
Originaltitel: Die große Attraktion. Artistendrama 1931; 88 min.; Regie: Max Reichmann; Darsteller: Richard Tauber, Marianne Winkelstern, Margo Lion, Sig Arno, Teddy Bill, Ivan Koval-Samborsky; Emelka-Tobis-Klangfilm.
Riccardo, Jazzsänger mit eigener Truppe, ariviert, trauert noch immer seiner vor Jahren durchgegangenen Frau nach. Als diese, dem Nichts gegenüber, mit ihrem Liebhaber zurückkehrt, erkennt der Vielumschwärmte erst, daß er sich in eine kleine Tänzerin, die ein Engagement bei seiner Truppe erzwang, verliebt. Glaubt sie an einen andern verloren zu haben, findet sich aber schließlich mit ihr.
Zusammenfassung
Dieses ist die Geschichte eines großen Musikers, einer großen internationalen Varietetruppe . . . und eines kleinen Mädels.
Riccardo und seine Truppe sind weltberühmt. Sie gehören zu den großen Attraktionen des Varietes, denn Riccardo ist der beste Dirigent und der beste Jazzsänger, der sich je mit einer eigenen großen Jazzband, mit Tänzerpaaren und akrobatischen Sensationen auf diese Bretter wagte.
Diesem Riccardo, der trotz seiner Berühmtheit ein menschenscheuer, verschlossener Mann ist, geschieht es eines Tages in irgendeinem Engagement, daß sich ein Mädel in ihn verliebt. Dergleichen kommt vor.
Dieses Mädel ist eines von den 24 Jacksongirls, und mit der ganzen Unbekümmertheit seiner Jugend setzt es sich in den Kopf, von den Jacksongirls auszureißen und ein Star innerhalb der Riccardotruppe zu werden. Dieses Girl heißt Kitty und ist ebenso lustig wie frech und draufgängerisch. Der erste Versuch mißlingt, da Riccardo nicht daran denkt, den Kontraktbruch eines wildgewordenen Girls zu unterstützen. Der zweite oder dritte Versuch, den Kitty einleitet, führt jedoch zum Erfolg. Sie improvisiert sich selbst einen Auftritt, während Riccardo auf der Bühne steht, so daß er sie aus Rücksicht auf das ahnungslose Publikum einfach nicht wegschicken konnte. Und da sie überdies Erfolg hat, darf sie auch in Zukunft bei ihm bleiben.
Dieses war Kittys erster Streich, dem sie bald die weiteren folgen läßt. Kitty bringt nämlich Ordnung und Unordnung in Riccardos Truppe. Unter den vierzig Menschen dieser Truppe, die auf der Bühne als Musterbild der Harmonie und Eintracht erscheinen, spielen selbstverständlich im Hintergrund hundert kleine Tragödien und Komödien. Jeder von denen, der auf der Bühne nur als das kleine Glied eines wunderbaren Gesamtbildes erscheint, hat selbstverständlich sein lustiges oder trauriges Privatleben. Und da wirkt Kittys Erscheinen sensationell. Sie hat sich vorgenommen, Riccardo nicht nur als neuen Chef, sondern auch als Mann für sich zu erobern. Und sie bringt es auch fertig, – aber fragen Sie nicht, was sie dazu tun muß. Sie muß Riccardo vor den Zudringlichkeiten einer allzu koketten und berechnenden Frau retten, sie muß ein mondänes, vollkommen miteinander verfeindetes Tänzerpaar wieder miteinander versöhnen, sie muß einen jungen Engländer, der ihr seit Jahren nachreist und sie mit allen Gutmütigkeiten der Welt überschüttet, loswerden, ohne ihm wehe zu tun, sie muß schließlich Riccardos Menschenfeindlichkeit brechen und in ihm wieder den Frohsinn erwecken . . . und sie tut alles, bis sie schließlich in einem Moment verzweifelt: als sie merken muß, daß Riccardo seit vielen Jahren nur eine einzige Frau liebt, mit der er einmal verheiratet war – und die ihm durchgegangen ist. Und daß er sich gar nicht für Kitty interessiert. – Aber gerade do, als sie nach diesem großen heroischen Kampf die Waffen strecken und wirklich ihren dummen, harmlosen Engländer nehmen will, da kommt die große Überraschung: Riccardo trifft die Frau wieder, der er seit vielen Jahren nachtrauerte, – und er merkt, daß die Zeit stärker war als dos Gefühl. Sie haben sich auseinandergelebt, sie ist für ihn eine fremde Frau geworden. Und zugleich merkt er etwas anderes: daß ihm nämlich dieses Mädel Kitty, das er stets nur als etwas aufdringlich und frech ansah, durch die unaufhörliche Mühe und Sorgfalt geradezu unentbehrlich geworden ist. Wie alle Männer, so merkt auch Riccardo fast zu spät, daß er sich in dieses lustige Mädel verliebt hat. Zum Glück nur „fast“, denn als er sie schon verloren zu haben glaubt, kommt sie zurück zu ihm – für immer: Kitty, die Siegerin über Riccardo, den Sänger.
