Originaltitel: Der bebende Berg. Gebirgsdrama 1931; 100 min.; Regie: Hans-Beck Gaden; Darsteller: Hans Beck-Gaden, Hilda Rosch, Hanna Waag, Albert von Kersten, Fritz Müller; Leo-Tobis-Klangfilm.
Ein Bauer will sein Heimatdorf durch den Bau einer Seilbahn dem Weltverkehr erschließen, zerstört durch die Kameradschaft mit einer Ingenieurin beinahe seine Ehe. Eine Erdbebennacht bringt alle zur Einkehr.
Zusammenfassung
Der Seismograph meldet ein Fernbeben in einer Entfernung von . . . Das liest sich einfach und schmerzlos. Ein Berg, dessen kolossales Massiv erzittert unter der Wucht von Erdstößen – ein unterirdischer See, dessen schwarzes Wasser tückisch brodelt und die Quellen mit Schlamm verschüttet . . . wer kann sich das vorstellen, auch wenn er hört, daß es in den Tiroler Bergen ist, wo Menschen leben wie du und ich? Droben über dem sonnigen Lechtal, auf halber Berghöhe leben sie; eine Ortschaft, eine uralte Gemeinde – Siedlung hat ihre Häuser dem Berg an die Brust gelehnt –; viele Stunden klettert jeder Anwohner beschwerlich bergan, um in seine Heimat zu gelangen, wo kein Arzt kein Telegraph oder Telephon das Leben erleichtert. wo der Lehrer von Ort zu Ort geht, um mühevollen Dienst zu tun, wo der Briefträger zwei mal wöchentlich im Winter auf Skiern erscheint. Hier herrschen noch die Sitten der Vater, ein patriarchalischer Geist durchweht das Dorf, die Armut ist die aller – die Bedürfnisse sind klein, der Stolz groß. – Am höchsten Punkt der Ortschaft steht das Kirchlein über dem engen Tal, zwischen herandrängenden Hängen, und es kommt, daß der Plärrer dieser weltfremden Einsamkeit eine Führernatur ist. Denn wer an diesen Posten gesetzt wird, der muß sich selbst entsagen, um der Gemeinde zu nützen: Als halber Berater, halber Arzt, halber Volkswirt und ganzer Mensch. – Namlos heißt das Dörfchen, so still und abseits der großen Heerstraße liegt es, und sein Name ist Symbol Der Berg aber, der das Häusergehocke der Siedlung schirmt ist voll unergründlicher Mysterien, und steht festgefügt wie die ewige Ruhe und Verläßlichkeit – die schwarze Quelle In seinem Schoße der Generationen die stete Mahnung: wehe, wenn der Berg bebt! Dann kochen die Wasser, die Laugen bersten, das Vieh im Stalle wird begraben von Schuttmassen, und der Mensch – arm – sitzt auf den Trümmern seiner Habe, bereit – das Schicksal hinzunehmen, neu anzufangen – nie aber, die Heimat zu verlassen! – Wenn der Berg bebt – wenn die Lawinen den Paßweg verschütten, wenn man abgeschnitten ist vom Tal was dann? Der Herrenhofer – der dem trotzigen alten Bauerngeschlecht sitzt auf seinem Gutshof und denkt darüber nach, wie er dem Dorfe halten kann. Der Kaplan hat mit vieler Mühe und unter Mitwirkung aller ein kleines Kraftwerk erbaut der Gemeinde elektrisches Licht verschafft Vom Kirchenfenster aus sieht man den eingefangenen Wildbach brausen, wenn man Orgel spielt Dor Herrenhofer aber will eine Seilbahn bauen, eine Materialbahn – die Verbindung mit der Außenwelt Niemand unterstützt seine Pläne, zu neumodisch sind sie den Leuten. Aber er verhandelt schon mit Gesellschaften und Ingenieuren – von seiner Idee beteuert – er macht Plane mit dem Fräulein Doktor, das man ihm geschickt hat und studiert alte Möglichkeiten gründlich an Ort und Stelle. Er bemerkt es gar nicht, daß seine schöne