The Congress Dances

Originaltitel: Der Kongreß tanzt. Musikalische Austattungskomödie 1931; 102 min.; Regie: Erik Charell; Darsteller: Lilian Harvey, Willy Fritsch, Conrad Veidt, Carl-Heinz Schroth, Lil Dagover, Adele Sandrock, Margarete Kupfer, Paul Hörbiger, Julius Falkenstein; Ufa-Klangfilm.

Eine kleine Handschuhverkäuferin wird beim Wiener Kongreß mit dem Zaren bekannt, verliebt sich sterblich in ihn. Metternich will diese und andere Amouren seines Gegners benützen, diesen vom Kongreß fernzuhalten. Anfangs ohne Erfolg. Als es er blich hoch gelingt, ist Napoleon bereits wieder in Europa gelandet. Der Kongreß löst sich auf, der Zar reist ab, ein Wiener Mädel bleibt zurück.

Zusammenfassung
1814! Napoleon, der Kaiser der Franzosen, der Zertrümmerer des alten Europa, der letzte Konkottiere, sitzt, endlich niedergerungen, auf der Insel Elba. Die Sibel und Kanonen feiern, aber für die Minister, die Diplomaten, die Potentaten, ist Hochkonjunktur, und die „verwünschten Federfuchser”, wie der alte Blücher sie nannte, haben das große Wort. Es gilt, den alten Erdteil, den der Degen des Korsen so grausam zerstückelt hatte, wieder zusammenzuleimen, und an dem verglimmenden Weltenbrand kochen emsige Minister und Intriganten ihr Süppchen. In Wien, der alten Kaiserstadt, hat sich alles zusammengefunden, was Wünsche und Ansprüche hat, und in die unbändige Lebenslust, die nach den jahrzehntelangen Kriegen mit aller Kraft erwacht ist, mischt sich das Heer der großen und kleinen Fürsten mit ihren Ministern, ihrem Hofstaat und vielen reizenden Frauen. Wien hat seine Sensation, ist für kurze Zeit die Hauptstadt der Welt. Jeden Tag zieht ein König ein, friedlich donnern die Salutgeschütze, die Bajonette, noch scharf von Leipzig her, glitzern in der leuchtenden Herbstsonne beim Spalier, und anstatt der Kugeln fliegen Blumen durch die Luft, mit denen die lustige, leichtsinnige Stadt ihre hohen, höchsten und allerhöchsten Gäste begrüßt. Man kommt aus dem Feiern gar nicht heraus. Die Musik klingt:
Deutschmeister ziehen durch die Straßen von Wien,
Alles schaut, alles rennt, sapperment!
Und ein Ruck, und ein Zuck, und ein Schritt, und ein Tritt
Geht durchs ganze Regiment.
Hoch oben auf der Tribüne, die gerade vor ihrem Fenster gebaut ist, steht die Christel, das schönste Mädel von Wien, und hat ein Bukett in der Hand. Heut soll ja der Zar von Rußland einziehen, der schöne Alexander, und der muß doch auch seinem Strauß bekommen wie all die andern gekrönten Häupter – wenn sich auch der allmächtige Minister Metternich darüber gegiftet hat, weil nämlich immer auf der Papiermanschette des Straußes die Firma steht, in der Christel Handschuhe verkauft.
Metternichs rechte Hand ist der Pepi, der Herr Generalsekretär, und der hebt doch die Christel, aber das leichtsinnige Mädel ist viel zu übermütig, um Frau Generalsekretärin werden zu wollen – besonders wenn heuer so viele schöne Mannsbilder in Wien herumlaufen.
Und schon geht es tschingtaratata, die Soldaten präsentieren, das Publikum schwenkt rufend Hüte und Schleier, die Reiter der Eskorte nähern sich im scharfen Trabe, die ergreifenden Klänge der russischen Hymne ertönen, und lächelnd begrüßt der schöne junge Zar die lieben Wiener, die ihm zujubeln. Da fliegt ein harter Gegenstand durch die Luft, streift Alexanders Tschako! Was ist geschehen? Ein Attentat? Der Zar ist unverletzt, fährt grüßend weiter. Polizisten umringen das Korpus delicti, die Höllenmaschine, die Bombe, und finden – Christels Strauß. Die Justizarbeitet schnell. Christel kommt ins Kittchen und soll 25 Schläge bekommen auf den sanft gerundeten Körperteil, auf dem sie zur Freude aller Handschuhkäufer immer so zierlich und kokett gesessen hat, Pepi interveniert beim Zaren, aber – Undank ist der Welt Lohn – der Zar sieht Christel und fängt Feuer. Metternich ist entzückt, denn nun wird ja der Zar kaum Zeit finden, an den Kongreßberatungen teilzunehmen, aber Pepi ist tieftraurig.
Alexander, dessen Adjutant Bibikoff durch geschickte Verwendung eines Doppelgängers den Zaren schützt, überlistet jedoch den schlauen Metternich und erscheint doch beim Kongreß. Dann aber geht es mit Christel hinaus zum Heurigen
Das muß ein Stück vom Himmel sein
Wien und der Wein,
Wien und der Wein,
Das ward auf Erden nicht erdacht,
Denn das ist so himmlisch gemacht.
Am nächsten Tage fährt vor dem kleinen Handschuhladen eine pompöse Kutsche vor, mit zwei herrlichen Schimmeln bespannt. Christel wird abgeholt in ihr entzückendes neues Schlößchen, tief drinnen im Wiener Wald. Im Triumph fährt sie durch die Straßen:
Das gibt’s nur einmal,
Das kommt nicht wieder,
Das ist zu schön, um wahr zu sein!
Rätselhaft ist der Christel ihr Glück und ihr neuer Verehrer, der Zar. Einmal ist er erstrahlend liebenswürdig und dann wieder ein rechter Stoffel . . .
Der arme Pepi ist um so unglücklicher, je zufriedener Metternich ist, der den Zaren nun endgültig gefesselt glaubt. Sein letzter Schachzug ist, den Zaren auf der feierlichen Redoute festzuhalten, indem er ihn Küsse zum Besten der Wiener Armen für 100 Gulden verkaufen läßt. Küßt der echte oder der falsche Alexander? Christel weiß es besser, ihr Kuß kommt vom echten Zaren. Ihr kleines Herz bebt vor Wonne, – ob er sie wohl mitnehmen wird nach Petersburg . . . – Und Metternich zieht lächelnd die feinen Fäden seinem Diplomatie, der Kongreß tanzt, und er macht Politik. So hat er es gewollt!
Durch die Ballgäste drängt sich ein Reiter, die Uniform beschmutzt vom langen Ritt. Eine Depesche! Napoleon ist in Frankreich gelandet! Alles stiebt auseinander, die Perücken wackeln, und wieder marschieren die Soldaten gen Westen, und an der Spitze seiner Russen – der Zar.
Ein Blütentraum ist zu Ende. Die Christel wird nicht Kaiserin von Rußland werden, aber – wer weiß, Frau Generalsekretär in Wien ist auch nicht schlecht.
Wien und der Wein – Wien und der Wein . . .

