Originaltitel: Rasputin. (Der Dämon der Frauen. Der ungekrönte Zar.) Sittenbild 1932; 91 min.; Regie: Adolf Trotz; Darsteller: Conrad Veidt, Karl Ludwig Diehl, Paul Otto, Hermine Sterler, Charlotte Ander, Bernhard Goetzke, Willy Trenk-Trebitsch, Theo Schall, Elza Temary, Brigitte Horney, Edith Meinhard, Ernst Reicher, Theodor Loos, Paul Henckels; Gottschalk-Tobis-Klangfilm.
Rasputin – Bauer, Heiliger, Scharlatan – beeinflußt den Zaren, macht Frauen jeder Gesellschaftsstufe sich hörig. Wird um dieser Macht willen leidenschaftlich gehaßt, schließlich ermordet.
Zusammenfassung
Tief eingebettet in den Schnee des sibirischen Winters liegt in abendlicher Ruhe das Dorf Poskrowskojé. Da lockt Schlittengeleute die Bauern vor die Tür. Der Bischof von Tobalsk und Petroff, ein Regierungsbeamter aus Petersburg, kommen zum Popen, um strenge Untersuchung gegen den Bauern Grigori Rasputin zu führen. Der maßt sich an. Wunder zu tun, und Kranke zu heilen. Außerdem verführt dieser angebliche Gottesmann die Weiber und Töchter der Bauern. – Luscha, die Tochter des Großbauern, ist sein letztes Opfer. Luschas Vater klagt ihn beim Bischof an. Der Pope dringt auf Rasputins Verhärtung. Sie scheint unvermeidlich. Da kommt während des Verhörs ein Zug gläubiger Pilger vor das Haus und ruft nach Rasputin. Der Vorgang macht tiefen Eindruck auf den Bischof. Rasputin wird nach Petersburg gebracht. Bald ist Petersburg voll von den abenteuerlichsten Gerüchten um Rasputin, den Wundertäter. – Der Sohn des Zaren, der Knabe Alposcha, ist durch eine schwere Bluterkrankung in höchster Lebensgefahr. Aerztliche Kunst versagt. Die Krise ist auf dem Höhepunkt. Völlig gebrochen weilen Zar und Zarin am Bett des Kindes. In dieser verzweifeltes Stimmungverschafft die Hofdame Wyrubowa, die intimste Freundin der Zarin, Rasputin. Zutritt zu Aljoscha. Vor den Augen der Eltern erfüllt sich das Wunder: im Zustand des Kindes tritt unmittelbar eine Besserung ein, die Krise hat ihren Höhepunkt Oberschritten – – die apathischen Züge Aljoachas beleben sich . . er lächelt . . seit Tagen zum ersten Maie – – –. Von dieser Stunde an ist Rasputin der Freund des Herrscherpaares. Man glaubt an seine göttliche Sendung, sein Einfluß wird ungeheuer. Der Zar vermeint aus ihm die Stimme des Volkes zu hören und bedient sich seines Rates. – Rasputins Haus ist von Menschen aller Schichten umlagert: General und Bauer, Bettler und Bankier, Damen des Hotes, selbst Minister suchen seinen Einfluß zu nützen. – Rasputins ursprüngliche Naturkraft bricht in der völlig veränderten neuen Lebenslage elementar durch: Orgien entfesselter Leidenschaften kennzeichnen seine Nächte. Die Frauen verfallen der Sensation, die mit der Persönlichkeit Rasputins verknüpft ist. Auch Musja, die Braut des Leutnant Suschkoff, eine junge Aristokratin, wird sein Opfer. Die Folge davon ist ein Attentatsversuch auf das Leben Rasputins, das von seinen Gegnern in der Regierung gefördert wird. – Der Zar sieht das Leben des Freundes gefährdet und bittet ihn, Petersburg zu verlassen. – Rasputin kehrt nach Pokrowskojé heim. Wieder verfällt Luscha ihrer Leidenschaft für ihn. Ihr Vater schlägt Rasputin mitten in einem seiner wüsten Gelage nieder. – Wochenlang liegt Rasputin in hohem Fieber.