junge Frau rieh zurückgesetzt fühlt, daß Bitersucht sie quält, als er mit der Doktorin auf die Zugspitze fährt, um hier die maßgebende Unterredung mit ihrem Chef zu haben. Er kümmert sich kaum darum, daß ein fremder Monteur – im Kraftwerk angestellt – die Dorfburschen gegen ihn aufhetzen will –, sein herrischer Bauernkopf hat sich nun einmal verrannt in den Gedanken, dem Orte Namlos bessere Existenzbedingungen zu schaffen. – Bei der Auffahrt zur Zugspitze singt ihm die Bergbahn ihr Lied – im taktmäßigen Eingriff der Zahnräder, im Summen des elektrischen Stromes meint er es deutlich zu hören: Menschengeist . . Menschenhand . . . . o Wunder der Technik: die Bergbahn! Aber als alles nach seinem Willen zu gehen scheint und die Jazzmusik im abendlichen Berghotel aus einem Foxtrott in den zarten English Waltz übergeht: „Heute abend hab ich das Glück gesehn“, a meidet der Lautsprecher neben ihm ein starkes Erdbeben in Tirol. Sein Berg bebt, seine Heimat ist in Gefahr, seine Frau, seine Kinder, während er hier sitzt! – Der Herrenhofer ist plötzlich aufgewacht, Träume und Pläne zerfallen vor der Wirklichkeit – er weiß: dort gehöre ich hin, zu den Meinen, heim!! Und er fährt heim: in der Winternacht, auf Skiern, die unter ihm zerbrechen, stürzend, zu Fuß, keuchend und gejagt . . . Als der Wintermorgen mit bleicher Sonne den Herrenhof bescheint, der – trotzig und stark wie das Geschlecht, das ihn bewohnt – geborsten, aber nicht gestürzt ist, steht der Berg ehern, ruhig, ein Sinnbild der ewigen Verläßlichkeit da. Auf der Schneewiese vor dem Herrenhof ist alles versammelt wes die Schrecken der Nacht gemeinsam überwunden hat – Dorfbewohner, Herrenhoferin mit ihren Kindern und der Kaplan als Fels in der Brandung. Der Heimkehrende tritt unter sie – erschüttert, die Seinen unversehrt wiederzusehen, sein Haus und alles, was ihm zugehörig und verwandt ist von Urvätern her: Seine Landschaft, seine Heimat und den bebenden Berg, der größer ist als der Mensch.
Kritik (-e-, Film Kurier #232, 11/03/1931):
Einer wollte eine Glocke hoch oben in die Berge hineinbauen, ein schlesischer Dichtersmann, der Glockengießer Heinrich – und sie versank.
Hier, in den Tiroler Bergen, geht es nur um eine moderne Seilbahn, die ein Elendsdorf mit der Zivilisation verbinden soll. Und der Draht zerreißt – denn der Berg und die Menschen in Tirol haben im Werk von Dr. Luitpold Nusser, das er nach einer Filmnovelle von Hugo Rätters schrieb, ihren eigenen starren Sinn.
Nicht überall paßt eine Wolkenbahn hinein so wie an der Zugspitze. Der Herrenhofer, der das Schicksal zwingen wollte, muß einsehen – stärker als Menschenwerk ist das geheimnisvolle Walten der Natur, ihrer rätselhaften Allgewalt gegenüber hilft nur der Glaube – – so predigt das Geschehen des Films, keine tendenziösen Predigerworte freilich – aus der Handlung springt die Lehre. Welche Handlung hätte aber gewaltigeren Hintergrund als die handelnde Natur selbst. Durch ihre reine und ernste Schönheit wirkt auch dieser Berg-Film.
Die Künstler und Techniker des Films sehen beide Seiten der Gebirgswelt, ihre Idylle, überglänzte Berggipfel im Morgen und den Sturm, dessen gewaltige Bildsymphonien den Film durchtoben. Meisteraufnahmen Karl Attenbergers, der sich unter der Produktionsleitung Dr. Nussers auch hier wieder bewährt.
