Originaltitel: Der Hauptmann von Köpenick. Tragikomödie 1931; 100 min.; Regie: Richard Oswald; Darsteller: Max Adalbert, Paul Wagner, Hermann Vallentin, Max Gülstorff, Friedrich Kayßler, Hermann Speelmans, Fritz Odemar, Paul Otto, Käthe Haack, Ilse Fürstenberg, Hans Wassmann; Roto-G. P.-Tobis-Klangfilm.
Vorkriegsdeutschland Einem wiederholt vorbestraften Schustergehilfen wird ohne Arbeit kein Paß, ohne Paß keine Arbeit gegeben. Er besetzt als falscher Hauptmann das Rathaus von Köpenick, verhaftet Bürgermeister und Kammerer, beschlagnahmt die Kasse, stellt sich nachher gegen Zusicherung der Ausfolgung eines Passes der Polizei. Erhält ihn endlich nach seiner Begnadigung.
Zusammenfassung
Wilhelm Voigt, Schuhmacher, 23 Jahre Zuchthaus und Gefängnis wegen Posturkundenfälschung, Irreführung der Behörden, Falschmeldung, Paßvergehen in fortgesetzter Rückfälligkeit. Dieser Wilhelm Voigt wird aus Plötzensee entlassen. Er hat keine Papiere außer seinem Entlassungsschein. Er will arbeiten. Aber wo er um Arbeit bittet, fragt man ihn nach seinen Papieren. Ohne Papiere kriegt er keine Arbeit, ohne Arbeit gibt’s keine Papiere, es ist wie ein Karussell. Wilhelm Voigt will einen Paß haben. Der Paß wird ihm zum Inbegriff wiederzuerlangender bürgerlicher Gleichberechtigung. Er will einen Paß haben, mit Grenzvisum, damit er in ein anderes Land gehen und sein Vorleben begraben kann. Aber man gibt ihm keinen Paß. Es erklärt sich niemand zuständig dafür. Da bricht Wilhelm Voigt in ein Polizeirevier ein. Er will sich seinen Paß selbst ausstellen. Er wird dabei erwischt. Zehn Jahre Zuchthaus wegen schweren Einbruchs in ein Amtslokal. 23 + 10 = 33.
Inzwischen beginnt die Geschichte einer Uniform. Von Schlettow, Hauptmann in x-ten Garderegiment zu Fuß, läßt sich bei Hoflieferant A. Wormser, Militäreffekten, einen neuen ihn zu tragen. Im Café National geht ihm der Gaul durch. Er ruft sich in Zivil mit einem Grenadier herum, der betrunken ist und randaliert. Endresultat: Schlichter Abschied. Die neue Uniform wandert in Kommission zu Hoflieferant Wormser zurück und wird prompt an den frischgebackenen Reserveleutnant Dr. Obermüller aus Köpenick weiterverkauft. Während Wilhelm Voigt seine zehn langen Jahre absitzt, wird Dr. Obermüller Bürgermeister von Köpenick und dick. Das Kaisermanöver beginnt, und Obermüllers Waffenrock ist zu eng. Wormser liefert eine nagelneue Montur und nimmt die alte in Zahlung. So kommt die ehemals Schlettowsche Paradeuniform zum Trödler Krakauer und wartet auf Wilhelm Voigt.
Der hatte im Zuchthaus Sonnenburg allerlei Zeit, darüber nachzudenken, wie er zu seinem Paß kommt. Er beschäftigt sich mit Dingen, die ihn weltberühmt machen sollen. Es gibt eine Gefangenenbibliothek mit Exerzierreglement und Felddienstordnung. Es gibt militärische Marotten des Anstaltsdirektors, die Wilhelm Voigts Studien unterstützen. Zehn Jahre lang. Dann wird Voigt entlassen und will es noch einmal auf ehrliche Weise versuchen. Er sucht seine Schwester in Rixdorf auf, lernt seinen Schwager Hoprecht kennen, einen ehrlichen Mann, der Wilhelm Voigt Mut macht. Aber die Polizei macht Wilhelm Voigt keinen Mut. Nun hätte er endlich eine Heimat gefunden, aber im Briefkasten liegt die Aufweisung.
Da gibt Wilhelm Voigt seinen Versuch mit der Ehrlichkeit auf. Er will einen Paß. Geht es nicht auf diese Weise, muß es auf eine andere gehen. In Krakauers Trödelkeller kauft er die alte Schlettowsche Uniform, die auf ihn wartet. Auf dem Schlesischen Bahnhof zieht er sie an, hält beim Plötzenseer Krankenhaus die Schwimmschulenwache an, einen Gefreiten und fünf Mann, fährt mit ihnen vom Bahnhof Pulitzstraße nach Köpenick, besetzt das Rathaus, verhaftet den Bürgermeister Dr. Obermüller nebst Stadtkämmerer Rosenkrantz, beschlagnahmt die Stadtkasse und läßt die Gefangenen zur Neuen Wache Unter den Linden bringen. Die Aktion klappt wie am Schnürchen, aber Wilhelm Voigt hat keinen Paß. Im Rathaus Köpenick gibt es keine Paßabteilung, das hat er nicht gewußt. Während die Welt über den Schusterstreich dröhnend auflacht, geht Wilhelm Voigt auf die Paßzentrale des Polizeipräsidiums und verspricht gegen Ausstellung eines Passes den „Hauptmann von Köpenick” und die Stadtkasse auszuliefern. Sensation am Alexanderplatz! Es gibt zuerst noch einmal Plötzensee, aber dann kaiserliche Begnadigung und dann – den Paß. Nun hat er ihn und freut sich trotz der schlohweißen Haare, die er darüber gekriegt hat. Und er will gar kein Grenzvisum mehr haben. Er will nicht in fremder Erde begraben werden. Jetzt will Wilhelm Voigt in Deutschland bleiben. Denn jetzt hat er seinen Paß!