Es ist die Zeit der Mobilisierung im Jahre 1914. In einem lichten Augenblick erfährt er, daß der Zar den Krieg beschlossen hat, er will eingreifen, um den Krieg zu verhindern. – Im Kriege ruft der Zar Rasputin wieder nach Petersburg. Aufs neue bedient er sich seines Rates. Seine Macht wird ungeheuer, er ist in Wahrheit der ungekrönte Zar von Rußland. Das Parlament und die Militärpartei haben längst das Verderbliche des Einflusses von Rasputin auf das Schicksal ihres Landes erkannt. Aber alle Macht ist bei ihm und nur sein Tod kann sie brechen. Fürst Jussupoff, Suschkoff, der Abgeordnete Pureschkewitzsch und der Arzt Dr. Lasow fassen deshalb den Entschluß, Rasputin beiseite zu schaffen. – Eines Nachts – alle Vorbereitungen sind getroffen – führt Jussupoff Rasputin mitten aus einem Gelage in der Villa Rhodé zu sich auf sein Palais, wo Suschkoff und die anderen Verschwörer auf Rasputins Erscheinen warten, angeblich, um dort weiterzutrinken. Fürst Jussupoff bleibt zunächst mit Rasputin allein und setzt ihm vergifteten Wein vor, ohne daß das Getränk auf Rasputin wirkt. Da reißt er den Revolver heraus und streckt Rasputin durch einen Schuß zu Boden. Als er die anderen Verschwörer herbeiholt, sehen als, daß der tödlich getroffene Rasputin mit übermenschlicher Kraft den Weg ins Freie gewinnt. Am Gartengitter setzt eine Kugel von Pureschkewitsch seinem Leben ein Ende.
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #044, 02/20/1932):
Rasputin, Günstling der Zarin, Wundermönch und Herrscher aller Weiber; heiliger Teufel, Politiker: Mit allen Widersprüchen einer Persönlichkeit, deren Schicksal eng verknüpft wurde mit dem der absoluten Monarchie in Rußland.
Nicht Männer machen die Geschichte; doch sie vermögen kraft der ihnen innewohnenden Fähigkeiten oft Impulse zu geben, Bewegungen, die in der Zeit selbst begründet sind, zu entfesseln.
Das Mysterium „Rasputin“ offenbart sich in dem Augenblick just, da die Zeit der Romanows erfüllt war. In dem Schnittpunkt der Wende begegnen sich der Sohn russischer Erde mit den verbrauchten, nicht einmal zur Selbstbeherrschung taugenden Trägern der Krone. Und die den Wundermönch aus Poskrowskojé killten, ahnten nicht, daß sie damit das Schicksal des alten Rußland bestimmten und ihr eigenes dazu.
Ein vieldeutiges Filmthema ist dies; ein Vorwurf der Hintergründe, der Abgründe, der Zwiespältigkeit.
Daß man ihn filmisch zu fassen suchte, in dieser Gegenwart der überbetonten Kino-Heiterkeit, verdient alle Anerkennung. Und sicher zugleich ist dem Film das Interesse all derer, die mehr vom Lichtspielhaus erwarten als bloße Unterhaltung.
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Im russischen Boden ist Rasputin, der Gläubige und an sich glauben Machende, verwurzelt. Mit einem kurzen Bildbericht von seiner Tätigkeit unter den Dörflern beginnt es also. Gegensatz zum Auftakt ist hernach das auf verbreiterter Basis vor sich gehende Wirken Gregoris am Hof.
Seltsame Kontrastwirkung: Unter den Aermsten russischer Vorkriegs-Klassenschichtung ragt dieser Mönchs-Mensch empor, durch innere Demut, den Glauben an sich selbst –, und die Entfesselung der tierisch ungehemmten Naturverbundenheit.
In Petersburg dagegen, umgeben vom Prunk, bleibt er selbst im Seidenkasak der Bauer.
Zwei Welten, kurz vor dem Zusammenprall, der eine von ihnen zertrümmert. Zwischen ihnen, dieser entstammend, ohne in jener heimisch werden zu können: Rasputin.
Was vor allem gilt es, im Film darzulegen –. Die Verästelungen sichtbar machen, das Schicksal eines Volkes an der Wurzel aufzeigen? Oder die Tragik des einzelnen, der ins Chaos einer sich auflösenden Staatsordnung hineingerät?
Menschenschicksal, projiziert vor der großen Wand historischen Geschehens? Oder ein Solo-Spiel in geschichtsleerem Raum: Lieben und Sterben eines, der außerhalb gewohnter Wertung steht?
Der Möglichkeiten sind viele. Von allen ein wenig findet sich in diesem Film.
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Es mag zunächst der Gedanke daran gewesen sein, wie vielfarbig die Spielmöglichkeiten des Trägers der Titelrolle sind, die den Filmleuten das Thema so reizvoll erscheinen ließ. In der Manuskript-Unterlage von Adolf Lantz und Ossip Dymow ist es deutlich erkennbar.
Eine Rolle von Riesen-Ausmaßen, wie der Star als Charakterdarsteller sie sich nicht günstiger wünschen kann. ER steht im Mittelpunkt, für IHN sind die Auftritte konstruktiv gestaltet. Weltgeschichte wird zur Garnierung, Träger höchster Namen geben Stichworte.
