The Threepenny Opera

Originaltitel: Die 3-Groschenoper. Parodistisches Singspiel 1931; 112 min.; Regie: G. W. (Georg Wilhelm) Pabst; Darsteller: Rudolf Forster, Carola Neher, Reinhold Schünzel, Fritz Rasp, Valeska Gert, Lotte Lenya, Hermann Thimig, Ernst Busch, Vladimir Sokoloff, Paul Kemp; Warner-Tobis-Klangfilm.

Lodnoner Unterwelt der 80er Jahre. Mackie Messer, Verbrechercaptain und Dirnenfreund, heiratet heimlich Polly, des Bettlerkönig Peachum Tochter. Dieser zwingt nun den Polizeisheriff Mackie Messer zu verhaften, der aber entkomt. Am Ende finden sich alle drei als Kompagnions.

Zusammenfassung
An einem trüben Nachmittag tritt ein elegant gekleideter aber recht verdächtig aussehender Mann aus einem verrufenen Haus von Soho, dem Londoner Einwandererviertel; das in früheren Jahrzehnten das Zentrum der Londoner Unterwelt war. Die Dirne Jenny bringt den Mann an die Türe, der in diesem Augenblick ein junges Mädchen gewahrt, das in Begleitung ihrer Mutter die Straße herunterkommt. Da ist das Schicksal des Kavaliers besiegelt. Kaum nimmt er sich Zeit, sich zu verabschieden, durchs Fenster werden ihm noch Hut und Handschuhe nachgereicht, so stürzt er davon, dem Mädchen nach. Bald hat er sie eingeholt, angesprochen und in derselben Minute beschlossen, sie zu heiraten. Bei einem Tanz im Tintenfisch-Hotel werden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen – recht eigentümliche Vorbereitungen. Denn dieser Mann, sein Stock verrät es – der Moritatensänger vor dem Tintenfisch-Hotel singt die Geschichte seines Lebens – dieser Mann ist Mackie Messer, der berühmte und berüchtigte Bandenführer Londons, und das Mädchen, das in ahnungsloser Liebe ihm verfällt, ist Polly Peachum, die Tochter des Bettlerkönigs, der sich selbst als den ärmsten Mann Londons bezeichnet und der Führer und Vertrauensmann der Londoner Bettler ist.
Noch am selben Abend findet die Hochzeit des merkwürdigen Paares statt. In einem Speicher, der kurzerhand „requiriert” wird, versammelt sich die Bande zum Hochzeitsschmaus, unter Lebensgefahr werden die Einrichtungsgegenstände, die Geschenke und das Hochzeitsessen geraubt, ein Pfarrer mit Gewalt gezwungen, das Paar zu trauen. Um so verblüffender ist die Tatsache, daß als Ehrengast der hohe Polizeisheriff persönlich erscheint, ein Jugendfreund Mackie Messers und sein geheimer Komplize.
Der nächste Morgen zerstört das trauliche Idyll. Vater Peachum tobt über die Hochzeit, durch die ihm seine Tochter, die Hoffnung und Stütze seines Unternehmens, von dem berüchtigten Verbrecher entführt wurde, und da Polly von einer Scheidung nichts wissen will, stürzt Peachum zum Polizeisheriff Brown, um ihn zu bewegen, Mackie Messer einzusperren und ihn für seine Untaten zu hängen. Mutter Peachum aber begibt sich zu den Huren, in deren Gesellschaft sie Mackie Messer vermutet.
Brown, der sich zuerst weigerte, Mackie zu verhaften, erkennt bald, daß Peachum ein gefährlicher Gegner ist. Am nächsten Tag soll die Krönung der Königin stattfinden und Peachum droht, den Krönungszug durch seine Bettler stören zu lassen, wenn Brown Mackie nicht verhafte. So kann Brown nichts anderes tun, als Mackie die Flucht zu raten. Als dieser erfährt, daß er sich nicht länger des Schutzes des Sheriffs erfreuen könne, übergibt er schnell das Kommando der Bande seiner jungen Frau und flieht. Aber sein Leichtsinn führt ihn wieder in das verrufene Haus, in die Gesellschaft seiner Dirnen. Jenny, voller Eifersucht auf Polly, verrät seine Anwesenheit der Frau Peachum, die Polizei kommt – aber Jenny reut im letzten Augenblick ihr Verrat und sie verhilft Mache zur Flucht. Während Mackie auf seiner Flucht abermals in die Netze eines jungen Mädchens gerät, trifft Peachum aus Zorn über das Versagen der Polizei alle Vorbereitungen zur Störung des Krönungszuges. Polly aber beschließt, die Abwesenheit ihres Mannes zu einer Änderung ihrer Existenz auszunutzen. Was bedarf es des Diebstahls und Einbruchs in eine Bank, wenn das vorhandene Kapital der Bande dazu ausreicht, eine Bank zu kaufen und so den Grundstock zu einer bürgerlichen Existenz Mackie Messers und seiner Leute zu legen?
Als Polly und die Mitglieder der Bande ihren feierlichen Einzug in die Bank halten, ist Mackie Messer verhaftet. Er soll durch eine Kaution befreit werden, entweicht aber vorher mit Hilfe Jennys aus dem Gefängnis. Als er so durch die Straßen irrt, erfährt er, daß er durch einen klugen Einfall seiner Frau inzwischen Bankdirektor geworden ist. Als Sieger kehrt er, glänzend gerechtfertigt, in die Bank zurück an die Seite seiner Frau.
Peachum, der hiervon durch die Zeitungen erfahren hat, versucht vergeblich, seine nun einmal losgelassenen Bettler von der Störung des Krönungszuges zurückzuhalten. Es gelingt ihm aber nicht, und der Krönungszug endet in einem kläglichen Durcheinander.
Auch Brown begibt sich in die Bank, denn die Störung des Krönungszuges hat ihn um Amt und Würden gebracht. Der schlaue Peachum macht sich nun kurzentschlossen, wenn auch nicht leichten Herzens, auf den Weg zu seinem Schwiegersohn. Das Geld der Bank und Peachums Organisation sollen die Grundlage für die Gründung einer aussichtsreichen Gesellschaft geben. Das glückliche Ende vereint alle Beteiligten, Freund und Feind, die aber ein Herz und eine Seele sind, wenn es gegen die Ärmsten der Armen geht.

