Ariane

Originaltitel: Ariane. Kammerspiel 1931; 84 min.; Regie: Paul Czinner; Darsteller: Elisabeth Bergner, Rudolf Forster, Annemarie Steinsieck, Theodor Loos, Alfred Gerasch; Nero-Tobis-Klangfilm.

Ariane, Studentin aus gutem Hause, gibt sich, noch uberührt, einem Diplomaten hin, reizt ihn durch Erzählen erdichteter Liebesaffären. Er, der ursprünglich nur ein Abenteuer wollte, leidet schließlich darunter und will sie verlassen. Nun erst sagt Ariane die Wahrheit.

Zusammenfassung
Ariane, eine junge Russin, von aller Herbheit und Süße, Zärtlichkeit und Kantigkeit, die ein junges Mädchen von zartem Empfinden im ersten Kampf mit der Welt abwechselnd beseelen, begegnet dem Weltmann, der nur ein flüchtiges Abenteuer auf der Durchreise sucht. Vom ersten Augenblick an, da er sagt: „Ich bekomme immer, was ich will“, beginnt der heimliche Zweikampf zwischen ihnen wer der Stärkere sein wird. Scheinbar ist er es. Mit gewohnter Sicherheit legt er fest: Sie werden ein paar angenehme Tage verbringen – sie ist ja kein dummes kleines Mädchen mehr, – danach sich mit leichtem Bedauern trennen. Immerhin gäbe es eine große Gefahr: die Liebe. Doch dagegen seien sie wohl beide gewappnet.
Er bekommt, was er will. Ariane gibt sich ihm. Sie verschließt ihre scheue, zaghafte Mädchenhaftigkeit und spielt die erfahrene Frau, die er haben wollte, die selbstsicher, kühlen Herzens die Gegenwart genießt. Warum paßt ihm das nicht? Warum quält ihn immer wieder der Gedanke, daß sie schon andere Männer vor ihm geliebt hat? Er ist bereits so verstrickt in dieses für ihn ganz neue Erlebnis, daß er der Welt, in der er früher gelebt hat und die ihn in Gestalt einer befreundeten Baronin wieder zu gewinnen sucht, vollständig fremd gegenübersteht.
Als die Zeit, die er sich für Berlin vorgenommen hat, abgelaufen ist, kann er sich noch nicht von Ariane trennen. Er gibt einige Tage zu, die sie in einem kleinen Häuschen an der Küste Italiens verbringen. Plötzlich wird er abberufen. Sie scheiden, wie sie es sich vorgenommen haben. Hat Ariane das Spiel verloren?
Sie kehrt zu ihren Studien nach Berlin zurück. Ihre Ferien verbringt sie bei ihrer Tante in Zürich. Heimlich zählt sie die Tage, die sie schon von Konstantin trennen. Am 84. bekommt sie ein Telegramm aus New York: Eintreffe nächste Woche Berlin. Das Überglück des Wiedersehns verwandelt sich sofort in Kampf, als sie von ihm hört, daß sie wieder nur für einige kurze Tage der Durchreise seine Gefährtin sein soll. Sie quält ihn von neuem mit der AUfzählung ihrer angeblichen früheren Abenteuer, bis er sie von sich stößt, eine Fahrkarte nach Rom bestellt, seine Sachen packt, ohne noch ein Wort zu ihr zu sprechen.
Als er am Schreibtisch ein Telegramm aufsetzt, sagt sie mechanisch, klanglos hinter seinem Rücken: „Was nutzt es dir, daß du klüger und gebildeter bist als andere. Weißt du wirklich nicht, daß ich unberührt zu dir kam und niemandem vor dir gehört habe?“ – Konstantin faßt sie rauh an: „Warum hast du einen Narren aus mir gemacht?“ „Warum? Du hast doch selbst gesagt, einem „jungen Mädchen“ würdest du lieber ausweichen“ . . . . . . Da klopft es. Die Hausdiener treten ein, holen das Gepäck.
Ueber diesen Gipfel seiner Verwirrung und Beschämung und über eine unüberbrückbar auftuende Kluft, findet Konstantin erst im letzten Augenblick den Weg zur Lösung. Im letzten Augenblick, als der Zug schon anfährt und Ariane wankend daneben einherschreitet und ihre schwachen Kräfte sie zu verlassen drohen, da reißt Konstantin Michael sie in seinen davonfahrenden Zug und in sein Leben.

Kritik (E. J., Film Kurier #044, 02/21/1931):
(Wie anders wirkt dies Zeichen auf uns ein. Du Geist der Erde bist dem Kino näher.) Vor diesem Jung-Frau-Märchen der Bergner geriet ein Teil des Publikums in eine neue, jetzt so selten erlebte Haltung, – wandelte sich zu verliebten Genießern – hielt die Herzen hoch vor diesem Liebesfilm.
Es geht alles um Liebe.
Privateste Bezirke zwischen dem erfahrenen Mann in den reifen Vierzigern und der unberührten Achtzehnjährigen werden aufgeschlossen.
Die heiklen, mit erotischer Praxis und dem leicht dekadenten Eau de cologne russe erfüllten Romankapitel von Claude Anet legt ein spielender, dabei selten so zuchtvoller, geschlossener, in seiner Linie gehaltener Film bloß. Er prostituiert nichts, er komponiert. Unterschätzt nicht, unterschätzt nicht diesen leichten Takt, der hier angeschlagen, hier gelang.