Kritik (E. J., Film Kurier #250, 10/24/1931):
Eine ungeheuere Material-Schlacht des deutschen Films ist gewonnen – –.

Die internationale Filmwelt hat in den Sommermonaten dieses Jahres tagtäglich verfolgt – man kam aus dem Staunen nicht heraus welche Atelier-Offensive Neubabelsberg für die Charell-Inszenierung der Pommer-Produktion ausrüstete. Neubabelsberg fieberte während dieser Inszenierung. Totale Mobilmachung aller Zweige und Berufe des Filmkunstgewerbes. Die besten Meister ihres Faches unter Charell und Pommer in einer Zunft vereint. Ehrt diese deutschen Filmmeister – ehrt ihre Arbeit.
Die Kritik zu diesem Charell-Werk, das, was sie wertvoll machen könnte, ist also eigentlich an dieser Stelle längst vorweggenommen: durch unsere (und unserer Leser) Teilnahme an der Arbeit des Films. Sie vollzog sich, wie wir berichteten, unter besonderen Voraussetzungen, hatte einen seit Ben Hurs Entstehen, seit der großen Prestige-Aera Pommers nie wieder erreichten Aufwand von finanziellen, technischer, künstlerischen Mitteln zur Verfügung (– wie noch nie ein deutscher Tonfilm). Der Rekord-Aufwand der Arbeit ist nicht verschossen, nicht verpulvert: der Film schwillt über davon. Eine noch nie dagewesene Schau präsentiert sich.
Der Kongreß tanzt nicht: er bilderstürmt dahin – er flutet traumhaft reich vorüber. Filmparadiesisch licht und hell, mitreißend in den Strudel seiner Licht- und Formrhythmen.

Dies war von Charell zu erwarten, – und er enttäuschte nicht: eine immer schon noble, reich dotierte Pommer-Produktion nun ins Märchenhafte zu steigern; die Revue der unbegrenzten Möglichkeiten zu inszenieren, Auferstehung der Feerie – –
Charell hat ja die Bühne zum Zauber-Theater, zur Anstalt des Staunens gewandelt,
zum Wunderland der Attraktionen bei der das Auge durch immer wieder geistvoll hergerichtete Massen-Erscheinungen völlig die Fassung verliert, es schwindet jeder Halt, man erliegt dem Ansturm der Inszenierungs-Auftritte. Die Materialschlacht kennt nur das Knock out des Betrachters. Dazu gehorcht ihm jetzt die gesamte Film-Maschine.

