Originaltitel: Hokuspokus. (Der Prozess Kitty Kellermann.) Kriminalkomödie 1930; 83 min.; Regie: Gustav Ucicky; Darsteller: Willy Fritsch, Lilian Harvey, Oscar Homolka, Gustaf Gründgens, Otto Wallburg, Ruth Albu, Margarethe Schön, Kurt Lilien, Max Ehrlich; Ufa-Klangfilm.
Eine Frau wird, auf Grund von Indizien des Gattenmordes angeklagt, freigesprochen, da ein junger Mann sich als Täter bekennt. Dieser entflieht bald darauf und entpuppt sich schließlich als der angeblich Ermordete, der um seine Bilder an den Mann zu bringen, Selbstmord vortäuschte.
Zusammenfassung
Kitty Kellermann ist eine bildhübsche Frau. Schade, daß sie ihren Gatten, den Maler Paul Kellermann, ermordet hat. Darüber besteht kein Zweifel ! Wenigstens für den Staatsanwalt nicht ! – Frau Kitty Kellermann ist seit vier Monaten in Untersuchungshaft. Seit vier Monaten leugnet sie beharrlich. So leicht läßt sie sich kein Geständnis erpressen. Alles, was sie sagen kann, ist: ihr Mann, ihr geliebter Mann, hat sich freiwillig das Leben genommen ! Bei einem Ausflug stürzte er sich aus einem Kahn ins Wasser. Der Leichnam des Unglücklichen wurde nie gefunden, der See ist tief ! Und unten soll es Schlingwerk geben ! – „Gemütsdepression, Herr Staatsanwalt“, sagt die kleine Frau, der die schwarze Trauerfarbe entzückend zu ihrem bleichen Teint steht. Und sie preist wieder ihre karminroten Lippen in beharrlichem Schweigen aufeinander. – Für den Staatsanwalt gibt es keine Zweifel. Mit unheimlicher Präzision türmt Dr. Wilke Indiz auf Indiz. Das Kartenhaus seines raffinierten Beweises steht. – Mord mit Vorsatz ! – Mord, begangen, um die Freiheit, die die Mörderin durch die Eheschließung verloren hat, wiederzugewinnen. – Zeugen marschieren auf. Vermutungen, Beweise. Fast schließt sich die Kette der Verdachtsmomente. Fast – ! – Am Abend vor dem Sensationprozeß. In der Wohnung des Staatsanwalts. Ein junger Mann steht im Zimmer, ganz plötzlich, als wäre er aus der Erde gewachsen. – Im Handumdrehen macht er dem verblüfften Staatsanwalt ein Zauberkunststück vor. Richtigen Hokuspokus. Der junge Mann zaubert nur, um dem Staatsanwalt die ganze Haltlosigkeit aller Indizienbeweise vor Augen zu führen. Eine Warnung für den Prozeßmorgen ! – Der Junge Mann ist wieder verschwunden. Der Erste Staatsanwalt lächelt. Er läßt sich nicht einschüchtern ! Er wird den Prozeß führen ! Er wird Kilty Kellermann den Mord beweisen ! Und er wird den Kopf der Kitty Kellermann fordern ! – Pardon, Madame, die Gesetze sind unerbittlich) – Kitty Kellermann steht vor ihren Richtern. Ein Berg von Verdachtsmomenten türmt sich vor ihr auf. Der Staatsanwalt zieht immer dichter die Maschen des indiziennetzes um die süße, kleine Frau. – Die Kameras der Weltreporter knipsen die schöne Frau, wie sie in ihrem Trauerkleid nach letztem Pariser Schick auf der Anklagebank sitzt. – Gleichzeitig bei einer Bilderauktion: Ein gerissener Geschäftsmann hat alle Bilder des ermordeten Malers Paul Kellermann aufgekauft. In einer öffentlichen Versteigerung überbieten sich die Elegants der Stadt. Die Bilder erreichen Höchstziffern. – Hinten, in einer Ecke, steht ein lunger Mann und lächelt. Es ist derselbe junge Mann, der gestern Abend den Staatsanwalt durch seinen Hokuspokus vor allen Indizienurteilen warnen wollte. Der Junge Mann bietet lächelnd mit, aber er kauft nicht. Immer höher klettern die Preise für die Bilder des Ermordeten. – Tief senkt sich die Waage der Justitia gegen Kitty Kellermann. Lokaltermin wird abgehalten. Am Tatort verliert die Angeklagte die Selbstbeherrschung. Der Staatsanwalt triumphiert. – Da tritt ein Umschwung ein. Ein Zeuge berichtet: Er hat zur fraglichen Stunde am Tatort einen seltsamen Jungen Mann gesehen. – Und eine Zofe gesteht, daß sie die Telefongespräche der gnädigen Frau belauscht hat. Telefongespräche mit einem fremden Mann. Was heißt das ? – Das heißt, daß die Angeklagte die Tat nicht allein begangen hat. Nein, sie hat einen Helfer gehabt, einen Geliebten ! Wo ist der Mann ? – Hier ! – Vor den Richtern steht der junge Mann von gestern wie aus der Erde gewachsen. – „Ich habe den Maler Paul Kellermann getötet !