Originaltitel: Berlin-Alexanderplatz. (Die Geschichte vom Franz Biberkopf.) Milieudrama 1931; 91 min.; Regie: Phil Jutzi; Darsteller: Heinrich George, Maria Bard, Margarete Schlegel, Bernhard Minetti, Gerhard Binert, Käthe Haack, Paul Westermeier, Albert Florath; Allianz-Tobis-Klangfilm.
Franz Biberkopf will nach vier jähren Gefängnis anständig werden. Schlittert durch ein Mädchen in eine Diebstahlsache hinein. Es kostet ihm seine rechte Hand. Trotzdem ihm seine Komplizen ein anderes braves Mädchen ermorden, ergibt er sich nicht wieder dem Verbrechen, arbeitet als Straßenverkäufer.
Zusammenfassung
Dieser Film berichtet von einem ehemaligen Zement- und Transportarbeiter Franz Biberkopf in Berlin. Er ist aus dem Gefängnis, in das ihn ein früheres sinnloses Leben geführt hat, entlassen und steht nun wieder in Berlin und will anständig sein.
Zuerst findet er sich nicht mehr zurecht. Nach der Stille des Gefängnisses bedrückt ihn der Lärm des Lebens. Einer stiehlt ihm seine letzten Habseligkeiten. Das gibt Biberkopf den Humor zurück. Er geht in seine alte Stammkneipe.
Ein Mädchen setzt sich an seinen Tisch. Cilly. Sie trinkt und ißt mit ihm. Franz freut sich der neuen Bekanntschaft. Dann treten Männer in die Kneipe. Der eine, ein unscheinbarer, blasser Mensch von schlaffer Haltung, ist Reinhold. Er wird Franzens Geschick bestimmen.
Reinhold sieht den Fremden bei Cilly, die früher seine Freundin war. Franz, der massive Kerl, gefällt ihm. Er bestimmt Cilly, Franz für die Bande zu werben, zu der er selbst gehört.
Cilly wehrt sich zuerst. Aber Reinhold hält sie fest. Franz ist inzwischen Straßenhändler am Alexanderplatz geworden. Cillys Lockungen bleiben ohne Erfolg.
Da macht Reinhold kurzen Prozeß. Er nimmt den Ahnungslosen auf eine Diebesfahrt mit. Er soll Schmiere stehen. Zu spät merkt Franz, was man mit ihm vorhat. Wild schlägt er Lärm. Die aufgescheuchte Bande nimmt ihn mit der Beute zum Auto und flüchtet. Ein fremder Wagen fährt hinterdrein. Polizei! Man fällt über Biberkopf her und wirft ihn auf die Straße vor das Verfolgerauto, in dem ein harmloses Menschenpaar sitzt. Franz aber erwischt es. Schädelbruch. Krankenhaus. Sie amputieren ihm den rechten Arm. Wochenlang liegt er.
Sein erster Weg führt zur Kneipe. Er will Reinhold find die Bande aufsuchen. Nicht um abzurechnen, sondern um Frieden zu schließen. Er wird tun, was sie wollen. Er hat anständig sein wollen, es ist nicht gegangen. Jetzt will er Verbrecher sein!
Sie glauben ihm zuerst nicht. Aber Reinhold greift zu. Er spürt, daß es Franz ernst ist. Und Biberkopf macht schnell Karriere.
Seine neue Freundin heißt Mieze, ein sanftes, süßes Geschöpf. Begleiterin eines blinden Hofmusikanten. Mieze kommt bald dahinter, was Franz treibt. Cilly, die jetzt einen feinen Kavalier im Westen hat, klärt das Mädchen vollends über Biberkopf und die Bande auf. Cilly leidet darunter, daß sie an Franzens Weg mitschuldig ist. Über Mieze will sie ihn vor weiterem Unglück bewahren.
Biberkopf und Reinhold sind inzwischen Freunde geworden. Stolz zeigt Franz nach einer durchjubelten Nacht die schöne, zarte Mieze dem Freund, den er im Zimmer versteckt hat. Bei einem plötzlichen Jähzornausbruch Biberkopfs tritt Reinhold hinter der Gardine hervor und verhütet weitere Gewalttätigkeiten. Mieze sieht zum erstenmal den Mann von dem sie so Unheimliches gehört hat. Sie beschimpft ihn wild und dringt ihn angewidert aus der Stube. Aber Reinhold, gereizt, rachsüchtig, wartet einen Tag ab, an dem Franz nicht zu Hause ist. Er sucht Mieze auf, gibt vor, Franz erwarte sie beide am Abend in Freienwalde, und holt sie zu einer Spazierfahrt mit Klempner-Karl ab. Mieze geht in die Falle. Sie will die Gelegenheit benutzen, um Reinhold klarzumachen, daß es zwischen ihm und Franz jetzt aus sein muß.
