The Other Side

Originaltitel: Die andere Seite. Kriegsdrama 1931; 95 min.; Regie: Heinz Paul; Darsteller: Conrad Veidt, Theodor Loos, Victor de Kowa, Wolfgang Liebeneiner, Friedrich Ettel, John Mylong, Paul Otto, William Trenk; Cando-Tobis-Klangfilm.

März 1918, Westfront, in einem englischen Unterstand. Drei Tage vor der großen Offensive. Offiziere und Mannschaft in Erwartung des Angriffes. Ein Hauptmann, die Nerven durch Frontjahre zerrüttet, hält sich nur durch Alkohol aufrecht, fürchtet daß der als Leutnant neu zugeteilte Bruder der Verlobten über seinen Zustand berichten könnte. Muß seinen Oberleutnant und Freund in den sicheren Tod schicken, einen Verzweifelten vor Desertion bewahren. Beim Beginn der Offensive wird der Leutnant als erster tödlich verwundet. Aber auch alle übrigen stehen auf verlorenem Posten.

Zusammenfassung
Als R. C Sheriff sein Theaterstück „Journey’s End” schrieb, dachte er nicht an die „Bretter, die die Welt bedeuten”, nicht an einen Welterfolg, einzig und allein einer Liebhaberaufführung für seine Kameraden galt die Arbeit. Über Nacht wurde aus diesem Theaterstück ein Welterfolg, der über die Bühnen ganz Europas und Amerikas lief. Das Geheimnis dieses Erfolges lag darin, daß Sheriffs Stück nicht Kriegsgetöse, nicht grandiose Ausstattungsbilder zeigte, sondern einzig und allein das Erleben weniger Menschen. In drei kurzen Tagen (vom 18. März abends bis zum 21. März frühmorgens) rollt das Schicksal von fünf Menschen ab, die trotz aller Wirrnis und Qual in Kameradschaft und Pflichterfüllung sich aufrechterhalten. So erleben wir durch die Psyche dieser Männer hindurch die wahre Gewalt des Krieges. – Die Charaktere sind: Oberleutnant Osborne, ein ruhiger, abgeklärter Mann, der sich freudig der Führerschaft des jüngeren Hauptmanns unterstellt, dem er aber gleichzeitig ein väterlicher Freund und Berater ist. – Hauptmann Stanhope, zermürbt von drei Frontjahren, nicht mehr Herr seiner Nerven und doch im Ernstfälle immer der Mann, der sich überwindet und in vollem Bewußtsein dem bitteren Ende entgegensieht. – Leutnant Trotter, ein gemütlicher Kleinbürger, ohne Phantasie, der eben tut, was ihm befohlen wird. – Leutnant Hibbert, weichlich, Neurastheniker, kraftlos sieh selbst gegenüber, sein einziger Gedanke ist, dem Schicksal zu entfliehen. – Leutnant Raleigh, der Jüngste, Schwärmer, blind ergeben seinem Freunde Stanhope, den er infolge seiner jugendlichen Unerfahrenheit beinahe zu spät erst verstehen und begreifen kann. – Diese fünf Männer verkörpern in ihrem Leben und Sterben die Charaktere Millionen, die im Weltkriege sich gegenüberstanden. Sie könnten die Uniformen jeder Armee tragen und nur zufällig heißt das Stück „Die andere Seite“.

Kritik (Ernst Jäger, Film Kurier #255, 10/30/1931):
Die menschliche, die private Seite des Krieges um die Schützengräben . . . und für uns Deutsche „die andere Seite“, unsere Kriegsgegner, das „Drüben“ vor unseren deutschen Stellungen – – es wandten unsere Augen, unser Gefühl sich mit seltsam gespannter Abnahmebereitschaft (in ganz Deutschland) zu R. C Sheriffs Bühnenstück; nun auch zu diesem Film.
Die private Seite: Offiziere, gebildete Menschen, die denken können, 5 von der Kompagnie, verschieden wie 5 Nationen, in der Todesnähe aufgerissen in ihren Nerven, ihren Gedanken, ein abgeklärter Mensch, ein ahnungsloser Junge, ein blutvoller, moderner Mann, ein fader Durchschnittsmensch, ein schnellzufriedener Anpassungstyp, jung und alt . . . im Zwang des Frontdienstes vor dem Feind gehalten, Patrioten und nüchterne Rechner – Lebensjahre und Todverfallene, Kriegsgegner und Opferbereite, Führer und Narren, zwischen Kants kategorischem Imperativ und der Whiskyflasche, – Männer der Front, fast schon dem wahren Leben des Friedens entrückt, isoliert, einsam mit ihrer Angst, mit ihrer Courage.  
Und „Die andere Seite“ (von uns Deutschen her gesehen): Daß es Engländer sind, daß auch der „Feind“ Menschenantlitz trägt, auch er eingegraben in faulende Erde, in die Pest der Gräben, faire Gegner – sie haben alle nichts zu lachen unter dem Mond und den Sternen.
Es ereignet sich da ein seltsames Zwischenspiel zwischen den Schlachten, an Graben- und Grabesrand wechseln zwei Offiziere ein paar Sätze, sprechen von ihrer Heimat, der eine sieht seine Jungens vor sich, der andere Jüngere meint, die Deutschen lägen ja so nahe bei ihnen, daß man einen Handball zu ihnen herüberwerfen könnte – und sein Kamerad erwidert, sie würden gewiß mit einer Handgranate antworten . . . Das ist der Krieg, das ist der Friede in einem. Eine grausame, rührende Offenbarung in wenigen Sätzen. Kaum „gespielt“, ohne störendes Pathos hingesprochen. Rührender noch als die Schmetterlingssymbolik des Remarquefilms, drüben am Grabesrand . . . .

