Originaltitel: Das blaue Licht. Eine Berglegende 1932; 84 min.; Regie: Leni Riefenstahl. Darsteller: Leni Riefenstahl, Mathias Wieman, Beni Führer, Max Holzboer, Franz Maldacea; Sokal-Tobis-Klangfilm.
Eine Bergkristallhöhle, hoch oben am Monte Kristallo, leuchtet im Vollmondlicht auf. Junta, ein verwildertes Mädchen, gelangt nachtwandelnd zu ihr.
Bauernburschen aus Santa Maria stürzen ab. Die Dorfbewohner wollen das Mädchen steinigen, Ein Maler weist ihnen den Weg zur Schatzhöhle. Junta findet ihr Heiligtum geplündert, unternimmt zum ersten Mal in wachem Zustande den Abstieg und verunglückt.
Zusammenfassung
„Das blaue Licht” ist eine alte Berglegende aus den Dolomiten, Sinnbild des dumpfen, triebhaften Dranges erdverwachsener schwerblütiger Bauern zu dem Licht der Höhen, das sie zugleich abergläubisch fürchten. –
„Junta” ist das fremde Mädchen im Dorf, die verachtete Bettlerin, ein verwildertes Niemandskind, gehetzt von Männergier und Frauenhab. Ihr böser Blick ist gefürchtet wie das blaue Licht, das oben am Fels in Vollmondnächten erscheint Für die Bauern ist sie eine Hexe und schuld an dem Tod der Burschen, die vom Fels stürzen.
Denn augenblicklich steigt sie als einzige in jeder Vollmondnacht zum blauen Licht empor. –
Vigo, ein deutscher Maler, kommt in dieses idyllisch gelegene Dörflein. Er lächelt über den Aberglauben der Bauern. Aber in der Mondnacht stürzt wieder ein Bursche ab, und am Morgen wollen die Bauern die schuldige Hexe Junta steinigen. Der Maler stellt sich den Verfolgern entgegen, und Junta flieht in die Berge hinauf zu ihrem kleinen Freund, dem Hirten Guzzi. Vigo, vom Zauber der Junta gefangen, folgt ihrer Spur. –
Nun haust er mit den zwei Bergkindern oben auf der Sennhütte, immer mehr dem Mädchen verfallen, das ihn zwar in kindlich zutraulicher Dankbarkeit liebt, aber für den Mann doch unnahbar ist Etwas Fremdes, quälend Unfaßbares bleibt zwischen ihnen. Es ist nicht nur die Sprache, die der Deutsche nicht versteht – Und während unten im Dorf der Sohn des Wirts, Tonio, die Sehnsucht nach Junta zu verbannen sucht, um zu seiner Braut zurückzufinden, steigert sich oben die Spannung zum Leid.
Die zweite Vollmondnacht kommt, abergläubische Angst verbreitend. Vigos Unruhe wird unerträglich. Er hält es in der Hütte nicht mehr aus. Und als er draußen, schon selbst vom Aberglauben angesteckt auf das leuchtende blaue Licht am Monte Christallo starrt, da sieht er plötzlich Junta unheimlich hoch die unwegsame Wand entlangklettern. – Es, ist also wahr! Von Angst und Liebe getrieben, eilt er ihr nach. Mit übermenschlicher Anstrengung klettert er, der Ungeübte. Doch er sieht sie, und sie weist ihm den Weg – –
Noch einer klettert in dieser Mondnacht zum blauen Licht hinauf;
der düstere Bauernbursche Tonio. Aber er sieht Junta nicht, findet nicht den einzig gangbaren Weg und stürzt ab.. Vigo aber kommt in eine Kristallgrotte, die, vom Mondschein beleuchtet, die blauen Strahlen zurückwirft Festgebannt sieht er vor diesem Geheimnis, das – Jetzt enträtselt – nicht weniger zauberhaft ist. Und dort sitzt Junta, die Hexe. Dem blauen Licht verfallen, wie entrückt, starrt sie in das Flimmern der Kristalle. Wie aus tiefem Traum gerissen schreckt sie auf, als sie Vigo entdeckt. –
Am nächsten Tage entschließt sich Vigo, das Geheimnis des blauen Lichtes den Bauern im Dorf mitzuteilen. Es hat zuviel Opfer gefordert und ist eine Gefahr für das Dorf und für Junta. Der Kristallschatz aber könnte ein Segen sein für alle. Vigo geht hinunter ins Tal und zeigt den Bauern den Weg. Junta, Böses ahnend, wartet in dumpfer Angst auf seine Wiederkehr Große Aufregung im Dorf. Kolonnen ziehen aus, um den Schatz einzuholen. Vigo wird beim Bauernschmaus gefeiert, während Junta verstört im Morgennebel irrt und die Spuren der Bauern entdeckt. In angstvoller Ahnung klettert sie hinauf und findet die Grotte ausgeplündert, zerstört ihren Schatz, ihren Traum, ihr Glück. Niedergeschmettert taumelt sie aus der Grotte.