Kritik (E. J., Film Kurier #043, 02/20/1931):
Also da –! Und aufgeführt! Und riesiger Beifall für die Feerie des Elends! Kein bewußter Experimentier-Film – ein Größtformat-Film, steht als Arbeitsergebnis über den meisten bisherigen Tonfilmen der Filmproduktion.
Gesteht es zu: das ist endlich Neues.
Sehen wir genau hin:
MAN SIEHT DAS GELD WIEDER.
Es wäre nicht auszudenken – wenn man einer Bettler-Oper, ich bitt’ Sie, 3 (drei) Groschen, nicht die Millionen-Kosten ansehen würde.
Seid umschlungen, Produzenten; sie liegt in der brenzlichen Luft dieses Films: die Generosität von Kapitalisten, Bankiers, Ton-Trust-Herrschern, Filmkönigen – – – ein Spiel von den Armen mit seiner aus dem alten fröhlichen Opern-England stammenden antikapitalistischen, persiflierenden Tendenz so reich wie möglich auszustatten. Man sieht das Geld wieder:
So geschah’s schon den reichen Leuten, die sich 1727 zu London die Bettler-Oper voragieren ließen (Siehe Hogarths Stich) Armut als Einfall der Reichen.
In der genialen Fratze des John Gay gegen die bürgerliche Welt, umwertend alle Werte.
DAS IST DER MOND VON SOHO.
Das ist der goldene Mond über Soho – man lernt da beim Aufblenden des Films eine Ober-Unterwelt kennen – phantastisch zwischen Nacht-Märchen und Tag-Traum gebaut, ebenso so berückend vom Kamera-Flug gestreift, mit kostümierten Menschen belebt, durch den Singsang des Moritaten-Aufrufers erfüllt – was meint er nur, gut, schlecht, arm, reich . . . und Refrain wies trefft – ein hinreißender Film-Eindruck, ganz egal wie es gemeint war (und doch nicht ganz so wirkt) – –: dieser Lebensauftakt vom Räuberhauptmann Maekie Messer, der nächtens seine Hochzeit bestellt – – welche Film-Ballade.
Pabsttum der Kamera, visuell gedichtete Situationen: drei große Arbeiter des deutschen Films sind zu suggestivstem Schaffen vereint: G. W. Pabst, das Inszenierungsoberhaupt, Andrej Andrejew, der Milieu-Konstrukteur, F. A. Wagner, der Kamera-Zauberer. Hinzugesellt sich zu diesen Atmosphäre-Schöpfern einer Londoner Hafen-Ecke mit Bordell, Tanzkneipe, Gasse, Speicher der Tonmaler A. Jansen.
Sie schufen ein episches Gebilde von Soho man löse es sorgfältig reflektierend auf, sowie man es studierend erschaute –: diese Backstein-Häuser und Holzschuppen, diese Liebesnachtgroteske mit dem gestohlenen Hochzeitsgut, der. Raubzug mit allerlei Spieß- und Spukepisoden, die Trauung mit dein schüchternen Hochwürden, den Hochzeitsspäßchen . . vorher ein paar unvergeßbare Pabst-Einfälle: Brautkleid im Schaufenster betrachtet von Liebenden, ein Contretänzchen im Verbrecherklub . . . mit jedem Augenaufschlag eine wild-schön erfundene Sekunde.
Herrlich abgestuftes, eingeteiltes, ummalendes, verschwindendes Jupiter-Licht über Soho . . . für jenes Kamera-Auge eingerichtet, das so fern, so nah den irrenden Gestalten dieses Filmes den Buckel lang runterrutscht.
SONGS OHNE WORTE.
Dann stellt sich die Braut-Dame des Films hin, eins zu singen . . . den in die Hochzeit Mackies einmontierten Barbarasong.
