Originaltitel: Gassenhauer. Lebensbild 1931; 91 min.; Regie: Lupu Pick; Darsteller: Ina Albrecht, Ernst Busch, Albert Hörrmann, Margarete Schön, Rudolf Biebrach, Michael von Newlinsky; D. L. S.-Tobis-Klangfilm.
Fünf Hofsänger geraten unter Mordverdacht, just als ein Varietéengagement winkt. Um dieses und einem Mädchen den Geliebten zu retten, bekennt sich einer als Mörder, wiederruft aber, als die Schöne sich für ihn entscheidet. Geständnis der Täterin und Vereinigung des Paares.
Zusammenfassung
Im Hofe eines Großstadthauses. Fünf junge Leute, stellungslose Musiker, haben sich zusammengefunden, um als Straßenmusikamen ihr Leben zu fristen, bis bessere Zeiten kommen. Da sie keine Instrumente mehr besitzen, haben sie einen glänzenden Trick einstudiert: sie haben sich ihre Jazzinstrumente aus allerhand Material kunstvoll zurechtgezimmert und ahmen sämtliche Töne mit dem Munde nach. Man merkt es erst, als sie ihre Instrumente fortlegen, um das Ihnen zugeworfene Geld einzusammeln und die Musik trotzdem weiter ertönt.
Die fünf Musikanten und ihr eigenartiger Trick fallen eines Tages einem geschäftstüchtigen Impresario auf und er beschließt, die fünf unter seine Fittiche zu nehmen und zu lancieren. Aber es ist nicht so einfach, der jungen Leute habhaft zu werden. Denn sie haben allerhand Ursache die, Polizei zu fürchten. In dem ärmlichen Hause, welches sie bewohnen, ist ein Mord am Hauseigentümer geschehen, und der Verdacht fällt auf sie. Hat doch fast jeder von ihnen schon einmal damit gedroht, es dem Hauswirt heimzuzahlen, daß er ihrer Freundin Marie, einem hübschen jungen Mädel, das sie betreut, mit seinen Liebesanträgen verfolgt. In einer Nacht nun, da er sich zu Marie schleichen wollte, ist der Mord geschehen, und als die Fünf von ihrer Tour nach Hause zurückkehren, werden sie bereits von der Polizei erwartet, die ihren Kollegen Paul, den Größten und Stärksten von ihnen, verhaften will, da er am meisten belastet erscheint. In diesem gefahrvollen Augenblick erkennt Peter, der zarteste der fünf Musikanten, daß er seine Liebeshoffnungen auf Marie begraben muß. Zu deutlich spiegelt sich in ihren Augen, die Angst um Paul, als sie ihn verlieren soll, und mit einem heroischen Entschluß bekennt er sich, zur Verwunderung seiner Kollegen, zu dem Mord. Allen Fragen setzt er nur ein verbissenes Schweigen entgegen und läßt sich opferfreudig verhaften, hat er doch nach seiner Meinung Marie, die er vergöttert, mit seiner Selbstaufopferung heute den größten Liebesdienst erwiesen. Kurz nach dieser Tragödie vermag sich endlich der Impresario mit den übriggebliebenen vier Mokanten in Verbindung zu setzen. Von ihrem Erfolg überzeugt, platziert er sie als neueste Attraktion im Tanzpalast „Pavillon“, und wirklich wird auch das erste Auftreten der vier zu einem Riesenerfolg. Wohl sind die vornehmen Besucher des eleganten Lokals verwundert, als plötzlich vier verlumpte Musikantengestalten in den eleganten Räumen auftauchen, aber als sie dann den Trick der jungen Leute erkennen, und als gar die vier das von dem gefangenen Peter komponierte Lied von der Marie spielen und singen, ist der Ruhm der jungen Musiker gemacht.
Die entzückende Melodie dieses Schlagers dringt bald hinaus auf die Gassen, jeder Schusterjunge pfeift es, jeder Leierkasten spielt es, in jeder Wohnung wird es geklimpert, überall an allen Enden der Stadt erschallt das Lied von der Marie.
Ein neuer Gassenhauer ist geboren.
Nur zu bald haben die jungen Leute ihr ärmliches Heim und die kleine Marie vergessen. Paul, der ansehnlichste von ihnen, genießt die Gunst einer schönen Tänzerin und wird von den anderen drei, die sich ebenfalls in sie verliebt haben, glühend beneidet. In das sonst so harmonische Verhältnis der vier ist ein tiefer Riß gekommen.
