Hell on Earth

Originaltitel: Niemandsland. Eine Kriegsallegorie 1931; 93 min.; Regie: Victor Trivas; Darsteller: Ernst Busch, Georges Péclet, Vladimir Sokoloff, Louis Douglas, Hugh Douglas, Renée Stobrawa, Rose-Mai; Kesco-Tobis-Klangfilm.

Niemandsland: Landstreifen zwischen feindlichen Gräben. Dort treffen sich versprengte Soldaten verschiedentlicher Nationalität: Feinde. Gemeinsame Gefahr macht sie zu Kameraden, läßt sie später zusammen den Drahtverhau durchbrennen.

Zusammenfassung
MOTTO
Laß deine Braut stehn, Monn, seit den Helm auf! Es ist Krieg, und der Krieg braucht Gewehre.
Wir brauchen die Stadt und wir brauchen das Feld. Es ist ein Aehrenfeld und wird ein Feld der Ehre!
Fünf Schicksale werden über die Welt verstreut, um zu einem groben und allgemeinen Schicksal vereinigt zu werden. Diese fünf Menschen verschiedener Rassen und verschiedener Nationen werden durch Ausbrud) des Krieges aus ihrem Werktagsleben herausgerissen. – Mobilmachung! – Kriegserklärung! – Krieg! – Taumel und Rausch auf allen Strafen der Welt! – In ein Schlachtfeld verwandelt sich die Erde. Stacheldraht, Explosionen, Handgranaten, Kanonen, Maschinengewehre , Massengräber . . . – Wie ein Grab liegt unter der Erde ein verlassener, halbverschütteter Unterstand zwischen den feindlichen Fronten. Im Niemandsland! – Eine Explosion! – Durch die Macht des Stokes rutschen zwei Menschen betäubt in den Unterstand hinunter. – Der Deutsche und der Franzose. Bald kommen sie wieder zu sich, starren einander an, verstehen sich nicht. Da hören sie ein Stöhnen, und erschreckt reiben sie sich herum. Die beiden sind Feinde, aber sie haben im Augenblick an Wichtigeres zu denken. Sie nähern sich der Ecke, aus der das Stöhnen kommt, und finden verschüttet einen halbnackten Mann. Er kann nicht sprechen, er kann nicht hören. Durch eine Explosion ist er taubstumm geworden. – Unter dem Trommelfeuer kriecht oben zwischen Trümmern und Stacheldraht ein Neger, der einen verwundeten Engländer schleppt. Es gelingt ihm, das Erdloch im verlassenen Unterstand zu erreichen, wo er mit seiner Last Deckung finden kann. Die da unten greifen wie auf Kommando zu den Gewehren, bereit, gegen Eindringlinge vorzugehen. Der Neger hebt die Hände hoch, da lassen sie ihn herein, und er stellt, da er durch seinen ehemaligen Beruf als internationaler Artist mehr als eine Sprache sprechen und verstehen kann, die Verbindung zwischen ihnen her. – „Un moment. Ich bin Neger, Du Deutscher, tu es Français, you are an Englishman, keine Feinde mehr, alles Freunde, des amis, friends! – Und oben tobt der Krieg. So sind fünf Menschen im Niemandsland zwischen feindlichen Stellungen in einen Unterstand geworfen. Sie sind gezwungen, bis zur Beendigung des Kampfes dort zu bleiben. – Jeder erzählt von sich, von zu Hause, dann taucht die Frage auf. Warum Krieg? Sie werden erregter, jeder spricht dasselbe, jeder in seiner Muttersprache, und nur der Neger versteht sie. Er verdolmetscht, und es dauert lange, bis eine Einigung zustande kommt. – Und oben rast der Tod. – Am andern Tag – Ruhe und Frieden im Unterstand. Es wird gekocht. Rauchwolken steigen aus dem Unterstand empor. Die Beobachter beider Fronten entdecken diesen verräterischen Rauch. Dieser Rauch zeigt Leben im Niemandsland, und Leben im Niemandsland bedeutet Feind, und nun beginnt von beiden Seiten ein Trommelfeuer auf diese friedliche Stätte. – Die Fünf fahren zusammen – Explosionen folgen auf Explosionen – und sie wissen, das geht gegen sie – fünf Einzelne gegen alle Fronten – fünf gegen den gesamten Krieg – für den Frieden. – Leiser wird die Schlacht, schwer und dumpf liegt die verwundete Erde. – Und von Dreck, Blut und Wunden starrend, zerquält, zermartert steigen die Fünf aus dem Niemandsland, aus der Insel des Friedens empor und werden im aufgewühlten Erdreich immer größer gegen den Horizont.
Dann bewegen sie sich, aber noch liegt ihnen ein Hindernis im Wege – Stacheldraht! Aber auch der kann sie nicht aufhalten! Mit schweren Schritten und mit wuchtigen Kolbenschlägen vernichten sie die letzten Hindernisse – zum Frieden, zu neuem Leben.