Doch Charell-Zauber-Revue sollte nicht Selbstzweck werden.
Erich Pommer und seine Autoren – Robert Liebmann. Norbert Falk – gaben ihm ein Buch in die Hand, das ihn von vornherein nicht in die Gefahren der Revue-Photographie, des kopierten, verfilmten „Großen Schauspielhauses“ brachte.
Der Einfall, das losgelassene Wien der Kongreß-Aera von 1814-15 mit seinen Festen und Fürsten zu verfilmen, – der beste seit Jahren; ein ganz einzigartiger, dankbarer Stoff-Hintergrund. Auch wenn der Geist der politischen Parodie (der so nahe lag), die offenbachisch-ironische Verbindung mit unserer Zeit vermieden wurde, um das Spiel des kleinen Wiener Mädels wieder einmal zu variieren, das sich in die große Majestät verliebt (statt Försterchristl die Zaren-Christel).
Die Souvenirs der Drehbucharbeit an das wirkliche Wien der Metternich-Kongreß-Zeit tauchen im Film als köstliche Requisiten auf, das Milieu der Theater, Tänze und Konferenzen – – das konnte man von den Autoren her kaum glücklicher bereitstellen. (Der Autoren-Griff nach dem Kongreß-Stoff wird ein Bühnenstück, einen Roman, und was weiß ich noch für Moden und Imitationen zur Folge haben.)
Für die kurze Grundfabel des Films: Zar, Zar-Double und Wiener Handschuhverkäuferin, hat man sich an ein handfestes Filmstück gehalten – (es gab eben noch die andere Möglichkeit: die Tankstellen-Linie der deutschen Phantasie-Groteske weiterzuverfolgen . . . Metternich tanzte ein Chanson über die Freiheit Europas (er hat den Sklavenhandel abgeschafft), oder über . . . die Zensur; nicht auszudenken.) Man hat sich beschieden, die Historie – Historie sein zu lassen. Im Abrollen des Charellschen Furioso wären alle Neigungen zur zugespitzten Komödie vielleicht als Retardierungen empfunden worden. Er hat nicht die Hand dafür.
Des Films dramaturgische Pointe: Wenn der Tanzschritt des Kongresses stockt, weil Napoleon Elba verließ. Auch diese Episode von der Revue-Gloriole zur Apotheose gestaltet.
Die Schau-Operette hat ihren eigenen Geist.

