
Originaltitel: Der Weg nach Rio. (Mädchenhändler an der Arbeit!) Mädchenhändlerdrama 1931; 82 min.; Regie: Manfred Noa; Darsteller: Maria Matray, Senta Söneland, Hertha von Walther, Oscar Marion, Oscar Homolka, Louis Ralph, Kurt Gerron, Julius Falkenstein, Eduard von Winterstein, Angelo Ferrari, Ernst Reicher; Lothar Stark-Klangfilm.
Da gewaltsame Verschleppung unter Strafsanktion, gilt es das Opfer mürbe zu machen . . . Ein Pärchen. Schwarzfahrt, tödlicher Unfall, Flucht. Er wird eingesperrt; sie nimmt ein „Engagement“ nach Rio an. Dort der usuelle Weg nach abwärts. Bis er freikommt und sie findet, ist es zu spät.
Zusammenfassung
Schrei auf der Landstraße. Im 100 – km – Tempo ist ein Kind überfahren worden. Die Schuldigen fliehen blindlings davon. Landen in Hamburg in einer kleinen zweifelhaften Pension. Verstecken sich. Ende einer leichtfertigen Schwarzfahrt. Inge, das Tippmädel, hat am Steuer gesessen, neben ihr der Wagenwäscher Karl, ihr Bräutigam, dessen Bild jetzt die Zeitungen bringen. 500 Mark demjenigen, der zu seiner Ergreifung verhilft! – Bertha, die Pensionsinhaberin, hat den Braten längst gerochen. Als der Mädchenhändler Ricardo Gabiano aus Rio bei ihr ein Mädel sucht, das er seinem Freund Felice als Ersatz für die ausgespannte Braut Marietta überreichen kann, da vermittelt ihm Bertha unschwer die hilflose Inge als Sekretärin. Karl macht Schwierigkeiten. Aber Berta verspricht, ihn mit einem falschen Paß in Kürze nachzuschicken. Inge fährt mit Ricardo Gabiano auf dem nächsten Dampfer nach Südamerika. Karl wird am Tage nach der Abfahrt in Berthas Pension von der Polizei verhaftet und wandert für Monate ins Gefängnis. – Für Inge beginnt mit der Ankunft in Rio ein seltsames Geschick. Sehr bald merkt sie, daß ihre Stellung als Privatsekretärin des reichen Plantagenbesitzers Gabiano Schwindel ist Ricardo hat sie ohne weiteres dem Zuhälter Felice übergeben, der sie zum Direktor Barera des Casino International bringt. Dort wird Inge Mitglied einer merkwürdigen Damenkapelle, deren Mitglieder lautlose Instrumente spielen, dafür aber von den Gästen durch Telefon an die Tische bestellt werden können. Inge kommt schnell hinter den wahren Sachverhalt, verschafft sich die Adresse Gabianos und will diesen zur Rede stellen. Gabianos Freundin Marietta klärt sie über die Trostlosigkeit ihrer Lage auf. Verzweifelt sucht Inge in der fremden Stadt eine Stellung. Monate ohne Erfolg. Bis sie als reife Frucht in die Hände Muchicas fällt, eines Lebemannes, der ihr längst nachstellt. In dieser Verfassung trifft sie mit Gabiano zusammen, der ihre auf- flammende Wut schnell mit der Drohung erstickt, Karl der Polizei zu verraten. Resigniert wandert sie in das Casino International zurück, wird Stimmungssängerin, Tänzerin, sinkt von Stufe zu Stufe, bis sie eines Tages völlig zusammenbricht. Mariettas Mitleid nützt ihr nichts. Gabiano, der sein ganzes Geld verspielt hat, verkauft sie in eine üble Hafenspelunke, in die „Grüne Kugel”, die letzte Station der verlorenen Mädchen. – Karl hat seine Strafe abgebüßt. Sein erster Weg ist zur Polizei, um Inge Hilfe zu bringen. Aber die herbeigeholte Bertha kann beweisen, daß