Kritik (Hans Feld, Film Kurier #289, 12/12/1931):
Das ist der Streifen Erde zwischen zwei feindlichen Graben. Jene Scholle, die das Blut der Sterbenden empfängt, ohne Unterschied der Nation.
Es ist eine imaginäre Größe, dieses Erdenstück. Von keinem beherrscht, von allen umkämpft. Granatzerwühlt, bis in die Eingeweide, von Metallsplittern umpflügt; verwüstet, unfruchtbar, verflucht.
Niemandsland, das Land, das keinem eignet; in dem alles Sinnlose des Krieges enthalten ist und enthüllt wird – dieser Flecken wird zum Kräftespender. Aus ihm erwächst die Gegenaktion. Nicht kapitulieren, sondern Schach bieten; aus der Passivität zur Aktion gelangten:
So lehrt es die Bilddichtung. Leonhard Frank, Victor Trivas, Lagorio und Stilianudis haben sie geformt.
Ein Werk von nicht gewöhnlichen Ausmaßen ist hier entstanden. Es erhebt Anspruch auf eine Wertung, die der selbstgewählten Norm entspricht.

Völker und Klassen, getrennt voneinander im Alltagsleben, finden sich in der Not. Die Hölle von Trommelfeuer, Minen, Giftgas, eint die Feinde von gestern.
Was sie tun, ist Instinkthandlung. Von der Front der Ihren verlassen, werden sie aus Trägern des Kampfes zu Objekten. Sie sind zwischen die Scheren des Vernichtungsapparates gekommen: und was ihnen bleibt, ist gemeinsame Abwehr. Niemandsland nimmt den aufgezwungenen Kampf auf.
Was würde, in gleicher Produktions-Situation, U. S. A. gezeigt haben. Freundliches Grüßen vermutlich, Auseinandergehen nach verschiedenen Seiten, der eine zu diesem Unterstand, der andere zu jenem. Wenn das Kalbfell dröhnt . . .
Als allseitige Beruhigungsfilmpille hätte allenfalls ein Epilog die Wiedersehensfreude der Zivilisten verschiedener Länder gezeigt. Draufgabe und Entschuldigung gewissermaßen für die im Hexenkessel bekundete Solidarität.
Naturalistischer wäre schon der Appell an die errettende Granate gewesen. Aufstand der Fünf darauf das nunmehr auch dem Kinobesucher der Nachkriegsgeneration bekannte Pfeifsausen; und ein Wiedersehen wäre aus Bequemlichkeitsgründen in ein Jenseits transponiert worden, wo die Fragen von Krieg, Not und Kampf nur noch relative Bedeutung haben.
Die Europäer Leonhard Frank und Victor Trivas jedoch kommen gerade an dieser Stelle zu dem Gipfel ihres Films. Ihr Weg führt zwischen Wirklichkeit und Träumerei zur bewußt eingesetzten Allegorie. Jeder hat für sich da einzugreifen, anzugreifen, wo das Niemandsland der aufhörenden Grenzen gefährdet ist.

