg kommen mußte, war ebenso klar nach der wirtschaftlichen Entwicklung wie nach der politischen. Jahre zuvor hat ein Franzose vor ihm gewarnt: F. Delaisi.
Der Betrachter von Zusammenhängen konnte die Linie eben durch Jahrzehnte bis zur Schürzung des Knotens vorherzeichnen.)
Zusammengefaßt: Der Film deckt, beginnend mit dem Attentat von Serajewo, den politischen Komplex auf; jene Schüsse also der „serbischen Hunde“.
Als Ergänzung erscheint der Hinweis auf das Vorhandensein serbischer Schweine – die durch Preisunterbietung eine Schutzzollbewegung in Ungarn und damit weiteren Konfliktstoff ergaben – nicht unwichtig.
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Ein Drama passiven Heldentums blendet auf.
Führer, die nicht imstande sind, Kombinationen zu erkennen; Verantwortliche, die es hinterher nicht gewesen sein wollen. Diplomaten, mit dem ganzen Pomp der Souveränitäts-Ideologie Kleine Spieler – deren Einsatz die Völker mit Jahrzehnten von Blut und Elend bezahlten.
Auf Petersburg richtet sich der Scheinwerfer. Sein Lichtkegel tastet die auch für die anderen Länder gültigen Wechselbeziehungen zwischen Politik und Armee ab.
An der Newa ist man von der Notwendigkeit kriegerischer Auseinandersetzungen überzeugt und arbeitet darauf hin. In Frankreich tut man nichts zur Verhinderung. Engand, als einzige Macht, tut nicht mit und überläßt die Verantwortung den anderen.
Und die Gegenseite, Deutschland-Oesterreich?
Das Wort hat der Sachverständige, Dr. Eugen Fischer, Kenner der einschlägigen Literatur. Erst jüngst hat er vor Vertretern der Presse ausgeführt:
„Fraglos liegt bei den kaiserlichen Regierungen von Deutschland und Oesterreich ein Teil von Schuld vor. Ueber das Maß sind die Meinungen geteilt, die Autoren des Films „1914” jedenfalls vertreten die mildere Richtung.”
Um im Fach zu bleiben: Die Weiteinstellung ist klar; indeß sich bei den Nah-Aufnahmen einige Unschärfen ergeben.
Das erweist sich, stärker noch als in der Anlage, durch die Besetzung der Staatsleute. Albert Bassermann, der dem Bethmann-Hollweg Energie verleiht und ein Format, das in Wahrheit nicht vorhanden war. Und, als Graf Berchthold, Albert Abel; weniger Viveur und Hasadeur, dafür mit menschlichen Untertönen, die nur der Double hat.
Immerhin wird auch so das Versagen der Diplomatie evident, ihre allmähliche Ablösung durch die Fachleute vom Generalstabstisch.
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Europäisches Geschehen ist von Fritz Wendhausen und Heinz Goldberg in den Ablauf eines Kino-Abends gepreßt. Auf das Wesentliche gebracht, in eine Form, die eine Zuspitzung der Konflikte auch in sich dramatisch widergibt.
Weit mehr als Tatsachenbericht ist das; eben nicht nur Reportage. Sondern: Gestaltung, Zusammenfassung, Herausarbeitung. Und das, mit Nur-Dialogen, ohne eine Minderung der Spannung.
Eigene Leistung, Autoren-Leistung.
Gleichwertige Mitarbeit kommt vom Architekten her. Franz Schroedters Bauten erst differenzieren den ständig wechselnden Schauplatz der Handlung. Sie geben durch die Wirkungen der Raum-Atmosphäre dem Akustischen die Resonanz; dem Zuschauer somit die volle Illusion.
Feinste Unterschiede zwischen der Bürokratie in der Wilhelmstraße und dem konservativen Raum in Downing Street. Russische Hofpracht und balkan-europäischer Appendix der Serben.
Welche mitschaffende Ueberlegung noch bei Teil-Ausschnitten: Das russische Haupttelegraphen-Amt – nicht für es gebaut, installiert in einem vor Erfindung des drahtlosen Verkehrs errichteten Gebäude; Verblichenheit eines betont bürgerlichen Boulevard-Cafés. Prachtvoll.
Tatsachen-Photographie von Mutz Greenbaum. Ton-Aufnahme von Charles Metain. Präziser Ton- und Bildschnitt von Paul Falkenberg.
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Auf das Ensemble verwendet Richard Oswald auch diesmal wieder besondere Sorgfalt.
In den kleinsten Rollen noch spielen ausgezeichnete Darsteller. Sprecher: Ferdinand Hart, Leo Reuß, Theodor Loos, Fritz Alberti, Viktor Jensen, Karl Gerhardt. Paul Mederow, Fritz Odemar, Eugen Burg.
Namen wie Heinrich Schroth, Ernst Dernburg, Lucie Höflich, E. A. Licho, Hugo Flink, Viktor de Kowa, Eugen Klöpfer, Alfred Gerasch, Michael von Newlinski, Carl Balhaus, Heinrich George, Paul Bildt, Bernhard Goetzke.
Als Zar gibt Reinhold Schünzel eine Meister-Studie des Naturalismus. Unsicherheit in Bewegung und Blick; Stimm-Schwankungen, Moment Uebergänge. Wertvollste Reproduktion. Der Gegenspieler, Oskar Homolka, ist von gestalteter, nicht wirklicher Indifferenz. Ein Charakter-Porträt.
Einmal noch tönt die Stimme Hans Pepplers; ein Schemen nur. Weiter . . ., vorbei.
Des Schlusses Friedens-Apotheose kommt durch Alexander Granachs metallene Stimme zum Klingen.
Wo auf der ganzen Welt gibt es ein Reservoir, so unerschöpflich reich an Darstellern von Namen und Können, wie in Deutschland? (Man muß es nur zu nutzen verstehen.)
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Der Tod des Jaurès rundet diesen Film. Ermordung des einzigen Mannes, der in der europäischen Disharmonie die Posaune des Gerichts handhabte.
Die Massen geht der Film und sein Thema an. Sie werden und müssen es zur Kenntnis nehmen, es durch Fortführung der Debatte vertiefen.
Heut schon, wo kein großer Abstand uns von jener Zeit trennt? Heute mehr denn je. Denn die Frage der Kabinett-Politik und ihrer Folgen ist eine Lebensfrage geworden.
Ein Film für alle: nicht zuletzt für die Jugendlichen, die aus ihm Belehrung nehmen können.
Der Ernst, mit dem er geschaffen wurde, macht es zur Pflicht, die ihm innewohnenden volksbildenden Qualitäten auszunutzen.