Originaltitel: Unter falscher Flagge. Spionagedrama 1932; 91 min.; Regie: Johannes Meyer; Darsteller: Charlotte Susa, Gustav Fröhlich, Ernst Dumcke, Hermann Speelmans, Friedrich Kayßler, Hans Brausewetter, Elza Temary, Theodor Loos, Harry Hardt, Aribert Wäscher, Joseph Almas, Gerhard Ritterbrand, Arthur Bergen; Universal-Tobis-Klangfilm.
Ein deutscher Nachrichtenoffizier läßt sich mit einer Krankenpflegerin kriegstrauen, erfährt später, daß sie eine russische Spionin, glaubt sie an der Ermordung eines Kollegen schuldig. Sie wieder flieht und mißt ihm die Verantwortung für den Tod ihres Bruders bei. Verrät ihn in Warschau an die Russen, deckt aber nachher unter Einsetzung ihres Lebens seine Flucht.
Zusammenfassung
Zeit 1916.
Hauptmann Frank, deutscher Nachrichtenoffizier, wird an der Ostfront bei einem Erkundungsflug abgeschossen und schwer verwundet in ein Feldlazarett gebracht. – Wochenlang ringt er mit dem Tode und wird von Schwester Maria aufopfernd gepflegt, die ihn auch bei seinem Transport in die Heimat im Lazarettzug begleitet. – Frank hat sich in Maria verliebt und bittet sie, seine Frau zu werden. Sie werden kriegsgetraut und verleben einen kurzen Urlaub, der durch die Abberufung Franks aber unterbrochen wird. – Er muß nach Berlin zurück, wo ihm eine besondere Mission vom Geheimdienst übertragen wird.
Die Oberste Heeresleitung plant einen großen Angriff an der Ostfront, und Frank wird von Oberst Seefeld zum Leiter der Spionageabwehr gegen Rußland ernannt. – Die Russen haben Lunte gerochen, daß sie angegriffen werden sollen und setzen alles in Bewegung, um in den Besitz der deutschen Aufmarschpläne zu kommen . . .
Hauptmann der russischen Spionage und der gefürchtetste Spion ist ein gewisser Sulkin, den man aber bisher nicht fassen konnte. – Gegen diesen Sulkin, der angeblich in Berlin eingetroffen ist, richten sich hauptsächlich Franks Manöver.
Franks Assistenten in diesem Kampf hinter der Front sind Hauptmann Weber und Kommissar Schulz.
Man sieht in diesen arbeitsreichen Tagen wenig von Frank, und wenn er heimkommt, bringt er meistens noch einen Offizier mit und die Arbeit geht weiter. – So meldet er sich eines Tages zum Abendessen mit Weber an. – Maria sieht diesem Besuch mit gemischten Gefühlen entgegen. – Sie kauft Blumen für die Wohnung bei Jancke, bei dem sie ständig Kundin zu sein scheint und der sie mit größter Zuvorkommenheit bedient.
Weber kommt mit Frank in die Wohnung! Maria scheint etwas befangen, und Weber grübelt vergeblich nach, wo er sie schon gesehen haben könnte. – Seine Bedenken zerstreuen sich aber sehr rasch, und nach dem Essen ziehen sich die Offiziere zu einer Besprechung zurück, der Maria vom Nebenzimmer aus zuhört. – Plötzlich erscheint Kommissar Schulz sehr aufgeregt und teilt mit, daß die ersten Spuren von Sulkin gefunden sind. Sie haben das Blumengeschäft von Jancke ausgehoben, das eine Spionagezentrale war und gewisse Anzeichen von Sulkins Aufenthalt gefunden . . . Maria hört zu und bricht plötzlich ihr Klavierspiel erschrocken ab . . .
