Fairground People

Originaltitel: Die vom Rummelplatz. (Das Mickymaus-Girl.) Groteske 1930; 98 min.; Regie: Karel Lamač; Darsteller: Anny Ondra, Margarete Kupfer, Viktor Schwanneke, Sig Arno, Toni Girardi, Max Ehrlich, Julius Falkenstein; Ondra-Lamač-Tobis-Film.

Ein Pensionatsmädel kommt heim und erkennt das „Theater“ ihres Vaters als Jahrmarktsbude. Sie hilft aber dem „Kunstetablissement“ auf die Beine, erlangt samt Familie ein Varietéengagement, fällt aber beinahe einem Sänger auf eine Amerikatournee hinein. Schließlich aber bleibt sie bei ihren Eltern.

Zusammenfassung
Anny, das kleine reizvolle Geschöpfchen, bei deren Anblick man das Gefühl hat, daß in seinen Adern nicht Blut sondern Champagner rollt, soll nach zehnjähriger Trennung ihre Eltern wiedersehen. Sie war noch ein kleines Mädel, als man sie in die Stadt auf die Musikschule schickte. Sie kann sich an ihre Eltern kaum noch erinnern, aber die vielen Briefe ihres Vaters tragen immer den Firmenaufdruck: Thalia-Theater, Direktion: M. Flock, und diese wenigen Worte genügten der kleinen Phantasie von Anny. In ihrem kleinen Mädchenhirn hatte die Vorstellung Platz gegriffen, ihr Vater sei Besitzer des größten Theaters der Welt, und sie erzählt ihren Freundinnen im Eisenbahnkupee immer wieder von ihrem Vater, dem großen Künstler, von ihrer Mutter der Schauspielerin, die so schön sei, daß sie sich auf der Bühne häßlich schminken müsse, sonst würde das Publikum im Parkett verrückt. – Sie verspricht ihren Freundinnen Mimi und Lily Engagements im Theater ihres Vaters. Sie erzählt von einem prächtigen Rolls Royce, der sie am Bahnhof erwarten würde und ahnt nicht, wie das Thalia-Theater in Wirklichkeit aussieht.
THALIA-THEATER !
Hereinspaziert, meine Herrschaften ! Eintritt 30 Pfennige ! Hier sehen Sie den weltberühmten Direktor Flock ! Er trinkt ein Aquarium mit 20 lebenden Fischen aus und spuckt hinterher Feuer ! Frau Direktor Flock ist am ganzen Körper tätowiert ! Die lebende Illustrierte ! Hereinspaziert, meine Herrschaften ! Jeder Erwachsene hat ein Kind frei, jedes Kind einen Hund und jeder Hund einen Floh ! Hereinspaziert ! – Anny steht mit ihren Freundinnen vor der Schaubude. Thalia-Theater ! Sie traut ihren Augen nicht. Aber mit großen Buchstaben steht der Name Flock aut dem Schild des Komödiantenwagens. Irrtum ausgeschlossen. – Mimi und Lily biegen sich vor Lachen: „Also das ist das berühmte Theater deines Vaters ? Rummelplatz-Komödiant ist der berühmte Herr Papa ? ! In ganz Berlin muß bekannt werden, daß du eine tätowierte Mutter hast !“ – Anny ist wütend, und im Nu ist eine wüste Schlägerei im Gange, und die arme kleine Anny wird fürchterlich verprügelt. – Heulend sitzt Anny vor der Schaubude. Aber das Schlimmste hat sie noch nicht erfahren. Hannes, der Ausrufer, erzählt ihr, daß ihre Mutter an Kleptomanie leide. „Frau Direktor Flock stiehlt wie ein Rabe !“ – Jetzt wird es Anny klar, warum ihr Vater sie 10 Jahre lang vom Elternhause ferngehalten hat. – Jedes andere Mädel würde wohl nach dieser fürchterlichen Enttäuschung zusammengebrochen sein. Aber da kennt ihr unsere kleine Anny schlecht. „Meine Eltern sind Rummelplatz-Komödianten ? !“ „Ich gehöre zu meinen Eltern und bleibe bei ihnen !“ – Und sie bleibt im Komödiantenwagen, um mit ihren Eltern zu darben und zu kämpfen. – Wie es aber Anny gelingt, ihre Eltern aus Not und Armut zu retten, wie es ihr gelingt, die Varieténummer Familie Flock zur Weltberühmtheit zu verhelfen, erzählt der Film „Die vom Rummelplatz !“