Inge freiwillig und ohne Zwang mit Gabiano nach Rio abgereist ist Die Polizei ist machtlos. Man verweist Karl an die Liga zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels. Hier erhält er die Mittel zur Reise nach Rio. Die dortige Polizei sucht mit ihm nach Inge. Aber Gabiano ist nicht zu finden. – Schon gibt man die Hoffnung auf. Da verrät Marietta im letzten Augenblick Inges Aufenthalt. – Als Karl mit den Kriminalbeamten in der „Grünen Kugel” eintrifft hört er einen markerschütternden Schrei. Inge, von Gabiano mit der Peitsche zum Bleiben gezwungen, stürzt auf der Flucht vor ihrem Peiniger in den Hof hinab. – Während Gabiano verhaftet und abgeführt wird, beugt sich der junge Mann voll Jammer über das reglose Mädel – Es wird ein schwerer Weg werden, bis die arme, kleine Inge über die Monate in Rio hinweggebracht ist. – – Aber Karl, der ihr übers Meer gefolgt ist, um sie zurückzugewinnen, wird sicherlich auch dieses Ziel erreichen. – –
Kritik (E. J., Film Kurier #013, 01/16/1931):
(Sei gegrüßt, viel tausendmal,
Holder oller Kientopp):
Da wird uns ein Stückchen erzählt
Von Inge, dem leichtsinnigen Mädchen;
Wenn eine die Moritat tat,
Dann käme sie wohl unters Rädchen, schrumm, schrumm.
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Die gehen aber ran an die Schlepper und Penner von Rio; sozusagen gewerbsmäßige Mädchen-Retter: B. E. Lüthge und Marg, Maria Langen.
Eine Novelle von W. E. Fr. Nietzsche benutzen sie, in der das traurige Abenteuer von dem Tippmädel Inge Weber berichtet wird, die mit ihrem Wagenwäscher Plattke auf einer Schwarzfahrt ein Kind überfährt, nach Hamburg flieht und in St. Pauli einem von Rio in die Fänge gerät.
Ein richtiger verbotener Schmöker wurde zusammen gebraut. Bordelle in allen Preislagen, Gentleman-Zuhälter mit Privatgefühlen und publiken Gemeinheiten. Dazwischen ein dummes blondes Mädelchen. Das Verworfene in dem Musterexemplar von Pensionswirtin (Senta Söneland!) fast liebenswürdig, die Tragik von Strafgefangenen durch sanfte Scherze aufgeheitert.
Glaubt irgendwer an einen „edlen Zweck“ solchen Mädchenverschlepperfilms? An den Ernst seiner Warnungen? Ich nicht. Seine Tendenz: Gruseln machen, verdutzten, packen, brutal chokieren; die Mehrzahl der Kinobesucher besteht bestimmt nicht aus Mädchen, die sich nach Rio verschleppen lassen.
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Ueber die Frauen, die sich täglich, nächtlich in jeder Stadt „verschleppen“ lassen . . . über die geduldete, verschwiegene, offene Prostitution – – müssen alle Filme schweigen.
Die Mädchenhändler-Romantik wie in diesem Film rührt nicht an zentrale Fragen der menschlichen Gesellschaft.
Immerhin: auch dieses Märchen zeigt eine wehre Seite. Beachtlich und einschärfend: Die unzureichende Abwehrmaßnahme der Gesellschaft gegen Laster und Verbrechen. Die Polizei: ohnmächtig, die Kupplerin zu fassen … weil das Gesetz eine Lücke hat. Eine sehr nachdenkliche Szene dieses Films.
Denn die Gauner triumphieren hier. Noch bei der Verhaftung trumpft der Mädchenschieber auf, der das Weib eben in den Tod trieb: wenn er im Zuchthaus umkommen würde, wäre er wenigstens „im Beruf“ gestorben.