Einmontiert? Das will besagen, wie die klugen Umbearbeiter der Brecht-Weillschen „3-Groschen-Oper” die Song-Nummern im Film umstellen und mit Geschick, das Seeräuberjennylied der Hure vor Mackies Verhaftung übergebend, den Soldaten-Song für das Bank-Finale. Gerechtfertigte Umdisponierungen.
– – und doch bringen die Weillschen Musik-Erfindungen, diese einmaligen, schon klassisch gewordenen Stücke, nicht ganz jene unerhörten Reizmomente des Bühnenspiels in den Film. Hier klaffen Stil-Differenzen des gigantisch-diffusen Werkes.
Während ein Moritaten-Sänger moralisierend interpretiert und mit „Nachdruck“ singt, werden die Songs (von Carola Neher und Lotte Lenja) als Instrumentalstücke „einschließlich“ Singstimme dargeboten. Stilbestimmung Theo Mackebens, die sich nicht filmisch temperiert zeigt. Der von Mackeben herrlich betonte (wundervoll!) instrumentale Klang, die Einbettung der Singstimme darin verwischt die Worte, dämpft die Frauenstimmen zur Unpersönlichkeit, verhalten und bewußt, und dann noch der Lautsprecherschleier. Auch die filmische Lösung der Song Vorträge ist ein Not-Behelf. Ein Film-Song muß original komponiert und montiert sein.
So wirken typischerweise die rein instrumentalen Partien der Weill-Wackebenschen Musik am filmstärksten. Die Contre-Musik, der fragile Klang der Mondnachtsweise am Schiff. Unsagbar, schön die sentimentale Herzstelle beim Abschieds-Melodram der Vermählten. Schemenhaft, tränennah. Ach ja, das gute alte Herz.
Die paar Klänge müssen schon dem Hörer die An-Reize einer Sinfonie geben. Es hat sich doch gelohnt, Mackeben, und treffliche Lewis-Ruth-Band als „Versuch“. Unvergleichbar dem dominierenden Eindruck der Weill-Musik für das Bühnenstück. Dort war es eine „moralische Musik“. Hier ist sie interessante Nummer.
ARMUT – ERWACHE.
Wir stellen die Eindrucksstärke des Films über jeden Zweifel – nennen nur noch jenen von Pabst und den Seinen besonders bezwungenen Szenen-Komplex im Paradies der Damen, die Bordell-Geschehnisse, die Dirnen-Betulichkeit, mit Napfkuchen und Strickstrumpf. Mackies Leichtsinn und den Verrat seiner Geliebten, rühmen dabei diese nach Regen, Hafenfeuchte und Hinterhof geradezu dünstenden Häuserecken, bis Mackie, von Polizei-Pfiffen, Signalen und Rufen aufregend verfolgt, noch einmal zur Dirne flog – – dramaturgisch ein vollsitzender Wurf – – und bitten um einige Zeilen Gehör für die Sinnerfragung des neuen Spiels von der alten „Oper.“
Drei Autoren Lania, Vajda, Balasz – dieser der repräsentative Theoretiker des Films für Deutschland und die Welt, nie ein Konzessionsschuster, immer ein Filmdichter – gehen weit über Brecht hinaus, radikaler, im Dialog scharf und aggressiv, namentlich bei der Erfindung der Bank-Uebernahme durch die Verbrecher. Und ein korrupter Polizeipräsident wird von Mördern und Zuhältern für würdig befunden, Bankdirektor zu werden. Bewußt hochgetrieben zur ironischen Uebernahme der bürgerlichen Welt – durch Verbrecher. An Stelle des Happy-End-Oper-Finales.