Weber und Schulz haben nach fieberhafter Tätigkeit herausgefunden, daß Maria mit Sulkin irgendwie in Verbindung steht Ehe sie aber ihrer Sache nicht sicher sind, wollen sie diese Tatsache vor Frank geheimhalten und seine Ehe nicht zerstören. – Weber ist nahe daran, Maria zu entlarven und verabredet zu diesem Zweck eine zwanglose Zusammenkunft in der Marabu-Bar. – In dieser Bar tritt Marias Bruder auf, den sie Jahrelang nicht gesehen hat und der von ihr, seit sie Spionin ist nichts mehr wissen will. – Sie hat ihn einmal besucht und ihm alles erzählt. Dieses Gespräch ist von russischen Agenten belauscht worden und wird dem Jungen zum Verhängnis. –
Der Abend in der Bar wird sehr ereignisreich. – Es gelingt Schulz, sich in den Besitz eines von Maria immer getragenen Schmuckstückes zu setzen und darin Beweise ihrer Schuld zu finden. Ein kleines mit Geheimzeichen beschriebenes Papier ist darin verborgen. – Gleichzeitig merkt Weber, daß man einen Wachsabdruck seiner Schlüssel zum Geheimschrank gemacht hat. Er eilt auf die Straße, zum nächsten Telephonhäuschen, da ihm die Bar für dieses Gespräch nicht sicher genug ist. – Aber bevor er die Zentrale benachrichtigen kann, wird er von den Russen erschossen. – Frank sitzt noch mit Maria in der Bar, er wird von Schultz benachrichtigt und eilt an die Mordstelle. – Maria entfernt sich unbemerkt und flieht aus der Stadt, ehe man ihre Verfolgung aufnehmen kann . . .
Frank bricht unter der Entdeckung, daß Maria mit Sulkin identisch, fast zusammen. – Er rafft sich aber auf und bittet Oberst Seefeld um eine ganz schwierige Aufgabe, bei der er wahrscheinlich den Tod finden wird. – Maria ist unterdessen unter größten Schwierigkeiten durch die deutschen Linien an die russische Front gekommen, sie hat ihre Aufgabe glänzend gelöst, bittet aber, sie nie mehr als Spionin zu verwenden. – Sie leidet darunter, daß sie Frank verraten hat und wartet auf den Augenblick, wo sie alles wieder gutmachen kann. Ein russischer Oberst, der erkennt, warum Maria nicht mehr arbeiten will, versucht, sie für die Spionage zurückzugewinnen, indem er ihr erzählt, Frank habe ihren Bruder erschießen lassen. – Seine Berechnung war richtig, Maria will den Tod des Bruders rächen und stellt ich wieder dem Geheimdienst zur Verfügung. – Die Russen haben Warschau besetzt und planen einen Vormarsch. – Frank, als russischer Hauptmann verkleidet, kommt dort an und wird von den schon länger anwesenden Agenten mit dem nötigen Material versehen. – Anstatt sofort wieder abzufahren, läßt er sich überreden, einen Ball, der an demselben Abend stattfindet, mitzumachen, um noch einige Informationen zu erlangen. – Niemand hat gegen den russischen Hauptmann Verdacht, und er kommt unangefochten in die Festräume. – Maria ist von der Anwesenheit eines deutschen Spions informiert worden und erkennt zu ihrem größten Schrecken Frank in der russischen Uniform. – Beide stehen sich gegenüber, beide sind eisige Abwehr, Maria läßt ihren Fächer fallen, Frank hebt ihn auf . . . seine Fingerabdrücke gibt Maria sofort zur Untersuchung. – Dann tanzen sie miteinander. Nach ein paar Worten klärt Frank das Mißverständnis auf, daß er nicht ihren Bruder erschossen hat, – Maria erschrickt, denn in wenigen Minuten wird man Frank verhaften. – Sie blufft nun die auf der Lauer liegenden Russen, bringt Frank im Auto des Generals zu seinem im Wald versteckt liegenden Flugzeug, mit dem er sofort abfliegt. Sie selbst wird von den Frank verfolgenden Kosaken angeschossen, verliert die Herrschaft über das Auto und stürzt mit dem Wagen in einen Abgrund.