Inzwischen aber erfährt Peter im Gefängnis von dem unerhörten Aufstieg seiner vier Kollegen, und als er bei einer Konfrontation mit Marie erkennt, daß sie nicht mehr Paul, sondern ihn selbst gerne hat, da sucht und findet er eine Gelegenheit zur Flucht. Heimlich schleicht er nach Hause und in dem leeren, von den Kameraden verlassenen Zimmer finden sich Peter und Marie. An demselben Abend kommt es zu einer erregten Auseinandersetzung zwischen Paul und der Tänzerin, deren Leidenschaft für den jungen Musiker längst verflogen ist und die ihm in dürren Worten den Abschied gibt. Marie ist also ohne sein Zutun gerächt. So erkennt er, was er wegen einer Laune verloren hat, und kehrt mit den Kameraden zu Marie zurück, die er einsam und unglücklich glaubt.
Unterdessen hat der geheimnisvolle Mord an dem Hauswirt eine verblüffende Aufklärung gefunden. Ein Kriminalkommissar, dem das offene Geständnis des Musikanten Peter immer unglaubwürdig vorgekommen war und der von Anfang an einen bestimmten Verdacht auf die Haushälterin des Hauswirts hatte, konnte endlich ihr Geständnis erreichen, daß sie ihren Herrn aus Eifersucht ermordet habe.
Als Paul erscheint, um Marie in die Arme zu schließen, muß er einsehen, daß er zu spät gekommen ist. Peter ist im Herzen Maries an seine Stelle getreten.
Noch einmal scheint Unheil über ihn hereinzubrechen, als plötzlich der Kriminalkommissar in der Stube auftaucht. Aber er bringt nur die Mitteilung, daß Peters Schuldlosigkeit nun durch das Geständnis der Wirtschafterin erwiesen ist.
Der „Gassenhauer“, von allen fröhlich gesungen, feiert die Verlobung Peters mit Marie.
Kritik (E. J., Film Kurier #079, 04/04/1931):
Lupu Pick sagte uns: „Wenn man von mir verlangte, einen „Wiener Walzer“ zu drehn . . . ich würde in Wiener Waldumgebung auf der Landstraße einen Mann zeigen, der die Chausse walzt.“
So wörtlich, so entromantisiert wies er in ironischem Gespräch über Film – auf das Leben.
Er zeigt also in Gassenhauer ein paar junge Leute, die sich durchs Gossenleben hauen. „Mit dem Anstand, den er hatte, als er’s Licht noch sah.“
Sein Auge schaute so, sein Wort verwandelte, seine Hand lenkte so: daß ein paar Hofsänger wirklich vor uns leben. Heruntergekommene, die sich durch Singen nähren.
Ein Großstadt-Haus-Hof enthüllt’s. Da gröhlen sie.
Und Pick öffnet Fenster und Stuben, läßt Kinder und alte Herren zuhören, wie der Gassenhauer mit Dideldumm und Gejodel aus den Kehlen steigt. Sous les toits de . . .
Er steht hinter jedem Bild, jeder Note, die den Gassenhauer der jungen Sänger zusammen komponieren.
Pick ist ein Film-Meister, kein Theater-Imitator. Es „filmt“ vor unseren Augen, Film weitet, breitet sich; optische Daseinsanmeldung, Geschehen, Handlungsphotographie. Ein ganzer visueller Roman, den Dr. Johannes Brandt phantasiereich, nicht verlegen um Einfälle, erfunden hat.
Auf eng begrenzendem Titel eine Welt von Vorfällen und Gefühlen.
Fünf Hofsänger werden Kabarettsänger. Ein Manager engagiert sie. Dies der Vorgang.
Ein Mord fällt auf den fünften, bringt den Peter ins Gefängnis – unschuldig, wie man sehen wird, und aus Liebe zu Marie, dem Mädel, das ein Schlager von Marc Roland populär (und für deise Sommersaison unsterblich) macht.
