Originaltitel: Gas. (Der Geheimagent.) Sensationssketch 1932; 93 min.; Regie: Harry Piel; Darsteller: Harry Piel, Maria Matray, Reinhold Bernt, Ferdinand Hart, Leonard Steckel, Eduard von Winterstein, Ferdinand von Alten; Ariel-Tobis-Klangfilm.
Ein von der Geheimpolizei verfolgter Gentleman macht sich an die Tochter eines Professors heran, der ein neues Giftgas erfunden, stöbert dessen Laboratorium auf, wird dort beinahe das Opfer der neuen Erfindung. Entpuppt sich schließlich als Abgesandter eines Weltbundes zur Giftgasbekämpfung. Der Professor vernichtet nun die Erfindung und gibt ihm seine Tochter.
Zusammenfassung
Ein Flugzeug nähert sich nachts der großen Stadt, deren Lichter den Weg weisen. Ein einzelner Passagier sitzt in der Kabine. Während auf dem Flugplatz die Nachricht eintrifft, man möge den Insassen der Maschine sofort bei der Landung verhaften, entzieht dieser sich dem Zugriff der Polizei durch einen waghalsigen Fallschirmabsprung über dem Lichtmeer der Stadt. Es glückt, und während Oberst Salit, der Chef des Geheimdienstes, vergeblich auf den Flugplatz eilt, um sich dieses offenbar sehr wertvollen Fangs zu bemächtigen, begibt sich der Fremde dorthin, wo er einen Verbündeten weiß, in die bescheidene Behausung des hinkenden Baschin, seines Vorgängers auf dem wichtigen Posten in der großen Stadt. Baschin hat ihn auf dem Flugplatz gesucht. Er kann ihm mitteilen, daß ihn Salif selbst in Empfang nehmen wollte. Und er setzt hinzu, er sei dieses gefahrvollen Dienstes müde, er wolle sein Leben retten. Während sie sich noch unterhalten, öffnet sich die
Tür, eine Hand greift zum Lichtschalter, dreht das Licht ab, eine Blendlaterne sendet Harry Parker, dem Manne aus dem Flugzeug, und Baschin ihr Licht entgegen. Und ein Unbekannter spricht zu ihnen, erbietet sich,
die „Sache“ für sie zu besorgen, gegen einen hohen Preis. Harry beobachtet den Mann hinter der Laterne, aber er sieht von ihm nichts anderes als ein Paar sehr auffallende Schuhe. Dann springt Harry nach kurzem Wortwechsel auf. sucht hinter das Geheimnis des Mannes zu kommen, wird aber von ihm überlistet. Als sie allein sind, rät er Baschin, so schnell wie möglich über die Grenze zu fliehen: vom Manne hinter der
Laterne drohe die größte Gefahr. Auf der Straße trennen sie sich, nachdem sie sich davon Überzeugt haben, daß sie soeben der Polizei entkommen sind. Baschin kann seinem Nachfolger noch verraten, daß Professor Managan, um den es sich zu handeln scheint, hier in der Stadt eine Tochter habe, eine Malerin, die bestimmt wisse, wo sich ihr Vater aufhalte, die aber ebenso darüber schweige, wie jeder andere. Dann wird Baschin, wenige Schritte von Harry entfernt, aus einem Auto erschossen, aus dem gleichen Auto, das vorhin den Mann mit der Laterne gebracht hat; und auch Harry entgeht diesem Schicksal nur durch seine Gewandtheit. Er muß Baschin sterbend liegen lassen, seine Pflicht ruft ihn, die Pflicht, die ihn hierher geführt hat Er sucht bald darauf Ruth Managan, die Tochter des Professors, in ihrem Atelier auf. Frech und zielbewußt stellt er