The Song of Life

Originaltitel: Das Lied vom Leben. Reportagefilm 1931; 60 min.; Regie: Alexis Granowsky; Darsteller: Aribert Mog, Margot Ferra; Filmkunst A.-G.-Tobis-Klangfilm.

Ein Mädchen läuft ihrem alternden Bräutigam fort, heiratet nach einem Selbstmordversuch einen Jungen, wird Mutter, ahnt den ihres Kindes harrenden Lebenskampf.

Zusammenfassung
Geburt, Liebe, Trennung, Altern: Dies sind die natürlichen Stationen jedes menschlichen Lebens. Wie ein Lied in Moll oder Dur, in Crescendi und Decrescendi, sich durch die Einfachheit der Vorgänge und der Tonfolge dem Ohr einprägt, so sucht dieser Film durch ein leichtes Fortspinnen von Stimmungen optisch und akustisch einen Nachhall zu wecken. Wie man eine Melodie nachsummt, so unbelastet soll der Zuschauer und Zuhörer sich der Szenen dieses Tonfilms erinnern. Der Auftakt: Eine Verlobungsfeier. Eine Gesellschaft, die sich selbst überlebt hat und hinter einem oberflächlichen Zeremoniell ihr Scheindasein weiterführt. Verzweifelt flieht das junge Mädchen aus diesem Totentanz. Sie sucht den Tod. Ein junger Mann rettet sie. Kein Recht auf den Tod hat junges Leben. Er zeigt ihr, was allein die Menschheit dem entgegenzusetzen hat: Arbeit und Liebe. Schaffen, Produzieren und Verbundensein mit der Natur. Meer, Himmel und Erde – und die ganze Welt offen für jedermann. In den Spielen der Tiere ist der Sinn des Lebens noch erkennbar. Im Paradiesesgarten Hatte jeder sein Asyl, Für alle Rassen und Arten War Raum für Leben und Spiel. Diese Wirklichkeit der Tierwelt erscheint wie ein Traum, und in den Traum mischt sich der Alpdruck der menschlichen Realität. Das Mädchen gerettet. Sie liebt, sie wird geliebt. Aus den Katastrophen des Herzens blüht neues Leben. Der böse Traum zerrinnt. Wenn Jugend auf Jugend trifft, hebt sich das Leben. Es steigt, singt, jauchzt im Zusammenhang seiner ewigen Wiederholung. Im Mutterleib waltet das unverfälschte Naturgesetz nach dem einzigen Gesetz: dem Lebensdrang. Der Arzt, der Geburtshelfer, dem das Leben anvertraut ist, folgt keiner persönlichen Regung, sondern nüchtern der Pflicht. Sein Amt ist nicht Mitleid, sondern Hilfe. Es sind zwei Leben, um die er hier kämpft. In der Narkose, in die das Bewußtsein untertaucht wie in die Tiefe eines Stromes, leitet das Unterbewußtsein in den Motiven alles bisher Erlebten das Dasein weiter. Die Geburt: Der erste Schrei, der erste Blick, ein neues Menschenkind erwacht zum bewußten Sein. Aus dem Dämmern der frühesten Kindheit wächst das Kind, und es wächst sein Spielzeug, und der Spielzeugdampfer wird ein Frachtschiff, und aus dem Spiel werden Pflichten und Sorgen: In Kingston morgen – In Tokio heut – Es ist immer wieder dasselbe – Kombüsen gescheuert Und Fässer vertäut – – Altert der Mensch, so wird die Welt alt mit ihm. Und die Jungen werden seine Gegner, „und machst du schlapp, wird ein anderer betreut“. Nur in einer menschlichen Beziehung, zur Mutter, findet er immer wieder zurück, von wo er ausgefahren ist, von der Kindheit. –

Kritik (Hans Feld, Film Kurier #096, 04/25/1931):
Kloidt und Granowsky beehren sich, vorzuführen:
Nicht ohne Grund verdient Nennung an erster Stelle der Regierungsrat, dessen Macht die vorliegende Fassung des Granowsky-Films erzwungen hat.
Daß – trotz alledem – ein Film von außerordentlicher Bedeutung, von prinzipiellem Wert, zur Vorführung gelangte dafür wollen wir ihn nicht verantwortlich machen.
Das letzte Wort behält der Künstler Alexis Granowsky. Sein „Lied vom Leben“ übertönt das politische Lied vom Zensor.