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #300, 12/23/1931):
Das war vor Jahren einmal im Großen Schauspielhaus zu Berlin:
Das Riesenrund des Raumes, gefüllt von Zuschauern, unter die man Statisten gemengt hatte. Unten auf der Bühne; weit vorgeschoben ins Parkett, das Revolutionstribunal. Und vor seinen Schranken Paul Wegener als Danton.
Eine sinnlos dumme Verdächtigung wird ihm entgegengehalten. Seine Antwort ist Lachen, Lachen, Lachen. Es dröhnt werbend, ansteckend, durch den Raum. Alles lacht mit, Statisten, Schauspieler, auch die Zuschauer. Und von einem Orkan wird die Anklage hinweggefegt.
So inszenierte im Jahre 1920 Max Reinhardt. Aehnliche Stimmung, seitdem nicht wieder erzeugt, wurde gestern im Mozartsaal ausgelöst. Ein Stück aus dem Volke, ein Bild deutscher Vergangenheit ward heraufbeschworen.
Schemen haben für zwei Stunden Lebensgestalt erhalten. Noch einmal legt der Schuster-Hauptmann das Getriebe der Vorkriegswelt durch seinen Handstreich offen: Der Einzelne gegen die Rangordnung; der Paßlos-Unklassifizierte im Kampf um die bürgerliche Aberkennung.
Und wieder braust Gelächter auf, will nicht abebben. Der fröhliche Zuckmayer stimmt es an, Max Adalbert ist Ursache und ungesuchter Mittelpunkt. Der alte Filmkämpe Richard Oswald mag selbst seine Freude daran gehabt haben, bei der täglich sich erneuernden Filmarbeit.
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Es ist ein befreiendes Lachen, das von Stoff. Verpassung, Darstellung ausgeht. Hier wird nicht karikiert und schon gar nicht frisiert. Sondern eine historische Episode als Objekt der Heiterkeit wiedererweckt.
Der alte Geist von anno 09 ist materialisiert. Eine Atmosphäre von unheimlicher Echtheit, von greifbarer, begreifbarer Nähe geht von dieser Ruck-Zuckmayer-Dichtung aus.
Ein Gefängnis-Heldenleben blendet auf. Einer, der fast ein viertel Jahrhundert seines Lebens auf Staatskosten hinter Mauern zugebracht hat – und immer nur um ein paar Lappalien – sucht den Weg ins Leben, kann ihn nicht finden, denn der Vorbestrafte muß ständig in die Räder der Maschine geraten, in dieses Getriebe, das ihn ohne Paß keine Arbeit und ohne Arbeit keinen Paß gewährt.
Das Ringen um die Wiedereinreihung als Untertan der Verzweiflungsstreich zur Erlangung der Auswanderungsmöglichkeit sind die Motive der Tat. Daß mit ihr zugleich ein System durchleuchtet wird, bleibt einer jener im Programm nicht vorherzusehenden Meisterwitze der Weltgeschichte. Sie haben ihn alle verstanden, die damals Beteiligten:
Der Polizei-Präsident, in dessen Amtshaus der heimgekehrte verlorene Preußensohr eine anregende Plauderstunde inmitten der Beamtenschaft verlebt („wenn ich nicht selbst gekommen wäre, hätten Sie mich nie erwischt“, stellt der gastlich Bewirtete leicht angeschickert unter dem Schmunzeln der beamteten Zuhörerschaft fest) –, die Presse, das betroffene Militär und die ganze Welt; selbst Majestät hat, im Gefühl fundierter Herrschaft herzlich gelacht. Alles auf sicherer Erden ist Spaß.
So wächst Voigt-Wilhelm zu einer Figur, die als bewußter Gegenspieler eines Säkulum aus Gold und Eisen den Anspruch auf Unsterblichkeit zumindest solange hat, als die Erinnerung an diese Jahrzehnte bewahrt bleibt. Und für später sei ihm ein Platz als Mythenfigur im deutschen Sagenwalde gegönnt; dem falschen Hauptmann, der auszog, um ein behördliches Ordnungsdokument zu erlangen und damit den Archilles an der Ferse kitzelte.
Wie klug, wie wirksam wird all das – Einzelschicksal und Hintergrund, eine Zeit und ihre Schwäche – im Film gegeneinander gesetzt.