Sie kommt nicht lebend von dieser Fahrt zurück.
Tagelang warten Franz und Cilly vergeblich auf Miezens Rückkehr. Franz glaubt, sie habe ihn mit einem anderen verlassen. Durch Cilly erfahrt er von dem Mord an Mieze. Er weiß sofort, wer das getan. Mit dem Revolver in der Hand geht er in die Kneipe, um Reinhold zu suchen. Aber im Lokal erwartet ihn die Polizei. Man hält Biberkopf für den Täter. Ehe Franz zum Schießen kommt, wird er niedergeschlagen und verhaftet.
Es wäre Franz schlimm gegangen, wenn nicht der Klempner-Karl, der bei jener schrecklichen Fahrt ins Freie das Auto lenkte, Reinhold verraten hätte. Man läßt Biberkopf frei. Reinhold wird zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.
Cilly verläßt den gebrochenen Franz nicht. Sie ist es, die ihn aufrichtet. Das Schicksal hat ihm übel mitgespielt. Aber er ist im Kem gesund und kräftig geblieben. So steht er am Schluß wieder am Alexanderplatz; ohne rechten Arm, aber guter Dinge verkauft er seine Stehaufmännchen. „Es kommt nicht auf die Arme an, es kommt nicht auf die Beine an, es kommt nur darauf an, daß man Metall am rechten Fleck hat”, sagt Biberkopf zu den Leuten und schlägt mit der Faust dorthin, wo das Herz sitzt.
Dem einen geht’s grade, dem andern geht’s krumm,
Der eine bleibt stehen, der andre fällt um,
Der eine rennt weiter, der andre liegt stumm, widebum, widebum.
(Hugo Döblin)
Ganz kurz: Alfred Döblin und sein Werk.
Alfred Döblin. Dr. med. und Kassenarzt im Berliner Osten, Dichter des Romans ‘Berlin Alexanderplatz’, gehört längst zu den fesselndsten Persönlichkeiten unserer Zeit. Seine eigenwilligen, nach gewaltigen Problemen greifenden Werke erregten von Anbeginn außergewöhnliches Aufsehen. Sie wuchsen schnell zu zeitbestimmenden und unvergänglichen Dokumenten heran. Wie ein strahlender Stern stieg der Name Döblins am Literaturhimmel empor.
Am 10. August 78 in Stettin geboren, lebt Alfred Döblin seit seinem zehnten Jahre in Berlin, das er nur während der Universitätszeit kurz verläßt. Das Ringen seiner schweren Jugendzeit schildert er in einzigartiger Weise selbst in einem bei S. Fischer. Berlin erschienenen Ueberblick Ober sein Leben und Schaffen. Im Kriege wird er eingezogen. Seit der Jahrhundertwende literarisch tätig, hat er in grandiosen epischen und dramatischen Werken aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Sinn und Wesen unserer Zeit meisterhaft gedeutet.
Dies sind Döblins Hauptwerke: 1902/03 Der schwarze Vorhang, Roman, 1904 Die Ermordung einer Butterblume, 12 Novellen, 1912/13 Die drei Sprünge des Wang-lun, Roman, 1914 Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine. 1916/18 Wallenstein, Roman, 2 Bände, 1920/21 Linke Pool, der deutsche Maskenball, 1921/23 Berge. Meere und Giganten. Roman, 1923 Die Nonnen von Kemnade, Schauspiel, 1925 Reise In Polen, 1926 Manas, epische Dichtung, 1927 Das Ich Ober der Natur und 1928 Berlin Alexanderplatz. Dieses letztere Buch, bisher In acht Weltsprachen übersetzt, diente dem Film als Vorwurf. Es ist ein Roman, der sich mit nichts vergleichen läßt, was vorher geschrieben wurde. Eine große berlinische Sinfonie, 528 Selten hinreißend erzählt, von wahrhaft stupender Gestaltungskraft. Ein Werk, aus dem der Geist von morgen weht. Ein Buch, das ein Publikum verdient, das ebenso groß Ist wie die Masse der Menschen, die in ihm lebt, leidet und ringend hofft.