Kritik (-r, Film Kurier #198, 08/25/1931):
Auch dieser Film bedeutet die große Tauber-Attraktion für seine unzählbare Gemeinde.
Obwohl das große Aufgebot von Tauber-Mitarbeitern (gleich drei Autoren, ein Produktionsleiter, zwei Kameraleute, ein musikalischer Leiter, ein Instrumentator; vermißt wird nur ein Regisseur) gewiß nicht den Ehrgeiz hat, filmisch zu wirken, der Filmentwicklung zu dienen; oder so.
Solche Tauber-Darbietung ganz gerecht beurteilen könnte wohl nur der Tauber-Spezialist oder sein Biograph. Der würde sagen: „Als Ausläufer oder Nachgeborenes der Tauber-Filmproduktion zehrt dieser Film von des Meisters dauerndem Ruhm. Mag die Geschichte dürftig sein, wirken die dramatischen Konflikte rund um Tauber als alte Ladenhüter – er steht im Mittelpunkt und singt. Und so hört man ihn vom Norden bis zum Süden, vom Osten zum Westen des Reiches, so will man ihn haben.“
„Tauber“ ist für Deutschland der Inbegriff allen Schönsingens. Im Gefühl der Masse, in deren Urteil, durch deren Liebe für ihn – Caruso gleich. (Trotz des stimmlichen Abstands der beiden. Er kann eben singen. Jedem Vertauberten ist es gleich, wo und warum „er“ singt).
Es genügt schon, wenn auf dem schäbigsten Kabarettpodium der unfähigste Sänger den Mund à la Tauber verzieht, leicht fistelt und drei Tönchen gluckst. Dann rast das Publikum überall, – nicht wegen des Parodisten, sondern aus Freude über den Parodierten. Das ist der Ruhm. Kein mässiger Film könnte ihn beeinträchtigen.
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In diesem Tauber-Film sind die Schlager schon in aller Ohr. Wieder ein Vorteil für die „Attraktion“. Dabei wird Franz Lehár von Dr. B. Kaper geschlagen.
Auf Fritz Rotters gelungenen Text schrieb er den Slow-Fox „Schade, daß du mich nicht liebst“. Die verhaltene Resignation, die Tauber so gut liegt, (ohne daß er zu schmalzen braucht), klingt aus diesem einfachen Lied.
Lehár liefert den breiten Tango „Was wär’ ich ohne euch, ihr wunderschönen Fraun“. Es ist wohl der einzige, echte Reiz des Abends, wenn Tauber pointierend und mit feinsten Mitteln antwortet „Doch nur ein Bettler und nicht mehr“.
Bei Paul Dessau ist das Musikressort gut aufgehoben. Auch die Wintergarten-Kapelle mit den 4 Admiral-Singers unter Franz Grothe verdient lobende Erwährung.
Die Kamera erinnert sich mit Erfolg an E. A. Duprets „Varieté“-Technik.
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Das szenische Drumherum (von der Wintergartenbühne bis zum Luxushotel, dem Artisten-Café und dem Eisenbahncoupé – altvertraute Stätten) wird durch angenehme Auftritte der Margo Lien, Siegfried Arnos und Teddy Bills unterbrochen. An so etwas wie mimisches Können und Filmdarstellung erinnert Kowal-Samborski in einer Episode, deren Erfinder der Lynchjustiz verfallen müßten.
Marianne Winkelstern ist der kleine Star des Films. Viel tänzerisches Können, den Rest in die unterste Reinhardt-Schulklasse schicken, September-Kurse beginnen gerade.
Wenn Tauber auf der Leinwand singt, rauschender Beifall ebendort. Im Reich ist dem Film und dem Meister die Beliebtheit durch ausverkaufte Häuser bereits attestiert. Liebling des Volks zu sein, beneidenswert, Liebling des Films zu werden, erstrebenswert.
Und da in diesem Film so oft und so reizend „Schade“ („Schade, daß du mich nicht liebst“) gesungen wird, wäre nur zu bedauern, Schade, daß Du ihn nicht liebst, Richard Tauber, den Film nämlich, den besseren Film. Das lockende Ziel wurde doch ein zu bequemes Ziel.
Der Verleih und der Theaterbesitzer können sich natürlich freuen: Sie haben ihre Tauber-Kassen, ihre Rotter-Erfolge.