Kritik (E. J., Film Kurier #192, 08/15/1930):
Ondra moi ennepe mousa . . .
Anny Ondra, A und O vieler lustiger Possen, junger, gelenker schöner Mensch – es wäre ein Verlust gewesen, Dich zu verlieren und stumm in das Massengrab der Stummfilme versinken zu sehn. —
Juchheißa Dideldummdei, god save the talkie – sie spricht ein hübsches Deutsch mit pikanter tschechischer Sauce, das erhöht noch den Charme – und die große Gemeinde unseres beliebtesten Sweethearts in Deutschland kann sich beruhigen und auf allerhand Schabernack gefaßt machen; sie hat das Sprechfilmexamen mit Glanz bestanden.
Wir haben bei uns zu Lande ein Faible für diesen „Akzent” – obs ein bissel böhmelt oder tschechelt; es ist ein hübsches Gewürz in dieser Stimmfärbung und keine nervöse Tonart stört die Sprachreinheit der Ondra.
So kann ihre große optische Begabung sich ungehindert auch im Tonfilm austoben – eine Begabung, die sich auf eine ganz un-philosophische Jugend und den ungebrochenen Willen zum Spaßmachen aufbaut.
Die Ondra ist ja eine der ganz wenigen Solistinnen, die die Leinwand entdeckt hat, sie braucht nur mit der Schulter zu wippen, einen Flunsch zu ziehen, aufzuhüpfen oder davonzurennen – so ist schon ein vollendetes Allegro da.
Gewiß hat sie Härten im Spiel, manches Herbe – aber das ist gerade ihr Jugendreiz. In der zum Ueberdruß uniformierten Magazinstarre der Darstellungsart beim Film überrascht immer wieder ein Ausdruck von ihr, eine Wendung. Sie ist eben ein Original.
Mit dieser Frau braucht man gar keinen Revue-Film zu drehen, kein Ueberdetail, kein Vielerlei, kein Durcheinander zu geben, wie es in diesem fleißig gemachten, sorgfältig überlegten, aufgeputzten Film geschehen ist. Man maß sie nur losspielen lassen, ganz allein, sie sprachliche Späße vorüber lassen, auch musikalische Scherze, um ihr stets groteskes Bereitsein auszunutzen. Alles andere ist Ballast – die Ondra macht die ganze Kiste allein.
Man muß ihr eine Rolle geben, in der sie mit Wortscherzen andere foppen kann, und wo sie durch musikalische Ereignisse überrascht, sich im Durcheinander ihrer witzigen Beweglichkeit nicht gleich zurechtfindet – so wie diesmal in einer fabelhaft angelegten Klavierszene des Films. Das ist echter Ondra, echter Tonfilm und ein ganz großer Schlager: Als nämlich wider Willen das guterzogene Töchterlein heruntergekommener Artisteneltern gezwungen wird, in einer Rummelplatzvorstellung einzuspringen – sie war gerade von ihren [illegible] verkeilt worden . . . da muß sie ganz zerrissen und zerfetzt auf dem ältesten Klavier der Welt die im Pensionat erlernte Lizstsche Rhapsodie spielen.
Unter ihrem braven Spiel geht der alte Flügel in tausend Trümmer. Chaplins Tauben flattern aus seinem Bauch, faule Aepfel, Konservenbüchsen, schließlich brechen die Füße ab, sie spielt auf der Erde, krampft sich die Klaviersaiten zu einer Harfe zusammen und spielt toternst einen wilden Kitsch, das gerührte Elternpaar tritt hinzu und begleitet mit Glöckchen und Stäben. Das ist eine tolle Nummer ! Mehr als ein Grock-Clou.
Solche Einfälle machen auch den Autoren Ehre: W. Wassermann, Hans H. Zerlett, Charlie Roelinghoff (Dialoge) und dem Carl Lamac, dem unvergleichlichen Regisseur der Ondra, dessen Erfahrungen der großen Erfolgsfilme der früheren Ondra-Aera der größte Wert dieser Produktion sind. Es gibt viele andere heitere Episoden noch, sie sind filmtechnisch von der bemühten umsichtigen Produktionsleitung F. W. Kraemer und A. Hohenberg geschmackvoll und pointiert herausgebracht. Jede einzelne Minute wirkt lebendig – wie gesagt, das Prestissimo der nächsten Ondra-Filme soll wieder ganz allein von ihr ausgehen, es lohnt sich, sie mit Mikrophon und Kamera zu verfolgen. – Den erheblichen Aufwand um die Ondra herum bestreiten I. Rotmil und Fenchels Bauten und ihre lustigen Großrequisiten – zum Beispiel die Riesenklaviertastatur am Schluß.
Bruno Arnos Ballett sorgt für hübsche Intermezzis.
Jara Benes hat unter das Ganze eine anpassungsfähige Musik gelegt – und dann das gute Ensemble. Die Kupfer und Viktor Schwannecke, ein seltsames Ehepaar – sie klaut, er ist ein Trottel – dann Siegfried Arno mit den üblichen Riesenlachern, er spricht zur Hälfte in Hamburg, mit dem andern Teil in Hochdeutschland, aber die Leute lachen. Ferner Max Ehrlich, Gerron, Rehkopf, Spira, Falkenstein und zahllose gutgewählte Episoden, namentlich aus dem Artistenmilieu. Toni Girardi als böslicher Liebhaber mit warmem Verführerseckt füllt seinen Part aus – bei der Toneinschätzung stockt man, dem anspruchsvollen Ohr genügt nicht alles – Tonleitnug: Fritz Seeger; der Ton wirkt oft zu verschleiert. (Kopie oder Aufnahme ?)
Die Bezirksverleiher haben da also den Saisonschlager, den ihre Kundschaft braucht. Sehts euch doch an, guckt doch hin, da mimt kein „Girl“, das ist keine Tänzerin, kein chaplineskes Weibsbild mit mimischem Talent: es ist ein langer Mensch, wie er selten in dieser Zeit anzuschauen, gelenk und anmutig, verdreht und unpolitisch, ein Temperament, ein Blutwirbel, ein junger frischer Mensch. Und das lohnt sich.
(Ondra moi enneye . . . )

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