(Alfred Döblins Werke sind sämtlich im S. Fischer-Verlag, Berlin, erschienen.)
Kritik (E. J., Film Kurier #237, 10/09/1931):
Reichen Beifall, viele Vorhänge fand gestern in einer Festvorstellung des Berliner Capitol der Allianz-Film „Berlin-Alexanderplatz“, nach dem Roman von Alfred Döblin.
Hanns Brodnitz hatte auf den Rängen und im Parkett ein Ensemble der Prominenten des Berliner Lebens versammelt, wie man es noch zu keiner Premiere dieser Saison gesehen. Höchste Erwartungen waren auf das Werk gesetzt, das Interesse allgemein, – Gründe genug, anzunehmen, daß auch überall im Reich für den verfilmten Döblin der Zulauf eines besonderen Publikums einsetzen wird.
Das Publikum soll sagen: „Ah, der berühmte Roman . . .“ und ins Kino strömen. Der Produzent Preßburger will mit einer guten Sache locken: dieser freigebige, nie entmutigte, wagemutige, nie enttäuschende, vorstoßende Produzent (er bringt ja auch Pallenberg-Kortner).
Oft schon hat der Film auf dem Alexanderplatz gestanden, schnitt die Sinfonie „Berlin“ (Ruttmann-Meisels Meisterwerk) zusammen, atmete, lebte mit der Unterwelt, blickte in die Zille-Höfe der „Verrufenen“ (Lamprecht) – – fast immer aber aus romantischer Sentimentalität, Dirnenmystik, Verbrecher-„GlorioIe“. Diese Milieu- und Menschen-Reportagen vom Berliner Alexanderplatz – wären nicht neu; Alfred Döblins Roman, die Geschichte des Franz Biberkopf, in Film zu überblenden, reizte, weil die literarische Formung des Berliner Wildmenschen rund um den Alex so enthüllend-revolutionär. Döblins Buch „Alexanderplatz“ fixiert mit einzigen, einmaligen Blicken die Menschen dieser Zeit und gestaltet, die dunkle Macht hinter allen Dingen, die Dinge selbst, die Außenfront der Welt und ihr Innerstes, dazwischen homo simplex Biberkopf, ein Exemplar nur, nicht zu lösen von seiner Welt-Umgebung. Die Dichtung selbst wurde mit Kamera-Augen geschrieben, hundert montierte Einfälle auf jeder Dokumentenseite des Romans, mit dem Mikrophon eines Geistes registriert, der höchst zu bewundern bleibt – – dem die Mikrophone der Tonfilm-Ateliertechnik nicht zu folgen vermochten . . .
Denn zu konstatieren bleibt: dieser literarische Film blieb eine Literatur-Kopie; eines Romans Extrakt fürs Kino, die Umarbeitung größerer Werte in einen bescheidenen Wert. Man irrte in einem: der Filmautor Döblin mußte gegenüber dem Dichter Döblin ein – Amateur bleiben. (Und Hans Wilhelm, der Mitautor, ist nicht das Gestalter-Genie, das dem Dichter des Biberkopf vom Filmgestalten her kongenial wäre; so einen aber hatte der Film gebraucht.) Der Roman wurde nicht filmisch vervielfältigt – man vereinfältigte ihn.
Vereinfältigung eines literarischen Meisterwerkes für den Film. Der Mangel kongenialer Filmautoren begründet den Charakter-Fehler, – es muß noch einmal klärend gesagt werden. Film hat seine eigene Sprache, muß neu erfunden werden, nicht abgeleitet, sonst entsteht: ein Dichtungs-Ableger.
Bitte nicht mißverstehen: wir möchten Filme sehen, keine Literaturbearbeitungen.
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Die Genußwerte des Döblin-Films liegen also in literarischer Sphäre – in die filmische Wirkungssphäre dringen sie nicht vor.
Man könnte etwa ästhetische Vergleichsstudien anstellen wie in den Kurzgeschichten des Biberkopf (der, aus der Strafanstalt Tegel entlassen, ein anständiger Mensch werden möchte, wobei er seinen Arm und sein Mädel verliert, auch seine „Anständigkeit“), die Döblinsche Gleichzeitigkeit des Sehens von Welt und Mensch wundervoll gewahrt ist.