Vigo steigt am nächsten Morgen glückselig zu Junta hinauf, jetzt hat er Gutes getan, so meint er, und hat sich und Junta von der Armut erlöst. Da findet er das seltsame fremde Wesen abgestürzt, tot unter dem Felsen des Monte Christallo.
Kritik (-ger., Film Kurier #073, 03/26/1932):
Ein Film, zu den Unvergeßlichen zu stellen. Ein Film von Dauer.
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Am Gründonnerstag, bei der ersten Schau, war deutlich seine Wirkung zu beobachten: das Publikum war wie entrückt.
Es hatte in einer anderen Welt gelebt, ehe der Saal sich wieder erhellte. Nur langsam kehrt der Alltag zurück.
Eine mutige, ihrem Werk und ihrer Besessenheit gläubige Frau hatte den abgeblaßten Kino-Himmel eingestürzt, der Mond und die zweifelhaften Nächte geheimnisvoller Bergnatur leuchteten über uns. Leni Riefenstahl hat erreicht, was sie erstrebte: eine einmalige Film-Dichtung.
Sie hat das Wunder des deutschen naturerfühlenden Films, wie ihn der Fanck-Kreis schuf, bereichert, in ihrem künstlerischen Ziel noch zäher und ehrgeiziger als Fanck, strenger und herber noch, ohne jede Industrie-Konzession. Die größte Revolution ist auch im Film noch immer: die innere Wahrhaftigkeit einer Leistung, einer Persönlichkeit.
Hier beides in einem Film!
– und nicht laut und nachdrücklich genug gegen alle Schlagwortführer, gegen alle Fortschrittspessimisten hinauszurufen: Deutschlands größtes Kino steht dem „Studio“-Film, dem Regie-Experiment einer Frau sofort offen, der eingespielteste Verleih bietet seine, Organisation, ein seriöser Fabrikant stützte die Arbeit. Das heißt Entdecker-Freude, Hilfsbereitschaft an der richtigen Stelle.
Die Prophetin gilt etwas im Vaterlande.
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Sie „dichtet“ Film, diese Frau – sie hat das „große Gesicht“ für die Natur.
Man muß dafür begnadet sein. Sie war Malerin und Tänzerin, aber sie koloriert nichts um, sie hüpft nicht über die Berge, dabei tritt ihr Kunst-Verstand, groß genug, ihre männlichen Kollegen zu beschämen, hinter ihr fast naives Gefühl zurück; – der Berg kommt zur Prophetin.
Kulturpolitisch, national-hygienisch läßt es sich ja gar nicht abmessen, was dieses „Zurück zur Natur“ im Film, diese Verzauberung der Stadt – Kino – Menschheit zu kosmosverbundenen Wesen bedeutet. (Herr Kultusminister, hier ist die Goethe-Medaille zu vergeben.)
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Sie hat da also in den Dolomiten und im Tessin-Tal mit den Sarntaler Bauern die Legende der „Junta“ gestaltet. Eine „Fremde“ wie Rautendelein einer anderen Berg-Märchenwelt, ein Wesen, das wie die Pflanze lebt, Sonne, Mond und Sternen zugewandt, den Mit-Menschen gefährlich als die böse Fee des Zauber-Bergs, unnahbar Euren Schritten.
Eine Legendengestalt, blaue Blume, – Traumspielbild – glücklicherweise unliterarisch, unkompliziert.
Béla Bálasz und die zart mithelfende Hand Carl Mayers reinigen die tragische Geschichte der Kristalle aus der hohen Bergschlucht von allem Materialismus. Es soll kein Rest von „marxistischen“ Märchen zu spüren sein, wenn das Dorf die „Wunder“ der Kristalle zu Geld und Reichtum ummünzt – mit Hilfe eines nüchtern-gutmütigen Maler-Romantikers, der die Junta besitzen wollte. Eine Natur-Geschichte ohne Soziologie. Eine (unintellektuelle) Chronik, die zwei Reisende aufblättern. (Sie lassen dabei manche dramatische, verdeutlichende Szene aus. Der epische Stil wird kommentarlos geboten. So bleibt einiges handlungsmäßig undeutlich. Warum geniert man sich vor drei, vier erklärenden Titeln. Daß es Unsinn, epische Tonfilme ohne Titel zu geben, sollte eingesehen werden.).
Die „Geschichte“ ist kurz, schnell überschaubar wie der Programm-Text einer Sinfonie: das Ereignisvolle, Unentrinnbar-Anziehende liegt in ihrer Schau-Offenbarung.
Die Tragödie der Junta wird nämlich nicht „gespielt“ – sie vollzieht sich, wir stehen dabei, sie geschieht, sie lebt dahin, mit einer Lebensweite, wie sie selten so erfaßt ist.