“ Kitty Kellermann ist entlastet. – Auf Antrag des Staatsanwalts wird die Angeklagte freigesprochen. Der Geliebte ist der Mörder. Er wird verhaftet. Die Angeklagte ist frei ! Sensation ! Was macht eine Frau, eine süße Frau, wenn sie freigesprochen wird ? Sie gibt ein kleines Bankett in ihrem bezaubernden Künstlerheim, zu dem der Präsident des Gerichtshofes, der Staatsanwalt und der Verteidiger geladen sind. Noch ein vierter Gast kommt – der junge Mann. – Ein kleiner Trick – und er ist aus dem Gefängnis entwischt. Vor den Augen der Gäste fallen sich Kitty und der Mörder Paul Kellermanns in die Arme. Dann serviert der junge Mann den drei Herren als Vorspeise die Lösung. Ganz einfach ! Der Maler Paul Kellermann wurde ermordet von . . . Wir sagen es nicht . . . Hokuspokus
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #163, 07/12/1930):
Ein Theaterstück, gestellt auf den Charme eines hochgesellschaftlichen Schauspieler-Ehepaares, wird, zum optisch-akustischen Werk gestaltet, ein ganz großer Erfolg.
Sparsamer Dialog, rasende Kamera, hieß es nicht immer so in den Rezepten der Filmbrei-Köche ?
Hokuspokus… man schafft es auch mit durchgesprochenem Dialog.
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Vemerklich geht die alte Spielzeit in die neue über. Der Beginn steht unter dem glückversprechenden Vorzeichen eines ersten Ufa-Films.
Es ist ein merklicher Ruck nach vorwärts: Der Sprechfilm beginnt, eigene Gesetze des Ausgleichs zwischen Bild und Ton zu finden. Gustav Uicky, der unter den Produzenten Joe May einen der tonlich besten Filme des vergangenen Jahres inszeniert, hat jetzt in der Stapenhorst-Produktion auf der gleichen Linie weitergearbeitet.
Zu ihm standen die alten Mitstreiter für den besseren Film: Herith und Röhrig, die Raum-Meister, unser Kamera-Hoffmann; der neue Experte des Tons, Dr. Goldbaum.
Karl Hartl und Walter Reisch haben nun endlich Gelegenheit gehabt, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen.
Dialoge schreiben ist keine Zauberei – und schon gar kein Monopol. Wer sich von der Schablone löst und das Empfinden für den Blick dabei behielt ist willkommen.
Ein deutsches Film-Lustspiel, unbeschwert und wahrhaft heiter, ist entstanden.
Neuland, Neuland. Denn Mut gehört dazu, den Weg zum filmischen Wortspiel zu gehen. Die Selbstbeschränkung auf vier Schauplätze – Staatsanwaltszimmer, Gerichtssaal, Maler-Atelier und Lokaltermin (nebst einer Auktionsepisode) – verlangt eine veränderte Taktik der Dialog-Verwendung.
Der Ton wird primär, das Wort ist Träger des Handlungsfortschritts. Darüber das Bildhafte, die Abwechslung im Schnitt nicht zu vernachlässigen –, darin liegt die Schwierigkeit.
Der Film, auch der gesprochene, bleibt dem Optischen verhaftet, eine selbstverständliche Forderung. Weshalb nicht auch, darüber hinaus, dem Klanglichen eine wesentlich größere Aufgabe zuweisen, als die bisherige, nur Kulisse zu sein.
(Ein Beispiel: Der Verteidiger erzählt Gerichtspräsident und Staatsanwalt von der Flucht des Mordverdächtigen aus dem Gefängnis.
Im stummen Film hätte man das – unter Sprengung der Theatergesetze – gebildert. Ein Zwang, es heute, bei der Gewinnung der Sprache für den Film, ebenso zu tun, liegt nicht vor.
Also wagen Hartl und Reisch es mit durchgesprochenem Bericht. Aber sie nuancieren dabei auch optisch; und das gibt ihnen recht.)
So bestätigt sich das ewige Dramaturgengesetz, daß dem Schaffenden bei Bühne und Film alles gestattet ist, was Wirkung erzielt.
Ein kleiner Wunsch nebenbei: Das alberne Schlagwort vom photographierten Theater dürfte nach diesem Ergebnis bewußter Verbindung von Wort, Geschehen und Optischem nur noch von solchen verwandt werden, die damit ihre eigene Kenntnislosigkeit erweisen.