Dieser Stil gewinnt für die Film-Darstellung neues Terrain: er entpathetisiert den Film, die Menschen, ob Nutte, Verbrecher, sollen keine Rethoriker sein . . . es treibt sie innerlich; Geschehen, Wort sind eins, Kulissen schwinden; statt Atelier: die Lebenskulisse. Menschen am Alltag . . . der Natur – zwischen Straßenbahnen, Neubauten, Menschenansammlungen, Gruppenschicksalen trollt der einzelne.
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Parallel fluten also Milieu-Ereignisse, Umwelt-Rhythmus mit den Erlebnissen des einzelnen Menschen. Schauder der Verbrechen, eingebettet in den Zauber von Kiefernwipfeln, – – Brücke über einen Berliner Kanal, ohnmächtiger Mann, dem ein Arm abgefahren wird – das sind literarische Pointen, die auch der Film nicht verleugnet. – Im Maelstrom der treibenden Zeit, was bedeutet da das gräßlichste Verbrechen!?
Die Romantiker sangen: „Süßes Wohlgefühl des Schwebens – ist es nicht des Glücks genug?“ Der Realist von heute ändert die Vorzeichen ins Tragisch-Unabänderliche.
Döblin – dichterischer Aufzeichner einer Zwischenepoche – der Film gibt an seinen sackendsten Stellen eine Chronik dieser Zeit-Dichtungs-Eindrücke wieder.
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Auch der Regisseur, dem Preßburger die Chance gab, Phil Jutzi, enttäuscht da nicht. Denn was konnte man von ihm erwarten? Ehrlichkeit der Kamera, Sinn für die schlichte Hülle des Menschen. Dies beweist Jutzi, holt rührig-regsam neue Bilder des ewigen Berlin in den Film. Fast schon Hessels „Heimliches Berlin“, – Märchenbrunnen . . . Sein Helfer im Dialog: Carl Heinz Martin; nach der guten Seite hin nicht zu bemerken.
Heinrich George als Biberkopf. Man verzichtet auf die Wandlungs-Aufgabe im Manuskript. Man erlebt nicht den neuen Peer-Gynt-Biberkopf. Grotesk, daß der Film mit jenem „Hab’ Sonne im Herzen“ endet, das Döblin im Roman so belächelt. Cäsar Flaischlen hat das Happy end geschrieben.
Auch George kann daher nur in Einzelheiten stark sein. Etwa ein novellistisches Nebenbei, wie: Er bedauert einen Arzt um seinen Beruf, weil der den Menschen so gut zureden muß. Da trifft sein Ton. Sonst ein Biberkopf – für die Bühne. Schwere Auftritte, ausladende Monologe, expressionistische Bekenntnisse durchs Chanson.
Seine publikumswirksamste Szene: Ausrufer auf dem Alexanderplatz. Er ruft, ruft aus – und diese große Schnauze klingt doch nur als kleine Stimme im Chor des Alexanderplatzes; Häuserfronten, fahrende Wagen, eilende Menschen um ihn – – ein bleibender, dichterischer Augenblick des Films. Mitnehmend auch die Einfahrt von Biberkopf in Berlin mit der Linie 41.
Aber da lacht Maria Bard über den Alexanderplatz. Spielt auf einfach, wie Margarete Schlegel auf stille Zier. Begabte Bühnen-Soubretten verraten sich, gerade wenn sie schlicht sein wollen. Das Einbrecher-Quartett der Herren Minetti, Bienert, Florath, Deppe gibt Typen aus Harry Piels Welt.
Des Films beste Allianz: Die gesamte Technik der Ausführung – Kamera Farkas und Giese, Bauten von Borsody. Ton: Fritz Seeger, viele neue Ansätze dabei, versuchtes Ton-Sprech-Potpourri in einer Traumvision.
Die Musik wartet Allan Gray auf, er tönt gefällig, wie’s gebraucht. Sein packender Berlin-Marsch steht isoliert – und gefällt. George singt „Adieu Berlin“, die Schlegel „Liebe kommt, Liebe geht“.
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Ein zum Besten entschlossener Film. Lehrstück für alle, selbst in seinen Schwächen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Lichtspielhäuser, die sich für den Film einsetzen, sich das interessierteste literarische Publikum in ihr Haus holen. Die Popularität Georges sichert darüber hinaus dem Film weitere Kreise.
Enthusiastische Anerkennung für Preßburger und die Seinen, die Mut und Mittel zum künstlerischen Experiment aufwandten.