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Fünf junge Schauspieler können nicht versagen, wenn ein solcher Regisseur der Vermenschlichung sie führt. Pick kommt von der Film-Sichtbarmachung her. Er appelliert an den Augenmenschen. Er insceniert fürs Sehen. Lieber, toter Freund – Führer der Regisseure Deutschlands, wie recht hatte er. Wie schuf er symbolisch und bestimmend für den Filmfortschritt in diesem seinem Tonfilmerstling. Das geht gegen Theater und Dialoghäufung. Der Gassenhauer ist auch zu sehen.
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Für einen Toten wird hier nicht Lob – aus Pietät – gehäuft. Der Film eines Lebendigen ist zu loben. Pick besaß Tradition, Routine, Einfühlung und tiefes Wissen um das Film-Wesentliche. Er beweist es hier: jeder Schritt, jede Milieuzeichnung der Leinwand wirkt überlegt und eingeschaltet in visuelle Vorstellungen. Der Tonfilm meidet Sprechverlegenheiten. Er hat etwas zu bilden und zu bildern.
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Er entkostümiert Filmfiguren und bringt sie in die Nähe seines eigenen Blutes. Nur ein Zug sei vermerkt: auf dem Hof singen nicht verkleidete Schauspieler, sondern nette Junge Leute, die etwas heruntergekommen sind und über die man nicht ganz sagen kann, wovon leben sie in den heutigen Zeiten eigentlich? Später treten die Boys im Kabarett als „Hofsänger“ auf . . . da sind sie dann köstlich zurecht gemacht, echt unechte Hofsänger. Solche Nüancierungskunst zeigt sich hinter jedem Einfall.
Sparsam und unbeirrt wie die Szenenführung in seiner „Wildente“ und mit dem mondänen Glanz der „Nacht in London“, zudem mit weiser Behandlung alles Sprachtechnischen hat dieser Film, mit seinen Ironien und Ansichten auf das Lebenskino, – – Wärme, echte Atmosphäre und natürlichen, menschlichen Gehalt wie wenige. Dabei mit Kino-Spannnng und schließlich auch „Tempo“ ausgezeichnet. Alles andere als ein „Gassenhauer“. Ein tragikomischer Titel müßte ihm eigen sein, die fünf armen Teufel und die kleine Marie.
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Der Film wird in kaum einer Szene „gespielt“. Er hat Da-Sein. Die fünf Jungens: Ernst Busch, Albert Hoermann, Max Deppe, Martin Jacob, Wolfgang Staudte.
Er nahm Jugend und keine Stars und wieviel Kraft kommt von diesen, ungeschminkten Menschen, Ernst Busch ohne Radauproletentum und doch einer aus der wertvollsten Menschenschicht. mit seinem fanatischen Verschweigenkönnen und dem stillen Trotz in den Szenen der „Voruntersuchung“. Albert Hoermann nicht minder gelassen und abgedämpft bei allem verliebten Getue, das ihn von Mariechen zur spanischen Tänzerin bringt. Leute von heute, keine Tonfilmromeos, beweglich, lebendig. Endlich nicht der Prinzstil eines Pabst.
Auch das Mädchen Ina Albrecht läßt er in der Beengtheit der Herzensbedrängnis und Schüchternheit.
Um sie herum Menschen, Menschen und Menschen. Die Tänzerin, der Impresario, der Hausverwalter, der Kriminal-Kommissar, die Untersuchungsrichter, der Aufseher – sie sind vom Heute her, sie wohnen neben uns. Man sieht wieder: Der Filmregisseur ist meist ein größerer Dichter als sein Autor. Glücklicherweise waren ihm hier Brandt und Marx Roland mit seinem volkstümlichen Marie-Schlager gute Helfer.
Die Technik hat Niveau. Das Manuskript gibt Neppach und Scharf Gelegenheit zu ungewöhnlicher Milieu-Bestimmung. Ein Liebespaar in der leeren Dachkammer, nur die Petroleum-Lampe neben sich. Einmal ein Schreibtisch mit dem ganzen verdrehten Tischler-Wust. Säulchen, Rähmchen, Eckchen, Kantchen, des wilhelminisch-möblierten Deutschlands. Eugen Schüfftan und Robert Baberske sind überall mit dem Regisseur eins gewesen. Sachliche sichere Leistungen.
Der Publikumserfolg muß groß sein. Der Gassenhauer (nicht nur der „Marie“-Schlager sondern der ganze Film) erobert die Gassen und die Kassen. (Nicht wegen des Konsonantenspiels sagt mans.)
Sehr stark war der Beifall.