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Die Anforderungen an die technischen Schöpfer sind vervielfacht. Schon das Drehbuch bedarf einer ganz anderen geistigen Durchdringung. Zumal wenn es, wie hier, ein liebenswürdiges Nichts an Vorgängen rhetorisch und bildhaft zugleich erweitern soll.
Es ist eine mühevolle Kleinarbeit zu leisten. Brüche der Ueberleistung, schon in der stummen Aera störend, vernichten jetzt jeden Effekt.
Um so mehr muß unterstrichen werden, wie fest die Einzelszene des „Hokuspokus“ in sich gefügt sind, wie – scheinbar – mühelos gedankliche Ueberblendungen ins Technische übersetzt werden.
Der Wechsel der Stimmungen, vom Gefühl zum Komischen; der Ausgleich zwischen Pointierung und Zwischendurch – das dabei nie schleppen darf. Zudem: Entspannung und Lösung, Beibehaltung der Leichigkeit… um das zu schaffen, bedarf es schon konzentrierter Vorarbeit.
Der Weg zum Lustspiel ist beschwerlich: und Krittler verwechseln gern Gelockertheit des Fazits mit leichtfertiger Zubereitung in der Autoren-Werkstatt. (Dies kein Grund, die Wahrheit nicht festzustellen.)
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Ihren besonderen Anteil an der Abrundung des Werks haben die vom Bau:
Herlib und Röhring geben die Raumstimmung. Ihre Leistung erst ermöglicht dem Sprechspieler die Auswertung des Wortes.
Die Totalen vermitteln den Gesamteindruck; aber die Sparsamkeit des Blickpunkt-Wechsels verlegt die Entscheidung ins Detail.
Schwurgesischtssaal und im Kontrast dann die Helle des Abklangs, das sind Effekte, die mit einfachen Mitteln in vorbildlich künstlerischer Form erzielt werden.
Souverän holt Carl Hoffmann seine Einstellungsmöglichkeiten heraus. Jenseits der dem Theater gezogenen Grenzen bringt er Menschen, Figuren, Gesichter an den Zuschauer heran.
Mit besonderer Liebe umschmeichelt er ein paar Köpfe der Harvey, in der Lichtgestaltung erste Klasse.
Tragfähigkeit und Modulation des Tons wird zur Selbstverständlichkeit.
Dr. Goldbaum an der Tonkamera handhabt sein Instrument dessen Nuancierungsfähigkeit Objekt-Tücken nicht zu kennen scheint.
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Freie Bahn ist da, für die Gestalter des Wortes. Ucicky, in der Führung der Sprecher am „Unsterblichen Lump“ geschult und darüber hinausgewachsen, gibt ihnen die Möglichkeit der Entwicklung. (Womit der Beweis erbracht, daß auch differenzierte Sprechfilm-Regie kein Monopol der Theaterleute ist.)
Unterschiede in der Handhabung der Konversation sind deutlich wahrnehmbar: Der an sich durchaus brauchbarer Schauspieler Oskar Homolka bleibt als Präsident langweilig und farblos.
Wie schillernd und amüsant legt Gustav Gründgens dagegen seinen Staatsanwalt an, mit sparsamer Verwendung leiser Komik. Wie hübsch das Solo nach der Ankündigung des Attentats.
Mit dem Verteidiger holt Otto Wahlburg, brabbelnd und schwabbelnd, sich einen verdienten Publikums-Applaus.
Die Filmleute stehen hinter den Kollegen vom Theater kaum zurück; sie sind dabei, den Vorsprung der Dialogbeherrschung einzuholen.
Lilian Harvey agiert sehr lieb die freudvolle Witwe Kittz Kellermann, beim Rezitieren des Gedichts von der Kameradin voll mädchenhafter Süße. Willy Fritsch nimmt, wie immer durch die ungezwungene Jungenshaftigkeit seiner Art ein.
Die anderen, eine sorgfältig ausgewählte Reihe von Episodenspuelern: Harry Halm, Max Ehrlich, Paul Blensfeldt, Erich Kestin, Ernst Behmer, Albert Karchow, Wilhelm Bendow; mit gutem Debut, Ruth Albu.
Bemerkenswert herausgearbeitete Profile: Der ewig hungrige Geschworene Julius E. Herrmanns, Margarete Schön mit dem Herzenston der kleinen Frau, der kostbare Chausseehase des Kurt Lilien.
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Was mag Curt Goetz, Initiator der reizenden Belanglosigkeit, zu dieser Umfassung eines Theaterstücks sagen, das er als Flauder-Vorwand für Valerie von Martens und sich schrieb –.
Er wird wohl amüsiert schmunzeln; am meisten über die, so den Erfolg des Films ihm zuschreiben. Denn er selbst weiß am besten, was die Filmleute aus dem optisch wenig ergiebigen Stoff gemacht haben: Ein deutsches Film-Lustspiel, ein Sprech-Bilderbuch für Verliebte. Und damit Freude und Entspannung für Millionen von Menschen.