sich als alter Bekannter aus ihrer Pariser Studienzeit vor. Sie läßt sich betören, es gelingt ihm, ihr Herz zu erobern. Von einem Tanz fort, wo Harry nur mit großer Verwegenheit einer neuerlichen Verhaftung entgangen ist, fährt er mit ihr in ihrem Wagen weg, auf die Landstraße, stets nur den Zweck seines Handelns vor Augen. Er will zu ihrem Vater. Aber erst dann hört er von ihr, wo sich der Professor aufhält, als sie erkannt hat, daß sie zu ihm gehört. Um so größer ist ihr Entsetzen, als sie kurz darauf aus dem Munde eines Kriminalbeamten erfährt, wer er ist: Harry Parker, der Spion! – Schon rast Harry in seinem Auto zur Chemischen Fabrik, wo das Laboratorium Professor Managans liegen soll. Hinter ihm die Polizei, die er aber abzuschütteln versteht. Nachdem er Oberst Saht als Agenten fremder Mächte entlarvt hat, die durch den Chef des Geheimdienstes die Formel des Giftgases an sich bringen wollen, steht Harry vor dem Professor, dem er seine Ansicht über seine Erfindung ins Gesicht schreit. Denn er, Harry Parker, ist der Abgesandte eines Weltbundes zur Bekämpfung des Giftgasgreuels. Aber noch einmal scheint ihn Salit zu überwinden. Mit fast übermenschlicher Klugheit bricht Harry aus einem Keller der Fabrik aus, in den man ihn eingeschlossen hat. Er erscheint gerade zur rechten Zeit oben im Laboratorium, um zu verhindern, daß Salit sich der einzigen vorhandenen Prolog des Giftgases bemächtigt. Da stößt der Oberst durch eine erschreckte Bewegung die Stahlflasche mit dem todbringenden Gas um, das Laboratorium ist im Nu vergast Alarmrufe gellen durch die Räume der Fabrik, jeder rettet sich wie er kann, Türen schließen sich automatisch, sperren Menschen ab, bewahren andere vor dem grauenhaften Tod. Im Laboratorium sind zwei Männer zurückgeblieben, die nicht rechtzeitig flüchten konnten: Oberst Salit, als Nächster dem verderbenbringenden Stahlzylinder unrettbar verloren, und Harry, der wenigstens noch eine Gasmaske von der Wand reißen und sich durch sie einigermaßen schützen kann. Doch auch er sinkt zusammen. Und im Kampf gegen die Macht des Sterbens träumt er, was er vorhin dem Professor vorgehalten hat: den Angriff von Flugzeuggeschwadern auf eine schutzlose Stadt, das Niedersausen von Gasbomben, den unschuldiger Menschen! Professor Managan, auf den das Auftreten Harrys entscheidend gewirkt hat und den seine Tochter durch den Vorwurf trifft, er sei an dem allen die Exhaustoren an, die das Laboratorium vom Giftgas befreien. Harry wird gerettet. Und Managan sorgt selbst dafür, daß seine Erfindung restlos vernichtet wird. Er flieht mit Ruth und dem Manne, der seinem entsetzlichen Machttraum ein Ende bereitet hat, ins Ausland, wo sie Vergessenheit von dem Erlebten suchen.
Kritik (Lotte H. Eisner, Film Kurier #043, 02/19/1932):
Als der Vorhang zum Schluß sich immer wieder öffnen muß für Harry Piel, jubelt seine große Gemeinde ihm zu. Und draußen vor dem Eingang müssen Schupos Enthusiastische im Schach halten.
Worin besteht der Zauber, den Harry Piel auf sein Publikum ausübt, der ihm in der Tonfilmzeit geblieben ist?