Pabst läßt alles, was „Pointe“, Tendenz heißen könnte, vorsichtig wie Knallerbsen zu Boden fallen. Er dehnt gern, wenn es witzig wird. Er vertuscht, wenn etwas zu klar liegt.
Grund: unpopulär sein, gilt bei uns als filmliterarische Pflicht. Sie wollen Filme, für die dreibändige Kommentare erscheinen müssen.
Kein Wunder – wenn Verwirrungsmöglichkeiten dann entstehen.
Eindeutig bleibt (ein Glück) das nachwirkende ernste Wort, der Schluß – wenn die Armen vom Licht in den Schatten treten und die wirklichen Bettler, die ein Bettlererpresser noch aussaugt, still und stumm ins Dunkel gleiten.
Armut als Maskerade. Betteln als Gewerbe. Doch als sich die Armut in der grandios gedachten Störungsaktion der Krönungsfeier selbständig macht, gegen die Königin und gegen den Ausbeuter Peacham vorrückt, einzigartig in der Idee – – da wird Pabst in der Komparsen-Beschränktheit Meister, suggeriert wirklich den erstickten Schrei der Not vor dem Wagen der Königin; Armut erwache. Sonst liebt Pabst (o ließe er’s) – das Reich-Dekorative.
Treppen mit tieferer Bedeutung – und das bombastische Verweilen statt des primitiveren Drangs nach Ablauf, Klarheit, Zielbewußtheit.
Barock-Meister selbst im Armen-Spiel.
Immer Moritat – nicht immer Tat.
VIELE GESICHTER SPRECHEN.
Die Inszenierung ist so attraktiv, suggestiv, vielgliederig, daß der Darsteller sich um Nuancen mehr ein fügt als hervorhebt. Das kann Stil sein, es kann auch Ablenkung bedeuten.
Rudolf Forsters Mackie spielt in verschiedenen Regionen, immer der denkende Schauspieler, den Wandel von der Figurenstarre zum chevaleresken Gentlemanverbrecher spielt er gern aus. Ein erfahrener Herr – sein Mackie, für den Bankdirektor geboren, gar nicht auf Schrei und Revolver gestellt, eher gelangweilt als getrieben. Ein vornehmer Fatalist. Eine undankbare Auffassung (doch die einzig mögliche) am wirkungsvollsten in den Szenen mit seinen Verbrecher-Subalternen. die Pabst sehr amüsant geführt hat. Paul Kemp erspielt sich in grotesken Nebenbei-Schlenkerchen einen Lacher nach dem andern.
Carola Neher findet den seelenvollen Ton der Räuberbraut, wie sichs gehört, und regiert in der geraubten Bank belustigend burschikos.
Die Ueberraschung des Films: Fritz Rasp. Er bringt, solange die Figur ihm Raum gibt, einen neuen Ton, einen neuen Ausdruck. Sein Peachum: ein falscher Missionar des Bösen. Langer Seelenjustav, der noch die Aermsten neppt. Rasp spielt sich hier für eine Fülle neuer Aufgaben frei.
Eine nicht minder blutige Ironie auf die verlogenen Gesellschafts-Repräsentanten: Tiger-Brown, sowie Reinhold Schünzel ihn zwischen Verlegenheit und Kameradentreue, Bestechlichkeit und Gutmütigtun herausstellt. Wieder ein Feinkunststück seines sparsam zeichnenden Schauspielertums.
Ernst Busch beschränkt sich als Ansager auf laut und deutlich sprechen.
Valeska Gert: eine Besetzung, die sich als Treffer erweist. Die richtige Kumpanin Peachums, heute Heilsarmee, morgen Galgen – traut man ihr zu. Sie tanzt auch mit der Sprache. So formt sie mit ein paar Worten Absonderliches. (Hat größeren Rollenkreis als die Fabrikanten ihr Zutrauen.)
Lotte Lenya: „Untermensch“ nennen sie’s. was sie da spielt, man kann’s auch Vollmensch heißen. So sehr sie im Song blaß bleibt, so sicher wirkt sie als das kleine falsche Luderweib.

Es ist kein Gesicht im Film, das nicht Vieles aussagte.
Dieser Film steht für sich, wirbt für sich,
(Ohne eine gewisse Brecht-Weill-Aufführung im Theater-Parterre am Schiffbauer-Damm (31. August 1928) wäre er undenkbar.
Wann komponiert Weill Original-Film?
Wann filmt Brecht?)

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