Die russische Mathematikstudentin (aus „gutem Hause“) und der Diplomat, durch nichts als den Eros und die Reiz- und Ermüdungsspiele um ihn verbunden, kämpfen um einander. Sie spielt sich ihm als erfahrene Studentin der Liebe auf, ihn reizt ihre „Vergangenheit“, obwohl er, der Erste, die Unberührte nahm. Es ist ein Wunder, wie gerade dieser peinliche Vorfall umspielt wird, doch es ist nicht das einzige Wunderbare des ersten Bergner-Tonfilms.
Hier ist gelernt, mit Grazie umzugehen. Seine Schöpfer sind frei von allen Mißverständnissen.
Paul Czinner und Carl Meyer haben endlich einmal den Mut, eine einfache Geschichte nicht zu komplizieren. Berliner Seelen-Schwere, belastende Psychologie sind ebenso vermieden wie ein Zuviel der Montage. Man fügt sinnsteigernde, treibende Szenen aneinander, nicht Filmschnitzel. Das würde hier stören.
Endlich einmal geniert man sich im Sprechfilm vor der Sprache nicht – weil man Konversation beherrscht, weil zwei solche Wortsouveräne, im Sprechen wie im Schweigen klingende Menschen, Elisabeth Bergner und Rudolf Förster, die Aktion tragen.
Diese beiden Menschen sind im Film meist allein. Im Theater, in der Tanzbar, am Teetisch, im Hotel; italienischer Strandort beherbergt sie, allein im Auto, auf der Bahn – immer die beiden:
Man kommt nicht von ihren Lippen los, und wenn die Liebenden sich in engster Glut nicht lassen, so ist das Publikum herangetragen, mitgenommen, gefesselt an den Rhythmus, der die intime Zwiesprache des Films belebt. Freuden, Schmerzen, Lügen, Leidenschaften. Ein Film der privatesten Erschütterungen – der Psychoanalyse so fern wie der Ueber-Psychologie. Er ist ein menschliches Schau-Spiel.
Und das gibt es doch: ein Privatethos zwischen den Menschen, das hier vom Manne her erst recht übel aufstößt; ein Weibhinnehmen, weil es kühl reizt, kindlich aufblickt und dabei den Zyniker wissend beruhigt. Gegen diesen geschäftsmäßigen Bonvivant, der, sobald er das Hotel verläßt, in dieser Zeit ein gefährlicher oder befähigter Diplomat sein mag, rührt sich Ariane, die junge Russin. Sie rebelliert . . . mit Lügen-Taktiken.
– Russin? Weil sie klug, gesund, verdorben, närrisch, vergreist, verkindischt, pervers und makellos ist. Kann eine „Rolle“ mehr in allen Bergner-Farben schillern? (Und es ist nicht einmal eine „Rolle nur“.)
Dazu also das Erstaunlichste: die Bergner gibt sich mit Förster ohne Staranflug Czinner, der ein ganz neues Gesicht, andere Formkraft, anderes Format mit diesem Film beweist, bei meist klarer Tongebung (wieder Adolf Jansen) in Zanders geschmacklicheren Bauten, mit Schlasys angreifbarer Photographie, hat hier den Sprechfilm neu entdeckt.
Man war lange nicht so angerührt im Film wie von der unmittelbaren Wirkung der tanzenden Junganmut und der Sprachmelodie der Bergner. Sie übertrifft selbst die stärksten Sprechfilmwirkungen der Rut Chatterton.
Diese Ariane, puderbleich mit rot abgesetzten Bäckchen, im mimischen Mittelmaß der Ruhe nicht ungewöhnlich – – aber wie sie sich bewegt – wie sie die Liebesmärchen vorträgt, wie sie mit tiefer shakespearenärrischer Reverenz vor dem Geliebten scherzt – das ist nur einmal da in der Welt der schönen Schein-Spiele, einmal . . . die Bergner.
Forster, nur ein Wort für ihn: ideal.

Man kennt geistvollere Spiele, zeitnotwendigere; an diesem Film imponiert sein In-der-Art-Bleiben, die Treue für das eigene Genre, Szenen-Musik, Gleiten über Requisit und Mensch nicht um des Gleitens willen – (alles über den einen Kontrapunkt Liebe).
Der Film hält Balance, hat Fülle, Schwung, – eine Höchstleistung C. Meyers am einfachen Objekt – auch der Produktionsleiter G. C. Horsetzky ist zu nennen – eine Ensembleführung geschickt verhalten, mit Hertha Guthmar, Theodor Loos, A. Gerasch.
Dazu ein paar Ohren voll Mozart „Don Juan“ in der Krolloper – ein besonders guguter Stimmungssänger – Helen van Vlieth stimmlich bemerkenswert in einer kurzen Konzerteinlage und dann, dann, dann . . . .
Aber wer will ein Gedicht erklären, in dem er die Verse beschreibt . . . . vor diesem Film, voll mimischer Feinheiten, zahlloser witziger Einfälle, klingender Menschen-Intimität wird der Zuschauer selbst zum Poeten werden.
Circé verwandelte die Männer in Schweine, die Bergner begnügt sich mit Lyrikern.
Es ist ihr bisher größter Filmerfolg überhaupt. Kulturfilm der Bergner, so „sinnvoll“ und „bedeutend“ wie ein Blütenzweig im Wind.

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