Originaltitel: Zwischen Nacht und Morgen. (Dirnentragödie.) Sittendrama 1931; 80 min.; Regie: Gerhard Lamprecht; Darsteller: Aud Egede-Nissen, Rolf von Goth, Oskar Homolka, Dorit Ina, Olga Limburg, Eduard von Winterstein, Bernhard Goetzke; Biograph-Lignose-Breusing.
Ein alterndes Freudenmädchen, das sich spontan in den verlorenen Sohn einer guten Familie verliebt, ihren Zuhälter an die Luft setzt, läßt aber eine Kollegin von diesem ermorden, als sie ihr den Jungen wegnimmt.
Zusammenfassung
Emma, eine alternde Dirne, teilt mit Anton, ihrem Zuhälter, und Clarissa, einer jüngeren Berufsgenossin, die gleiche Wohnung. Eines Nachts begegnet sie Paul, einem jungen Mann aus gutem Hause, der nach einem Streit die elterliche Wohnung verlassen hat und nun rat- und ziellos durch die Straßen wandert und nimmt sich seiner an. Eine tiefe und ehrliche Liebe für den jungen Menschen erfaßt sie und eine große seelische Wandlung geht mit ihr vor. Sie gibt Anton den Abschied, um an der Seite Pauls ein anderes Leben zu beginnen. Durch eine Intrigue sucht Anton sie zurückzugewinnen. Er bringt Paul mit der jungen und hübschen Clarissa zusammen. und weiß Emma davon zu überzeugen, daß ihr Geliebter sie betrogen und verlassen habe. In einem ungeheuren Aufruhr von Schmore, Enttäuschung und Rachegefühl, überredet Emma ihren früheren Gefährten, Clarissa zu ermorden und verspricht ihm. dann zu ihm zurückzukehren. Zu spät kommt sie zur Erkenntnis des wahren Sachverhalts. Als sie Anton von seinem Vorhaben zurückhalten will, ist die Tat bereits ausgeführt. Um zu sühnen, stellt Emma sich freiwillig der Polizei.
Kritik (-ner., Film Kurier #187, 08/31/1931):
Asta Nielsens Dirnentragödie, die vor Jahren dem jungen Regisseur Bruno Rahn einen Premierentag, Erfolg und den Tod brachte, ist von Gerhard Lamprecht zum Tonfilm umgeschaffen worden.
★
Mit der Nielsen kann Lamprecht hier nicht rechnen. So verlegt er den Schwerpunkt, die Tragödie der einzelnen wird eingewoben in das Bild und Tonmosaik einer Umwelt.
Nahe der Verrufenen-Atmosphäre, liegt Lamprecht das Annonyme des Zurufs der Gasse, des Ton-Momentbildes vom verräucherten Bouillonkeller. Jener Wortwitz der Straße, der im Vorbeiflanieren fällt, ein keifendes Weib auf der Treppe – alle diese Impressionen des scheinbar Zufälligen, die beim Tonfilm zum Visuellen treten, die Herbert Juttke, sein Autor, ihm hier zuspielt, holt er auf seine abwägende Art heraus.
Der Ton untermalt für ihn das Milieu, er bringt den Laut des (Strich-)Alltags an, wo er kann – überbetont oft fast wie zu den Anfängen des Tonfilms – und er darf sich das erlauben.
Schritte nutzt er als Pausen vor dem Drama, als Ritardando, immer wieder läßt er seinen Kameramann Karl Hasselmann mit den Tonmeistern Schröder und Radde das Treppen-Hinaufsteigen, den Gang durch Straßen, vom Manuskript bedingt, im bewußt langsamen Ausspielen verfolgen, er ist hellhörig für jede Tür, die sich öffnet.
Wenn Juttke im Dialog geschwätzig wird, versagt auch Lamprecht, dort fehlt ihm heute noch die Disziplin. Nur wo der Ton nicht Selbstzweck bleibt wo er Mittel zur Handlungs-Ausdeutung sein darf, haftet der Eindruck.
★
Seltsam, wie Lamprecht bei seinem zweiten Tonfilm Momente des Stummfilms mit hinübernimmt, wie er den Dramenhöhepunkt durch Becces (recht routinierte) Musik zu stützen sucht. Musik, bei der er nicht einmal den Versuch macht, sie zwingend einzubauen, die er lediglich von außen her als Steigerung wertet.
Auch Egede Nissen kämpft mutig mit dem Schatten ihrer großen Vorgängerin; gelegentlich hat sie einen dunklen Timbre in der Stimme, der zur Rolle paßt, doch dann wieder wird sie larmoyant, melodramatisch.
Eine Lücke ist da, et ist nicht anders, man denkt an das Spiel der Augen und Hände der Nielsen, an eben angedeutete Gesten. (Möglich, daß die Nielsen, wenn sie den Mund auf getan hätte, enttäuschen könnte: doch schade, daß man das Experiment nicht versuchen konnte. Hat es, wie behauptet wird, an der heute so stark debattierten Starforderung gelegen?)
Oskar Homolka, in der Zuhälterrolle von einst, holt sich den Erfolg. Betulich, jovial, mit den Schwächen des Starken, der am mächtigsten nicht allein ist, kleiner Rentner, der um seine Straßenpfründe bangt, so spielt er ihn. Eine ausgezeichnete Leistung.
Daneben die anderen: pointiert Eduard von Winterstein, Rolf von Goth passiv in der passiven Rolle, für ein paar Momente markant Bernhard Goetzke. Frisch und unbeschwert durch das Mikrophon Dorit Ina.
Die Bauten sind von Otto Moldenhauer dem Milieu angepaßt.
Das Lignose-Breusing-Lichtton-System kommt in dem akustisch diffizilen „Titania-Palast“ zur Geltung.