Der Film atmet Frontgeist unverfälscht.
Er schweigt mehr, als daß er knallen läßt. Das Grauen des Schweigens lastet auf ihm.
Krieg ist hier: Schicksal, ihm kannst du nicht entgehen. Man muß durchhalten bis zum Tod – der kein „Heldentod“, keine Kriegsapotheose. Es ist Fatum, Anangke, Muß . . . ohne Mystik; der englische Offizier (wie der deutsche; wie der „gemeine“ Mann) hält auf seinem Posten aus, kein Drückeberger, kein Deserteur, gewiß Friedensfreund, sogar galliger Kritiker an der Kriegsbürokratie (die die Opfer mutwillig häuft).
Sheriffs Bühnenstück besteht aus Gesprächen im Offiziers-Unterstand, der Film hält die Form des Dialog-Spiels bei, erweitert aber die (von Hans Reisiger gut verdeutschte) Bühnenform durch das Außen-Herum des Unterstandes.
Die graue Welt des vordersten Grabens, der vordersten Sappe wird verdeutlicht Die „Küche“ neben den Offizieren, Mannschaftsunterständen.
In diesem seltenen Fall stört das Verharren im gleichen Milieu nicht, der Beschauer ist gezwungen, in der gepreßt engen, mit Spannung geladenen Unterwelt des Krieges zu verharren. Zeugnis für das Regisseurs Heinz Paul bemühte Sachlichkeit daß die Spannung auch in den gedehntesten Passagen anhält. Er photographiert die Lebens- und Sterbens-Dokumente der Fünf im Unterstand, echte Atmosphäre, kein falsches Theaterwort im Spiel. Heinz Paul bewährt sich wieder.
Conrad Veidt – ein Erlebnis.
Ein Mann mit seinem Widerspruch. Der Führer vor den Mannschaften, ein verzweifelter Mensch im tiefen Schacht des Privaten. Wundervolle, einzigartige Impressionen des Menschlichen gehen von ihm aus. Er ist hier noch sicherer in der Beherrschung aller Mittel als in der „Letzten Kompagnie“. Auch optisch in jeder Minute überraschend, ohne die Drückerchen der Dämonie. – im glühenden Auge kein Theaterfeuer. Heinz Paul hat mit dem Kameramann Viktor Gluck und den Tonlenkern Brodmerkel und Kroschke wirkungsvoll gearbeitet
Eine Darsteller-Ueberraschung auch Wolfgang Liebeneiner, in der dankbaren Rolle des jungen Offiziers, erfreulich anzusehen, beherrscht im Spiel, trotz der Aufgeschlossenheit seiner Jugend, die man ihm glaubt. Ein starker, persönlicher Eindruck.
Auch Victor de Kowa überzeugend in seiner Angstpsychose, in der Furcht vor dem Tode. Friedrich Ettel, der zufriedene Typ, der überall im Essen und Trinken sein Glück findet. Theodor Loos, der „Onkel“ unter den Offizieren, Paul Otto, Reinhold Berndt – viele sachlich eingesetzte Typen.
Willy Trenk-Trebitsch bestreitet den Front-Humor, der Koch mit dem Hündchen, den Hühnchen und Koteletts, sparsam auch er in den Mitteln.
Man muß noch Ernst Erich Buder nennen, der mit einem tipperary-ähnlichen Marschlied Musik in den Schützengraben bringt – „weit ist der Weg zurück ins Heimatland“ – ein Volkslied, dessen wehmütiger Ton fesselt. Umsichtige ausgleichende Produktionsleitung: Joseph Candolini.

Ein „innerlicher“ Kriegsfilm, wenig Schlachtgetöse, kein Massenschaumorden.
Einmal ein Fronteinbruch von zwei Offizieren und zehn Mann in die deutschen Linien, atemlähmend nah . . . Sonst: der private, einzelne, verlorene Mensch, der verzweifelt anrennt und doch sich ergibt – – vor dem Schicksal Krieg.
Das Publikum schwieg minutenlang ergriffen, dann entlud sich lang anhaltender, ehrlicher, anerkennender Beifall für Heinz Paul und alle Mitwirkenden.

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