In der Zeichnung der Gentleman-Schufte sind die Autoren konsequent. Diese tierische Masse von Untermenschen, quallig, bösartig und lächelnd mordbereit, mit einer falschen Gutmütigkeit unter den „Fach“-Kollegen – diese Filmfiguren fesseln; sie formen ein Schaubild der Unterwelt, wie es im deutschen Tonfilm so unverhüllt, so kraß, so eindeutig noch nicht zu sehen war.
Ja, man muß den Autoren darüber hinaus eine keineswegs alltägliche szenische Formgewandtheit nachrühmen, die auch die Produktionsleitung von Potok und Manfred Noas Inszenierung auszeichnet.
Die Handlung stockt nirgends, die Szene ist durchdacht, deutlich klingen Pointen in jedem Handlungsausschnitt: viel optischer Witz mit allerlei kuriosen Einfällen (wie der „Handbetrieb“ des Grammophons) paßt sich dem Milieu an.
Das optische Uebergreifen, die stumme Bezüglichkeit von Handlungsmotiven ist hier nicht erstrebt, dafür wird (das ist die einfachere Tonfilm-Form) Szene an Szene „montiert“, ergänzt, umgelenkt oder gesteigert, je nach dem Bildsinn. Wo der Film ins Lächerliche treibt, führt ihn ein entscheidender Schritt zu neuen Einstellungen. Durchaus nachahmenswert. Das ist eben kein „gefilmtes Theater“: aber die einfachste (doch zulässige) Tonfilmart.
Das Gauner-Ensemble: unter Führung von Kurt Gerron. (Man gratuliere ihm zu seiner New Yorker Presse.) Er ist hier ein gelockerter Jannings in einer Nebenbei-Episode. Der Harte spielt einen „Weichen“, buch nein. Man muß ihn schwitzen sehen . . . oder den Männerchor der Verbrecher dirigieren. Er versöhnt mit allen Geschmacklosigkeiten. Das ist ein Doppelzentner-Erfolg.
Oskar Homolka – der freundliche Böse. Jedes Wort, jeder Griff wird ihm geglaubt. Seine Kumpane – vor allem Louis Ralph –, Ferrari, Wartau ausgezeichnet. Die St.-Pauli-Falle bevölkern Senta Söneland und Eugen Rex mit zwei gefährlichen Typen. Auch Alexa von Poremsky zwingt nun schon beinahe das ganze „Ssss“ dem Mikrophon ab. Wird schon noch.
Das Mädchen mit dem blonden Pech: Maria Solveg. Einfaches, ungeziertes Geradehin-Spiel diesmal. Ihr Weg nach Rio ist mit dem guten Vorsatz des Starverzichts gepflastert. So entsagt sie falschem Theatertun und passiert auch gefährliche Spielklippen. Tiefere Ueberzeugungskraft ist ihr nicht gegeben.
Oskar Marion: echt im Ton, Hertha von Walther: ein Dirnchen mit Gemüt Winterstein, Reicher, Pütjer, Greiner (mit einem kurzen, auffallenden Ton-Meterchon) sind zu nennen.
Groß der technische Aufwand. Sohnle und Erdmanns Bauten sind mehr als das übliche Klischee, der Ton meist ganz hervorragend und originell verwandt (Walter Rübland im Mozartsaal gehört, bei hervorragender Steuerung). Kamera: Willy Goldberger und Akos Farkas. Können sich sehen lassen. Auch dort, wo sie mit Licht kitschen, daß die Sternlein am Tanzkleid funkeln.
Der Musik darf man nachloben, daß sie nicht stört. (Was aber dient dem Regisseur des Films ein letztes Loh?)
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Alte Schmökermoral in neuer Luxusausgabe. Kolportage in Bravourtechnik. Das Anrüchigste als Edel-Parfüm. (Kino-Herz, was willst du mehr?)
Schrumm. Schrumm.