Sie verraten viel dramaturgische Kenntnisse, die Kurven des Szenen-Gefüges. Zu Beginn schon verstehen die Einführungsbilder das Interesse für den Wundermann zu wecken: bis er dann, durch die wirkungsvolle kurze Exposition genügend interessant gemacht, seinen Auftritt hat.
Die gleiche Methode läßt sich den ganzen Film hindurch verfolgen. Alles ist arrangiert unter dem Gesichtspunkt des Effekts für Rasputin, nichts geschieht, was die Aufmerksamkeit von Hub abrenken könnte.
Der Regisseur Adolf Trotz erweist sich dabei als recht dünnblütig. Dem großen Rahmen sind seine Kräfte nicht gewachsen. (Fürs nächste Mal einen Dialogleiter nehmen.) Stärker als er ist der Stoff, und wenn der Konflikt die Konzentration erzwingt, wird der Inszenator von der Materie Kraft mit in Schwung gebracht.
Ausschlaggebend ist diesmal die Leistung der technischen Mitarbeiter. Was der Mann an der Kamera, und die Musiker, mit ihnen der künstlerische Beirat geschaffen haben, ist erstaunlich.
Curt Courant gibt ein paar außerordentliche Porträts. Lebendes, erlebtes Bild, bewegt und bewegend. Rasputin-Kamerastudien sind es, die Seelisches aufdecken. Ein Kammerspiel der Kamera. Zudem eine optische Passage „Krieg”; da wird, für ein paar Sekunden, mit einfachsten, künstlerisch sauberen Mitteln ein Thema angepackt, wird Stellung genommen, deren Konsequenz sich kein Zuschauer verschließen kann.
Masken und Kostüme Alexander Arnstams atmen Echtheit. Sie wandeln den Schau-Spieler zum Dar-Steller; herrlich.
Den Zug ins Große, Ueberpersönliche, spenden die Musiker Fritz Wenneis und Professor Metzler. Ihre akustischen Passagen weiten den Rahmen. Sinfonisches deutet das Bild-Geschehen aus.
Den Rasputin aber spielt Conrad Veidt.
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Eine eigenartige Wandlung im Spielstil der Prominenten ist neuerdings zu verzeichnen. Bei dem Jannings des Pommer-Films und des Volksbühnen-Hauptmann war sie erkennbar; und auch Veidt zeigt sie: Der Star ist bemüht, sich seines Vorrangs auf Großaufnahme und Rampen-Position zu entledigen. Er taucht im Ensemble unter, tritt beiseite, spart an Mitteln.
So ergibt sich das Charakterbild eines Pacemaker, der bestrebt ist, im Feld zu bleiben. Rasputin, der Mann der Exzesse, wirkt dabei fast puritanisch. Seine Leidenschaften sind nicht orgiastisch; er zelebriert sie.
Gleichwohl überragt er alles Filmvolk um eines Hauptes Länge, in sich versonnen, zum Schluß im Kampf mit dem Tode, ganz einfach. (Aber man wünschte zuvor den Ausbruch, das Rhythmisch-Tänzerische der Hemmungslosigkeit.)
Viele gute Schauspieler sind um ihn; wir haben’s ja: Paul Otto, Hermine Sterler, Elza Temary, Brigitte Horney, Franziska Kinz, Theodor Loos, Ernst Reicher, Theo Shall, Friedrich Gnaas.
Bernhard Goetzke ist endlich einmal wieder zu sehen; und die ebenfalls mit Unrecht so wenig beschäftigte, pikante Edith Meinhardt. Eine Leistung für sich; Heinrich Heilinger. Mit ein paar Sätzen wird ein ganzer Kerl umrissen.
Die Giftszene erhält durch die Nuancierung zweier Künstler, Paul Henkels und den nicht genannten Gerhard Bienert, eine unheimliche Atmosphäre. (Nichts gegen Diehl man hätte den Jussupoff eben, um der historischen Treue wie des Effektes willen, hysterisch-labil besetzen müssen.)
Die Bauten von Knauer und Reimann sind Durchschnitt; ebenso der Ton von Alfred Norkus. Der Schnitt von G. Pollatschick ist nicht ohne Fehler.
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Ein ernster Film, ein Film der Schauspieler, der Musik, der Bildschönheit. Ein Werk, auf das von allen Beteiligten viel ehrliche Arbeit verwandt ist:
Für das Lichtspielhaus bedeutet dieser Rasputin im ewigen Einerlei der heiteren Welle eine Programmbereicherung.