Damit sind die Ziele des Films abgesteckt. Er ist didaktisch: im Anfang war die Tat; der Wille, eine Frage von lebenswichtiger Bedeutung aufzuwerfen und ihre Lösung zu zeigen.
Das Film-Lehrstück gibt die Aneinanderreihung bildgeformter Gedanken. Die erste Aufblendung schon ist Vorbereitung der Schluß-Abblendung. Dem Thematischen dient das Optisch-akustische als Vorwand, Hülle, Material, das transparent sein muß, um die dahinteraufleuchtende Geradlinigkeit des Zweckschaffens freizulegen.
Eine Mischung der Stile ist nur logische Folge; sie vermehrt die von diesem Film dargebotene Fülle des Debattier-Materials.
Vom Stummfilm hat er die Statur, das Ausspielen visueller Situationen. Es ist nicht allein der technische Notbehelf von Tonersparnis und übernationaler Verständlichkeit. Vielmehr wird spürbar die Verbundenheit seiner Schöpfer mit einer Form des Films, die hernach durch den Ton entscheidende Umwandlung erfahren hat.
Ein lange schon bestehender Meinungsstreit ist am tauglichen Objekt demonstriert: Die Frage, ob der Fluß bewegter Bilder epischen oder dramatischen Charakter hat.
Frank-Trivas zerlegen das Geschehnis in nebeneinander stehende Einzelszenen. Sparsame Ueberblendungen und, zur Ueberbrückung, ein Ansager mit knapper Diktion: das ist Erzählertechnik, die zum Nurbildlichen gelegentlich Dialoge hinzunimmt. Auf Spannung und Zuspitzung kommt es dabei nicht so sehr an. Sondern Entwicklungsvorgänge werden dargelegt.
Unheimlich wirkungsstark bleibt dabei gleichwohl die Konzentration, mit der ein Uebermaß an Schicksalen und Gesichten in den Ablauf einer Normal-Filmmetrage gepreßt ist. Länder blenden auf: England, Frankreich, Deutschland, das Irgendwo des Judendorfs in Galizien. Und mit wenigen Bildcharakterisierungen ist die ethnographische Stimmung getroffen; mit der gleichen Intensität auch die Charakterisierung der Klassen.
Britischer Gutsituierter, deutscher Handwerker, französischer Proletarier, Schneider aus dem Osten und der nirgends wie überall beheimatete Negerartist. – Ihre Stätte ist das Niemandsland.
Die Verwirrung des Sprachlichen wird im Nebeneinander der Dialoge gezeigt. Das Vorbeireden, Mißverstehen, Mißtrauen und eine Trennung, die nur die gemeinsame Not überwindet In diesen Augenblicken allein benutzt und benötigt der blickhaft gestaltete Film die Sprache.
Das Malerisch-Entwicklungsmäßige findet in einer Zeit, da der Ton dem Film einen Weg zu neuen Ufern zeigt, selbständige Fortbildung: Wenn mit dem Einrückungsbefehl der deutsche Bürger, an den Ernst des Krieges gemahnt, nur zögernd zwischen Frau und Kind zur General-Pape-Straße geht. Bis er dann, einer unter vielen, der Massensuggestion unterliegt und in gleichem Schritt und Tritt marschiert.
Oder: der visionäre Augenblick, in dem der Ostjude, im Grauen der Verschüttung um Gehirnfunktion und Ausdrucksfähigkeit gebracht, für Sekunden die Ahnung der früheren Existenz wiederfindet, als er den deutschen Kameraden nähen sieht.
Dazwischen liegt viel Idyll. Bildschwelgerei ruhender und erwachender Städte, pausierenden und entfesselten Kriegfuriosos. Es sind Farbflecken, Antithesen; sie gehören zur selbstgewählten Technik des Berichts.
Unverkennbar bleibt diese Eigenwilligkeit, die Fortführung der stummen Russen-Tradition. Während im Ringen um eben die eigenen Gesetze des Tons im Film etwa Pabst in „Kameradschaft“ die völlig entgegengesetzte Linie prägnant angereihter, in sich konzentrierter Vorgänge entwickelte.

Victor Trivas, Architekt und Autor von Rang, findet mit diesem Film „Niemandsland“ den Weg ins deutsche Filmleben. Er ist mit solcher Leistung heimatberechtigt.
Seine Darsteller: Ernst Busch, Hugh Stephens Duglaß, Georges Péclet, Wladimir Sokoloff, der körper- und sprachintelligente Negertänzer Louis Douglas. Die Frauen sind fast stumm: Renée Stobrawa, Zoe Frank, Rose Mai und, optisch reizvoll, Elisabeth Lennartz.
Die Kameraleute Lagorio und Stilianudis haben mit ihrer Arbeit das selbstverständliche Höchstniveau der Weltklasse. Das Bild an sich gewinnt Leben und Sonderwert. Die Idee, Köpfe der Dialoge beim Sprechpart des anderen verdämmern zu lassen, ist mehr als ein technischer Trick, schöpferische Leistung.
Untermalende Musik stiftet Hans Eisler den Arbeits- und Unterstandssong Leo Hirsch, Kriegssong Günther Weisenborn. Musikalische Leitung der famosen Lewis-Ruth-Band: Kurt Schröder. Ton: Carl Erich Kroschke, Gustav Brinkmann, Tonschnitt Walther Stern, Leberecht von Guaita.
Vom Produktionsleiter Anton Resch darf man, nach solchem Start, weitere Filme von Format erwarten.

Erschütterung und nachhaltender Eindruck sind beim Publikum der Uraufführung festzustellen. Beifall von nicht häufig gehörten Dimensionen.
Es wird am jeweiligen Herausbringen liegen, ob dieser Film, der so jenseits alles Herkömmlichen ist, den ihm zukommenden Erfolg hat. Er wendet sich an Kreise, die im Kino geistige Auseinandersetzung, Diskussionsstoff und Anregung zu eigener gedanklicher Arbeit suchen.
Deshalb war es notwendig, ihn zu schaffen. Gerade deshalb aber muß er mit besonderer Sorgfalt und Vorbereitung eingesetzt werden.

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