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #038, 02/13/1932):
Es ist die Summe der Mehrungen, die diesem Universal-Film den Stempel gibt.
Stärkste Spannung während des Handlungsablaufs, die sich am Schluß in ehrlichen und ehrlich verdienten Beifallssturm löst.
Hier ist ein Film und ein Filmerfolg gestartet: Die Summe der Erfahrungen hat es geschafft und ihre kluge Verwendung.
★
Erlaubt ist in der Filmdramaturgie, was gefällt; wir wissen es. Entscheidend bleibt immer, zumal bei den Werken der Unterhaltungsgattung, die Massenwirkung.
Ist Spionagemilieu etwa nicht mehr gefragt, wie man uns weis machen will? Im Gegenteil, es ist in den letzten Monaten kein Film gezeigt worden, dessen Vorgänge erregender waren als dieser Kampf unter falscher Flagge.
Denn: Man ist sich produktionsmäßig von vornherein darüber klar gewesen, daß Stoff und Verarbeitung nur unter Beseitelassen gedanklicher Belastung geformt werden konnten. Alles nehmen Publikum und kritischer Betrachter bei Filmen solcher Art in Kauf; wenn ihnen nur Bewegung, Belebung, Auftrieb geboten wird.
Also wurde, mit Recht, auf jede gedankliche Erweiterung des Themas verzichtet. Es steht der Spionagefall an sich zur Debatte. Nicht um Russen oder Deutsche geht es; kein seltsam ethisches Zwischenspiel ist Wirkungsballast. Auf die Kriminalsituationen und, natürlich, die Verfolgungssensationen kommt es an.
Nicht einmal das Erotische; die Spannungen zwischen Nachrichtenoffizier und der – ihm angetrauten – Frau aus dem Gegenlager drängen sich vor. Sie sind als Effektmomente eingesetzt . . ., und steigern somit ihre Erwartungen.
Mut zum Reißer, das ist die Art der Filmkühnheit, die mit Können vereint zum Erfolg führen muß. (Kein Geheimnis ist es, und doch wird es nur selten erreicht. Mut ist nämlich nicht durch, sagen wir, Frechheit zu ersetzen; Können bleibt Voraussetzung.)
Unmöglich, im Ansturm der Ereignisse zum kontrollierenden Nachdenken zu kommen. Immer wieder lockt ein mit Brillants serviertes Detail auf falsche Fährte. Und bei der Turbulenz des Finish gibt man es dann auf, gepackt von dem Kinoerlebnis.
Ja, das Kinoerlebnis ist wieder da, es nimmt uns gefangen, wie einst, unmittelbar vor dem Kriege, in den Nachkriegsjahren, als von der weißen Wand her die Sehnsüchte der Jungen Jahre ihre Erfüllung fanden.
Das Eindeutige der Kientopp-Atmosnhäre war es wohl, das uns alle zuerst gebannt hat. Selten ist es heut noch in seiner eigenen Art anzutreffen. Doch wo mans packt, da ist es fesselnd.
(Und bedeutet: Für die Millionen der Filmbesucher endlich wieder, Realität vergessen zu können, fremdes Leben mitzuleben; für den Theaterbesitzer, für Verleiher und Produzenten das rargewordene Geschäft – mit gewinkeltem rechtem, halbhocherhobenem Arm zu lesen, so . . .)
Erbübel des Films, des Sprechfilms. Genickfang vor allem für die Abenteurergattung, hier ist nichts davon; Keine Dehnung, Ueberlastung durch Wort, Passagen, Spielszenen.
Reich bedacht an Vorgängen, prall von Vitalität ist das Werk. Gedankenlöcherchen, logische Schönheitsfehler, das wollen wir gar nicht so genau wissen. Gesamtlob für die Autoren, Johannes Brandt, Josef Than und Max Kiramich. Sie haben ihre Köpfe weidlich angestrengt. Von der Fliegeraufblendung über die Spionagezentrale in der Blumenhandlung am Belle-Allianceplatz – mit der Parole, ausgerechnet. „Maiblümchen“ – es ist alles da.