Der Leo-Film gelang, was sie beabsichtigte: Ein Volksfilm – für das Volk gedacht, vom Volke her. Manches mag im Drehbuch naiv anmuten – doch der Autor Nusser will ja in erster Linie verständlich wirken, das karge Wort der Bergbauern beschränkt er, wo er nur kann. Darum wirken die besten Reize der Stummtechnik hier um so stärker. Wobei man in künftigen Produktionen doch sorgen sollte, den Ausgleich zwischen Dialog-Szene und Stummszene zu finden.
Die Wirkung des Films ist auf Hanns Beck-Gaden gestellt, Hauptdarsteller und Regisseur in einem.
Ein naiverer Schlettow, Herrenmensch, doch verwachsen mit der Natur – die Bekanntschaft mit diesem Volksschauspieler lohnt sich. Er gibt mehr als Bauern-Theater, ein Stück Menschentum, eindeutiger, unkomplizierter als unter den Tieflandexistenzen. So ist sein Persönlichkeits-Stil dem Stil des Films angepaßt. Auch da gerade Gefühle. Eine Ehe soll heilig sein – und hier geht wohl der Film bewußt andere Wege der Charakterzeichnung, ein reinerer Hauch liegt um die drei Menschen, die sich auseinander zu leben drohen: Die Ingenieurin (Hanna Waag), die den Herrenhofer seiner Ehefrau (Hilda Rosch) fast unbeabsichtigt zu stehlen scheint – Gewitter über einer kindergesegneten glücklichen Ehe. Selbst in dieser Familienblatt-Geschichte des Films kündet sich die eigene Note an.
Während die Dialogführung des Bauern- und Berg-Spiels glätter und untheatralischer sein könnte, ist die musikalische Dramaturgie des Films geradezu überraschend.
Eine der besten Illustrationen, die man je zu einem Film hörte: Von Professor Alexander Laszlo.
Hier erfährt man wieder einmal, welche unentbehrliche dramatische Stütze die Musik zu diesem Filmgenre sein kann, wie Musik überbrückt, abschwächt oder steigert, wo der Film selbst optische Stockungen oder Lücken hat. Diese Illustration – eine Alpen-Sinfonie. Laszlo schillert in allen Orchesterfarben. Man könnte ihm die größten Illustrationsaufgaben heute anvertrauen, er wird sie auf besondere Art lösen. Wo der Film in seinen Mitteln manchmal primitiv bleibt, verblüfft Laszlo durch modernistische Raffinessen. Er isoliert sich fast mit seiner Musik.
Es gibt viel zu sehen. Die Zugspitzen-Episode sehr bunt, – mit dem Kontrast Natur und . . . Großstädter bei Jazzmusik – dann die Sensationen des bebenden Berges, stürzende Häuser, schreiende Menschen. Eine Kriminalaffäre dazwischen – vom ungetreuen Knecht, der den roten Hahn auf das Herrengut setzt. Gemütvolle Kinderszenen, und in dieser von Leidenschaften und Naturgewalten erschütterten Gebirgseinsamkeit – der moderne Kaplan, der Ruhestifter, der Friedensbote, von Albert Kersten unaufdringlich, überzeugend dargestellt.
Das Publikum sucht sicherlich nicht im Kino – seinen Gott, doch wie der Film in der Allmacht der Natur mystische Kräfte lebendig macht und dem Berg befiehlt, daß er zu kreißen beginnt, so wird sich der fromme, echte Hauch, der diesen Spielen bemühter Künstler und Laien eigen, sicherlich bei einem jeden Publikum, das einen ernsten Film sucht, wirksam erweisen. Und das war die gute Absicht dieses Leo-Films.
Alle Lichtspielhäuser, die einem bestimmten und sehr ausgedehnten Familien-Publikum die von den Großstädtern meist völlig zu unrecht verachtete „Kost für Herz und Gemüt“ bringen wollen, werden mit dem Film ihrem Publikum schöne Stunden bereiten.