Gut, wir haben in Schneefilmen allerhand traurigen Abenteuern zugeschaut. Hier erleben wir etwas dort nie Vorgezeichnetes: Tag und Nacht um uns, Mond und Morgen, rauschende Quellen, stürzende Wasserfälle. Man muß jede Sekunde dieses Films nachdichten, will man das Gefühl wiedergeben, mit dem er sich enthüllt. (Es sind nur ganz wenige Wiederholungen, die den hymnisch-schönen Schwung retardieren. Es handelt sich da um letzte Nuancen. Man kann es leicht verbessern.)
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Dabei – ernst, schwer ist der Grundcharakter des Werkes.
Der Nacht ist unser halbes Leben zugewandt, so auch in diesem Bauerndorf. „Das blaue Licht“ lockt durch die Dunkelheit und die grausigen Mondnächte, die ihre Opfer an verwegenen Bergkletterern fordern, funkeln unheimlich unwirklich.
Die Natur ist unerbittlich, unbeeinflußbar wie der Mensch. Auch grausam. Da liegt ein Toter, hier, tanzt, wer sich des Lampion-Lichtes freut. Ewige Gesetze, und solches nimmt ein Film in sich auf, ohne lehrhaft, atme langatmig, ohne schwülstig zu werden. Wir haben nur in den besten Filmen der Welt von „Nanuk“ bis Murnaus Südseefilm so mit vollen Augen im Elementaren lesen dürfen. Hochgelobte Natur-Spenderin L. R. und du gepriesener Kamera-Meister Hans Schneeberger!
Es handelt sich nicht mehr um „Photographie“.
Diese revolutionierende, nächtliche Aufnahme-Tollkühnheiten ertrotzende oder vorzaubernde „Kamera“ hat jeden technischen Beigeschmack verloren. Riefenstahl und Schneeberger „drehen“ nicht, sie scheinen über den Aether zu gebieten. Berge photographieren, Täler mit Schäflein, tief verborgene Fahrstraßen; nun schön, das lernt sich; hier aber ist das Schwarz-Weiß zu solcher Fertigkeit gesteigert. Nebelberge so nah gerückt. Häuserdächer, Brückengespann, Kirchturmfriede, daß man die Meister der graphischen Künste, die Naturmaler neuer und früher Jahrhunderte zitieren muß. Unzählbar neue Licht-Entdeckungen strahlen um Wolken, Monde, Sträucher, Bäume. „Taten und Leiden des Lichtes.“
Ganz zu schweigen von der Reproduktionskunst an den Bauerntypen selbst. Die Apostel vom Bamberger Dom, van Goes gotische Köpfe, die Radierwerke süddeutscher Meister geben das Leben im Antlitz der Bauern nicht gültiger. Alte, Junge, Zartblühende, greisenhaft Zerklüftete.
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Kein Lob für den „Regisseur“ Riefenstahl größer als die erzielte Illusion zwischen Schauspiel und Dasein. (Auch dem Architekten L. Blonder seinen Erfolgs-Anteil.)
Matthias Wiemann – der Maler aus dem Tiefland. Sympathisch gut gestimmt in diesen Morgenfeiern der Schöpfung. Sprachlich vorsichtig abbalanziert Herrlich-selbstverständlich alle Bauernspieler, Wirt, Braut, Bergsteiger, Männer, und Frauen.
Die Regisseurin ist auch ihre Hauptakteurin. Wer konnte so wie sie über die Felsen springen; dem Gesträuch verwachsen, dem Gestein vertraut Sie kitscht nicht, sie dämonisiert nicht, ihre (schwierigsten) Szenen der inneren Verzücktheit bleiben glaubhaft, man folgt der großen Sehnsucht dieser Mondgebannten wie einem Traum. (Daneben nur ein paar sprachliche Störungen.)
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Eine durchkomponierte Musik Dr. Guiseppe Becces steigert die Bild-Werte des Films, (der uns wieder Blicke zu deuten lehrt).
Becce singt zarte Volkstöne zur Arbeit aus den Tälern, über die Aecker des Tessintals. Auch er wie selten mit illustrierenden Einfällen dabei, (etwa das Posthornintermezzo!). Ein Kabinettstück der seriöse Tanz, gedämpft die wogende Freude durch den Tod eines Bauernjungen. Eine klassische Suite.
Kunstvoll sind Leitmotive ein gearbeitet, die Sprache (so knapp wie früher Titel im Film) ist melodramatisch behandelt. Vornehme, straußische moderne Musik, die sich auch für die geheimnisvolle Mondnacht-Stimmung außerordentlicher orchestraler Reizmittel bedient. (Die Musikaufnahme gehört zu den besten. Dr. Bittmann. Die unsynchrone Dialogstelle ändern!)
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Der Film, die persönlichste und doch abgerundetste Leistung seit langem, enthüllt eine neue Natur, nicht des lustigen Schneetreibens Idylle. Er führt weit weg von anderen Filmen. Trotzdem (oder gerade: aus diesem Grunde) wird er ins Kino Besucherscharen ziehen, die es seit langem mieden.
Diese finden einen Film von deutscher Art und Kunst.