Das große Mittel der Massen-Verbreitung, dr Lautsprecher der Millionen bedient sich des allgemein verständlichen Ausdrucks. Es ist keine bemühte Primitivität, die den Atem der Szenenfolge verkürzt; vielmehr eine Eindeutigkeit der Verbildlichung.
Die Vergottung der Uniform, ihr Eigenleben – uabhängig von der Person dessen, der sie trägt, befugt oder unbefugt – findet vor der Schlußlösung ihr Widerspiel im Falle des Hauptmanns Schlettow, der in Zivilkleidung und also militärisch nackt, von einem betrunkenen Urlauber geohrfeigt, des Kaisers Rock ausziehen muß. Das gleiche bunte Gewand, das auf dem Umweg über Reserve-Offizier und Trödler den Zuchthäusler zum Helden macht.
Auch dieser Held wieder ist nur denkbar in solcher Umgebung. Die Beschäftigung erst mit den sorgsam ausgewählten Standardwerken der Gefängnisbüchereien gibt ihm die notwendigen Kenntnisse von Armee und Drill.
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Dem Theaterstück ist, mit Recht, die Technik der Kurzbilder-Manier entnommen worden. Sentimentalitäten wurden entfernt, die Striche der kontrastierten Herrenwelt beibehalten. Dafür gibt es die Erweiterung des Schauplatzes: Reservat des Films, der damit eine ungleich größere Möglichkeit zur Nachschaffung des Milieus hat.
Ein tonfilmischer Höhepunkt: Die Erfassung des Weltechos der Köpenickiade. Zeitungen verschiedenster Richtungen, aller Sprachen; Bilderfolge, übertönt von wachsendem Heiterkeitsausbruch.
Bis zum Schluß, eine Ansicht des Schlosses in ein Vorzimmer überblendet, hinter dessen verschlossenen Türen Wilhelm II., unsichtbar, aber deutlich zu hören, auf die Meldung vom Zwischenfall der Verhaftung des Bürgermeisters reagiert: auch Er lacht.
Zur Abblendung ist eine außerordentlich gut erdachte versöhnende Pointe eingesetzt: Voigt in Zivil, endlich Besitzer eines Passes, der vor einem Militär-Detachement herzieht; in gleichem Schritt und Tritt. Kleiner Bürger, der es endlich geschafft hat.
Wo die Bühne, auf Wort und Solisten gestellt, dem Schauspieler den Abgang vorbehält, geht der Film, vom Zufalls-Erlebnis fort zur Allgemeinsituation. Alles in Ordnung und den Vorkriegsmenschen ein Wohlgefallen.
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Richard Oswald, mit Witterung für den Wert einer guten Besetzung, hat die Hauptdarsteller der vorbildlichen Aufführung des Deutschen Theaters übernommen:
Paul Wagner, Hermann Vallentin, Heinrich Marlow, Max Gülstorff, Käthe Haack, Leonhard Steckel, Hans Waßmann, Eugen Rex, Heinrich Schroth. Die andern: Willi Schur. Grhard Bienert, Albert Florath, Ilse Fürstenberg, Albert Karchow, Hermann Speelmans, Fritz Odemar, Paul Otto, Hans Leibelt, Alfred Beierle. Wabschke, Zuckmayers Kieler Garderobier spielt sich selbst. Sie alle geben durch die Suggestion der Echtheit dem Film den inneren Halt.
In einer Episode: Friedrich Kayßler als Magistratsbeamter Hoprecht. Zwischen den Klassen; nicht mehr Proletarier und doch kein Bürger, das gestaltet er. Eine ganze Schicht wird, in Maske und Gehaben, konzentriert verkörpert.
Darsteller im Ensemble und doch in der vorbehaltlosen Einfachheit überragend, so spielt Max Adalbert den Voigt. Von rührender Einfältigkeit ist dieser Schuster. Einer, den das Leben kaputt gemacht hat; und der doch den leisen Humor, die Güte in den Augenwinkeln nicht verloren hat. Menschen-Leistung, Darsteller-Großkunst noch im kleinsten wird dank der Mechanisierung der Wiedergabe Millionen von Besuchern zugängig gemacht.
Der Architekt Franz Schroedter liefert ein Meisterstück. Fülle von Ausschnitten ständig wechselnder Schauplätze ergibt die Kontinuität einer Epoche. Auch im kleinsten Detail wird aus der Andeutung der Eindruck des Ganzen spürbar.
Manuskript: Zuckmayer und A. Joseph. Kamera: Ewald Daub. Aufnahmeleitung: Walter Zeiske. Tonkamera: Hans Grimm. Bild-und Tonschnitt: Dr. Max Brenner.
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Wir lachten, lachten; alle. Und waren hinterher doppelt froh, daß man, während die Heiterkeit entfesselt war, des Lachens Anlaß nicht zu vergessen brauchte.
Ein Stück fürs Volk, ein Stück aus dem Volk ist dies: Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“. Und Adalbert leiht ihm Gestalt und Leben.