Der herrscht nun Szene für Szene. Ein pausenloses Jagen von Effekten. Eine Hetz, die in ihrer Gedrängtheit jede Revue-Drehbühne schlägt. Ganz Wien ist auf den Beinen – riesige Empfänge, Aufzüge . . . es wird dagegen alles klein und kümmerlich, was man selbst im belebtesten Film bisher sah.
Typisch für Charell: zwei imponierende Film-Ensembles, die er entwickelt – – er ist darin ein Original-Genie: „Heimkehr vom Heurigen“ und „Ausfahrt in die Villa“. Jedesmal ein Lied – das von freudigen Ensemble-Gruppen aufgenommen wird. Die ganze Welt singt Refrain. Die Heurigen-Heimkehr mit der vorhergegangenen Heurigen-Stimmung – eine Wandelschau eigenster Art. Noch gelöster and motivreicher die Marktfahrt der Christel – – da ergibt sich ein Mosaik der Massen-Masken, das in jeder Bildsekunde dem Publikum Beifallsstürme abzwingt.
Die von Professor Ernst Stern so herausgeputzten Typen verblüffen auch hier – – die Brezelfrau, der Sprengwagenlenker, Waschweiber, Kinder mit ihren Stocklaternen, Fiakerleute, Diener, Diplomaten, Liebespaare . . . der Zug der Gesichter ist nicht zu überschauen. So viel Notenköpfe in einer Partitur – so viele Bildköpfe oben auf der Leinwand. Es wimmelt.
Doch auch diese zwei hervorstechenden Ensemblesätze sind nur Details in der Gesamtpartitur. Man müßte den Film in alle Einzelheiten katalogisieren: wird man diese technisch wunderbar bewältigte Aufführung des russischen Ballets in der Oper je vergessen können? Den Tanz im großen Ballsaal? Auch die intimeren Passagen sind geheizt mit Nuancen. Ein Regen von Spitzenhöschen, Häubchen, Bändern, Rüschen, Schnallen über allem.
Dabei gehen in der Flut der Massenerscheinungen die einzelnen Figuren keineswegs unter. Die Schauspieler werden weniger erdrückt als im Revuetheater. Könnerisch abgestimmt.
Lilian Harvey – – (sie spielt die drei Versionen!) wenn sie zum eigenen Uebermut ihr Tänzchen hopst, stolz auf dem Divan die Zarenbraut mimt – eine ungetrübte Belustigung. Sie spielt hier in einem einzigen Taumel des Märchenglücks. Verdreht, überkandidelt drollig. Die Fee unter den Puppenfeen – nicht von dieser Welt; in allen ihren Reizen entdeckt. Jünger von Film zu Film.
Willy Fritsch darf seinen Charme strahlen: der Zar-Bonvivant für alle Mädchenherzen. Mit ein paar Retuschen spielt er seinen eigenen Double, den armen Teufel, der sich als Doppelgänger des Zaren wohlfühlen soll. Ueberraschend lustig nuanciert. Ein ganz großer persönlicher Erfolg für ihn.
Conrad Veidt dosiert seinen Schein-Metternich mit der liebenswürdigen Figuren-Verkleidungs-Ironie, die durch die Maske den Menschen blicken läßt. Er hat den Spott der Entgötterung für seinen weltgeschichtlichen Großen. Wundervoll überlegen entdeckt er das Private im Weltgeschehen, anmüsiert sich mit seinen Abhör-Vorrichtungen, seinem Geheim-Lese-Apparat. Er hat Stil und großes Format.
Die Reihe der kleinen und großen Mitspieler: Wallburg, auf beschwingten Füßen durch die Szenen rollend, die Sandrock, die Dagover (ein Augenfest), die gemietlichen Sachsen Abel und Rex, Falkenstein, Gülstorff, Margarethe Kupfer . . . . die besten Charakter-Episoden des deutschen Films. Als Partner der Harvey: Carl Heinz Schroth, ein Rühmann in Moll. Sonderleistung: Paul Hörbigers Heurigen-Sänger.
Hat man bei diesem Schau-Aufwand das Gefühl von „Atelier“? Nicht eine Sekunde; denn die Raum-Illusionisten Herlth und Röhrig schufen die Wiener Welt; sie legten die Grundsteine für die Wirkung, Architekturreize, um die das echte Wien sogar das Atelier beneiden könnte. Korridore, Treppen, Hallen – mit dem frischen Schmuck einer stilisierten Zier-Ornamentik, lieblich-klare Bauformen; als Kontrast dazu üppiges Opernbarock; und ein einprägsamer Ort: das schwarze Kabinett.
Die Kamera von Carl Hoffmann fängt dies alles, malt es aus, verschleiert oder verdeutlicht. Er brilliert in Rekordschüssen. Tonfilmgrenzen sind längst übersprungen. Heute schon wieder weiter als beim Stummfilm.
Auch Fritz Thiery, der Tonchef, folgt mühelos den höchsten Anforderungen. Wendigstes Mikrophon, klügstes Ohr.

Werner R. Heymann gibt zum Bildschwung den Musikschmiß. Neben vielem illustrativem Musikdetail (mal piepst nur ein Singvögelein gefühlvoll und verständnisinnig zu Lilian Harveys Boudoirszene) die zwei wesentlichen Musikpfeiler: Das Christel-Lied: „Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder“ – das Heurigen-Lied: „Das muß ein Stück vom Himmel sein“ – Straußmotive – Straußstimmung. Und der selige Schubert steuert persönlich den zündendensten „Rausschmeißer“ bei.
Nennt man noch die Regie-Hilfe von Paul Martin, die Film-Leitung von Eberhard Klagemann, die Tanzregie von Boris Romanoff, die Kostüm-Ateliers von Joe Straßner und Theaterkunst Kaufmann – so ist die Chronik der Arbeit in ihren wichtigsten Faktoren vollständig. Sie müssen auch alle gleichberechtigt genannt sein; bei diesem Arbeitsfest der Kunsthandwerker, die das Lichtspielhaus – zum heiteren Festspielhaus verwandeln.
Und: Ufaleih stellt sich mit diesem Trumpf ganz außerhalb des lieblichen. Er bringt da keinen „Film“ so wie alle Tage, kein von ihm stets erwartetes „Geschäft“ – er bringt ein Kino-Wunder; den Haupttreffer aus der Verleihlotterie.
Das Premieren-Publikum kam aus dem Klatschen nicht heraus. Es sprang auf jede Bildpointe Charells. Gäbe es einen „Eisernen“ mit Bühnentürl im Kino, er hätte in Funktion treten müssen.

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