Von soviel Geschehnis lebt ansonst ein halbes Dutzend Filmchen. Wo dieser eingesetzt wird, ist fürs Zweischlagerprogramm kein Platz. Beste Widerlegung der Schleuderei ist, immer noch, die Leistung.
★
Die Arbeit wird zur Ehrenrettung des Regisseurs Johannes Meyer. Wie oft hat er seine Kraft an Filme kleiner Mittel wenden müssen; und öfter noch, schon im Stummfilm, bewiesen, daß er die technische Apparatur durchgehend beherrscht. Nun kann er sich endlich in ungleich größerem Rahmen betätigen.
Er sorgt, zunächst, fürs unerläßliche Tempo. Aus Material, Zeitspanne und Geldmitteln ist das Letztmögliche herausgeholt. Bereits zu Beginn der Flugzeugkampf gibt die vorbereitende Stimmung; der Schluß ist knapp und erfreulich unsentimental.
An Besetzung und Darstellerführung ist man mit besonderer Liebe herangegangen. Die Darsteller sind der ewigen Typisierung entkleidet. Und wieder wird ersichtlich, wie unendlich reich das Kräftereservoir deutscher Künstler ist, wenn man nur den Willen hat, sich seiner zu bedienen. (Produktionsleitung: Hans von Wolzogen and Max Wogutsch.)
Es ist kein Platz für Startum; auch nicht bei den Trägern der Hauptrollen. Aber selbst für Satzfetzen, vorüberhuschende Gestalten stehen Könner ein: Harry Hardt, Aribert Wäscher, Theodor Loos, Josef Almas, Hans Brausewetter.
Ein paar sitzende Pointen Hedwig Waugels; Elza Temary, ungezwungen. Eine reizende Einlage: Gerhard Ritterband, der Lehrling des deutschen Films.
Hermann Speelmanns, bei Bühne und Film, zu häufig auf falsche Prominenz gedrängt, füllt eine Episode humorvoll, lebensecht. Friedrich Kayßler gibt noble Haltung; Ernst Dumcke, jene Sicherheit, die immer wieder neu und unverbraucht wirkt.
Raum schafft sich, als Unglückshäufchen und Zufallsmörder, Arthur Bergen. Die Schmierigkeit einer verlorenen Existenz wird für Bild und Tonsekunden deutlich und bleibt haften.
Ein ausgesuchtes Paar: Charlotte Susa und Gustav Fröhlich. Die Susa strahlendschön, mit einfachen Tönen, gewinnend eben durch jeden Verzicht auf Pose und Heroismus.
Neben ihr Fröhlich, in seiner Männlichkeit heute mit an der Spitze der deutschen Filmliebhaber (und nach wie vor einer der größten Hoffnungen der Sprechbühne).
Zwischen den beiden werden die menschlichen Beziehungen fühlbar gemacht. Wie überhaupt im ganzen Film alles Darstellerische weit entfernt von der Unterstreichung des Zweckspielens bleibt.
Virtuos ist die Verwendung des Tons als Spanuungsmittel: Uebergang vom D-Zug-Geräusch in die Musik des Schicksalsboston – eine ausgezeichnete Nummer des Maestro Becce –, Klopfzeichen und das Todessignal des Generalautos.
Das Technische ist ohne Tadel Architektur: Otto Hunte, Tonschnitt: Bartning; Ton: Jansen. Ein paar gefällig-mondäne Porträtsaufnahmen der Susa von Otto Kantureck. In allem: Gute Klasse.
★
Kost ist dieser Film, wie das Publikum ohne Unterschied der Schichten sie verlangt.
Also gerade das, was die Kinos brauchen. Und was der Produktion not tut, wenn sie Kraft genug sammeln soll, um lebensfähig zu bleiben für eine Weiterentwicklung.