Da ist diesmal eine kleine Szene, so bestimmend in ihrer Art, daß sie Aufschluß geben kann: Harry ist seinen Verfolgern immer wieder durch Absprung mit dem Fallschirm, durch Autojagden und knock outs entkommen und plötzlich ist er doch eingekreist, in ein Kellerloch gestoßen. Einen Moment vergißt er nur, daß er Harry Piel ist, wie ein gewöhnlicher Mensch hämmert er verzweifelt an der verschlossenen Eisentür. Doch im nächsten Augenblick gibt er sich einen Ruck, breitbeinig steht er da, die linke Braue heraufgezogen und überlegt mit einem Lächeln im Mundwinkel. Da lacht der Zuschauer befriedigt in sich hinein im sicheren Gefühl, jetzt wird Harry es schaffen, und dann schafft er es.
Und er beißt sich heraus, nicht weil es im Film wieder das happy ending geben soll, sondern ganz einfach, weil er das optimistische Prinzip ist, jener Kerl, der sich immer wieder herumschlagen muß und der den rechten Dreh findet für sich und für den Zuschauer. Das ist tröstlich in so schlimmen Zeiten, darum gehen alle hier mit.
Das optimistische Prinzip ist, wie sollte es anders sein, zugleich auch das gute: ein Mann fällt vom Himmel, damit Giftbomben nicht vom Himmel fallen.
Das machen Piel und sein Autor Werner Scheff, der ihm wirksame Unterlage schafft, nicht mit erhobenen Zeigefinger. Eine Giftgas-Vision wird unpathetisch dazwischengeschnitten, von Ewald Daubs Kamera treffend sachlich gebracht.
In den Unterhaltungsfilm Piels kommt diesmals etwas Neues – die Spannung ist nicht um ihrer selbst willen da, es ist keine Jagd um Sensationen allein, obschon der gewiegte Kinomann Piel die Freude an dem Nervenspiel niemals verleugnet.
Wenn er die Wendung findet, jene überraschende, die immer wieder aus dem Gehetzten den Jäger macht, dann ist sie heute zielbewußt auf eine Gegenkrieg-Propaganda gerichtet. Das beweist Mut, einen Mut, der mehr bedeutet als das Ueberwinden von Filmgefahren
Und zugleich hat Piel eine wunderbare Möglichkeit: mit dem Unterhaltungsfilm, dem Film, der tausend Abenteuer, erfaßt er auch diejenigen, die nie in einem Antikriegsfilm gehen würden und denen einmal der Kriegsgreuel hinter den Fronten vor Augen geführt werden kann. Und das ist bekanntlich weit wichtiger, als das eigne Lager noch einmal zu überzeugen.
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Alle Trümpfe des Abenteuerlichen werden ausgenützt. Da sind unheimliche Gassen, von Gustav A. Knauer errichtet. Jagden auf der Landstraße, ein geheimnisvoller Mann im Dunkeln mit der Blendlaterne. Piel nutzt sie, diese Manuskriptunterlagen, er arbeitet bewußt mit stummen langanhaltenden Passagen, um die Spannung zu erhöhen.
Auch die Geräuschkulisse (Tonmeister Metain) ist wohl bedacht, ein Untermalen mit Musik wird immer wieder gern aufgenommen: als Stimmungsfolie für den Dialog paßt sie Fritz Weinneis, einfühlend und mit Geschmack, der Situation an. Und jener sparsam verteilte Dialog wird mit dem Sinn für den Nebenbeiton gehandhabt, mit jenem leisen Anflug von Humor, den Harry in Gefahr niemals verliert.
Die Liebesgeschichte bleibt nicht aus, aber sie beschwert nicht der Handlung Gang, und diese Liebende wird von Maria Solveg gespielt, natürlich, voll innerer Sauberkeit, ganz schlicht.
Neben ihr die rechten Typen für Piel: Eduard von Winterstein, Reinhold Berndt, Ferdinand von Alten, Ferdinand Hart, Dunskus, Dammann, Leonard Steckel.
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Berechtigten Erfolg wiederum hat dieser Pielfilm unter Joe Pasternarks Produktionsleitung zu verzeichnen – der Kontakt zu den Massen ist da in diesem Unterhaltungswerk, das im Hintergrund Nachdenkliches bietet.