Schon als Führer des Moskauer Jüdisch-Akademischen Künstler-Theaters hat dieser Granowsky seine Filmeignung erwiesen.
Die Präzision in der Handhabung des technischen Apparats, die Zusammenfassung der Schauspieler zur Gemeinschaft, vor allem aber jene wunderbare Vielfalt im Bewegungs-Ablauf offenbarte den schöpferischen Sinn fürs Bildhafte.
Von der Basis solcher Erfahrungen geht Granowsky aus. Sein Film ist Laboratoriumsarbeit; bestimmt, an der Herstellung selbst zu lernen . . . und mit dem efrtigen Werk zu belehren.
(Welch eine Möglichkeit für Publikumsschulung! – Wobei die Organisierung von Besuch und Besucher, der ausdrückliche Hinweis auf den exzeptionellen Charakter des Granowsky-Leistung, eine Voraussetzung ist.)
Eine Expedition ins kaum noch erforschte Gebiet des Tonfilms ist da unternommen worden. Und, sieh an, in dieser Zeit des vom Wort eingeengten – anstatt bereicherten – Films hat einer das Visuelle im Film wiederentdeckt.
Optik und Akustik werden auf Relation hin untersucht, zusammengefaßt, in Divergenz ausgenutzt. Ein Kompendium von Tricks, von Schnittversuchen, Szenengestaltung ist angelegt.
Die Filmsprache, deren sich Granowsky dabei bedient, ist unsere Sprache, und wenn dabei neugeborene Babys den ersten, vermutlich noch von keiner schwarzen Macht erpreßten, Angstschrei ins Mikrophon krähen – dann allerdings erscheint uns dieses lebensvoller als etwa das Scherenklappern von lebenslänglich Angestellten.
Wenn hernach ein hingetupftes Ehe-Thema – ein armes Mädel läuft dem reichen Trottel von Verlobten beim bürgerlichen Hochzeitsmahl fort zu einem Junten – Beziehungen der Geschlechter ohne direkten Hinweis auf die Legitimität brächte (hier mußte verbessert werden), so ergibt sich die bange Frage, ob etwa Verbote imstande sind, zu schützen, was in sich keine genügende soziologischen Unterbau zu geben; Schluß zu machen mit der Simplizität des synchronen Bild- und Tonablaufs.
Die konsequente Anlage ist selbst jetzt noch erkennbar: In den schwerlosen Uebergängen der Assoziationen, in der Arabeske vom Gesellschaftstanz der Skelette und der Spiegel-Arie vom Menschen-Zoo.
Songs sind beigegeben; mit beachtenswerten Ansätzen, optischen Einbaus. Deutlich weist der Weg über das allzu billig Illustrative zur Sinfonie der Bildimpressionen.
Bahn frei für die Wortschöpfer: der Walther Mehring gibt nicht mehr als gereimtes Wortgerümpel. (Weit zweckmäßiger die Musik von H. Adams und Friedrich Holländer; insbesondere der Baby-Song.)
Eine optische Parallele zur Erweiterung des Handlungsmäßigen resultiert aus der Vervielfältigung der Vorgänge im Trick.
Mittelpunkt, Kern der vorliegenden Fassung, und doch ein Sondersketch für sich, ist die Schilderung einer Geburt mit operativem Eingriff.
Ein Laie sprechfilmt das Mysterium der Gebärklinik; er preist den Fachmann mittels seiner Kunst. Tatsachen erfahren gültige Gestaltung in romantischer Einstellung.
Eine Meister-Sonderleistung.
Schon ist eine Form da. Sie ist, zunächst, wichtiger als der Inhalt; die ihr Profil prägten, Alexis Granowsky, gemeinsam mit den Autoren Victor Trivas (vom Karamasoff her als wertvolle Bereicherung des deutschen Films akzeptiert) und Dr. Lecner werden das nächste Mal hier anzuknüpfen haben.
Viele andere können daraus lernen. Obligatorischer Besuch für alle an der Filmherstellung Beteiligten! Dacho und Spio, veranstaltet korporative Vorführungen im Interesse Eurer Mitglieder!
Die Schauspieler dieses Films können nicht mehr sein als Steine im Schachbrett des klug en Spielers Granowsky: Margot Ferra, herb-anmutig (weiterbeschäftigen!) und Aribert Mog, männlich und einfach.
Die technischen Mitarbeiter: die vorbildlich arbeitenden Kameraleute, Trinkler und Ballasch; der Musiker Franz Wachsmann; die Song-Sänger Greta Keller, Ernst Busch, Leo Monosson; Toncutter Hans Oser; Tonleute Dr. Wittmann, Ernst Schütz.
Für eine gute Sache haben sie alle ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Publikum dankte mit jubelndem Beifall.

Was Granowsky mit dem „Lied vom Leben“ geschaffen hat, ist viel: kein Ziel noch: aber, immerhin, eine wichtige Etappe.
Wohin andererseits die Entwicklung geht hat jenes Zwangsduett Zensor-Regisseur gezeigt.
Noch ist es einmal gutgegangen: von der Zensur verboten, wurde der Film hinterher für künstlerisch wertvoll erklärt; dies mit Recht.
Der einsichtige Kulturausschuß des Hauses am Platze der Republik hat wett gemacht, was eine von anderem Geiste beherrschte Abteilung tat.
ln hoc signo . . . (Völger, hört die Signale!)

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