Originaltitel: Abschied. (So sind die Menschen…) Reportagefilm 1930; 75 min.; Regie: Robert Siodmak; Darsteller: Brigitte Horney, Aribert Mog, Emilia Unda, Konstantin Mic, Frank Günther, Erwin Bootz, Martha Ziegler, Vladimir Sokoloff; Ufa-Klangfilm.
Berliner Vorstadtpension, Klatsch, Schmutz, Bettgeruch. Ein Agent erhält ein Angebot nach Dresden, weiß nicht, ob er mit seiner Geliebten brechen oder sie auf später vertrösten soll. Mißverständnisse lassen ihn an ihrer Untreue glauben. Er reist ab. Ein Pensionsgast will sie trösten, nimmt ihr dadurch aber die letzte Hoffnung…
Zusammenfassung
In der Pension Splendide ist alles ein bißchen bestoßen, die Möbel, der Teppich, die Tapeten und auch die Menschen! Da ist zunächst Frau Weber, die Pensionsinhaberin. Dicklich, gutmütig, aber verklatscht und nach Bedarf auch bösartig, plätschert sie in dem muffigen Milieu der Pension herum, deren Mängel sie schon längst nicht mehr sieht, und hetzt Lina, das geplagte Zimmermädchen, ein gutmütiges Trampel, den ganzen Tag umher.
Die Mieter sind: einmal der Herr Bootz, der leicht übergeschnappte junge Musiker, der den ganzen Tag Klavier spielt, Herr Neumann, der Conferencier ohne Conference und ohne Lackschuhe, Herr Bogdanoff, ein Russe mit Geld, und schließlich die Lennox-Sisters, die gar keine Schwestern sind und ihren entschwindenden Sex appeal kümmerlich genug an den Mann zu bringen suchen. Ein Zwischending zwischen Gast und Hausdiener ist Baron, der verkommene Künstler, der um Zigaretten schnorrt und glücklich ist, durch Botengänge sein bißchen Geld zu verdienen.
Auch zwei junge unverbrauchte Menschenkinder, die „Helden“ des Films, sind in dieses Milieu verschlagen worden: Peter, ein Stadtreisender und Agent für Staubsauger, und Hella, seine Freundin, eine junge Verkäuferin. Die beiden lieben sich und möchten so gern heiraten, aber das Geld fehlt eben – eine ganz gewöhnliche, unromantische Geschichte, wie das Leben sie so gern schreibt. Peter hat Aussichten, in Dresden eine bessere Stelle zu bekommen. Alle wissen es, nur Hella nicht, die er mit der guten Nachricht überraschen wollte. Aber Hella erfährt es (was erfährt man nicht in einer Pension!) und ist verstimmt und mißtrauisch. Schmollend empfängt sie den Freund und teilt ihm nun zur Strafe auch ihr Geheimnis nicht mit. Sie hat sich nämlich heimlich ein Kleid bestellt und leichtsinnigerweise auch einen Hut dazu, und nun ist ihr das Geld knapp geworden.
Frau Weber beruhigt sie und redet ihr zu, sich von Herrn Bogdanoff 10 Mark zu borgen, was sie auch tut, denn noch heute abend will sie die Sachen holen. Sie verweigert Peter jede Auskunft darüber, wo sie noch hin will. Peter wird eifersüchtig, schon Hellas Zureden zu der Stelle in Dresden hat ihn stutzig gemacht. – Er findet einen Zettel mit einer Adresse. Aha! Hella betrügt ihn! Frau Weber erzählt von Hellas Pump bei Bogdanoff. Nun ist Peter von Hellas Untreue überzeugt. In größter Eile packt er seine Sachen, um sofort abzureisen. Als er die Tür der Pension zumacht, geht Baron in Peters Zimmer, um dort Nachlese zu halten, nach Zigarettenstummeln, Knöpfen, alten Kragen oder dergl. Peters Ring, ein Geschenk Hellas, liegt neben dem Waschbecken und verschwindet prompt in Barons Westentasche.
Hella kommt zurück, strahlend glücklich, reizend im neuen Kleid und Hut. Die Stimmung schlägt um, zugunsten Hellas, die weinend zusammenbricht. Den neuen Hut reißt sie sich vom Kopf. Die Adresse, die Peter fand, war die des Hutgeschäftes gewesen.
Als Baron das Mädchen weinen sieht, holt er den Ring hervor und gibt ihn mitleidig Hella – im Auftrag von Peter, so lügt er gutmütig, nicht ahnend, daß er ihr damit nun den endgültigen Bruch Peters kund gibt!
Aber Hella weint; ihr Glück ist zerstört. Ein ganz dummer, kleiner Irrtum, das Unterlassen einer offenen Aussprache hat zwei Menschen auseinandergerissen.
Sie sind alle nicht schlecht, nur gedankenlos, oberflächlich und vom Leben ein bißchen bestoßen, wie die ganze Pension Splendid.
So wandelt sich das bißchen Glück in – Abschied, vielleicht fürs Leben, vielleicht – – – doch wer kann das wissen.
Kritik (Hans Feld, Film Kurier #201, 08/26/1930):
Robert Siodmak, der mit dem Außenseiterfilm „Menschen am Sonntag” begann, zeigt im Rahmen der Ufa-Produktion seine Romance insentimentale „Abschied”.
Der Stummfilm hat ihn bekannt gemacht; der Sprechfilm wird ihn groß machen.
★
Da ist einer, der mit Ueberlegung an die Dinge herangeht. Distanz und Kühle sind keine Mängel, zumal in einer Kunstgattung, wo eine Vielheit das Fehlen von Gehirn als Vorzug anzusehen geneigt ist.
Siodmak ist sich auf dem Wege zum Sprechfilm treu geblieben. Was er mit der optischen Schilderung großstadt – kleinbürgerlicher Sonntagsfreuden begann, setzt er in der Tongeschichte vom Abschied in der ewigen Pension wohnungsloser Mittelständler fort.
Kleinleute-Milieu zeigt er, wie es ist. Die große Anzahl derer mit dem kleinen Defekt schildert er. Normalmenschen der Großstadt.
Ein Junge und ein Mädel, die auseinandergerissen werden. Durch die Geldkalamität, durch das Elend möblierten Wohnens. Vielleicht kommen sie noch einmal zusammen. vielleicht auch nicht; darauf kommt es nicht an.
Wichtig ist ihm: Das Nebeneinander der Situationen. Im Mittelpunkt steht das Da-Sein, Menschen sind Figuranten ihres Schicksals, und die Handlung nur Folie.
Für Kritik ist im Feuilleton des Reporters kein Platz. Die Kamera bildert, der Sprechfilm-Regisseur schildert.
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Wäre Robert Siodmak Südmensch, er wäre ein Jung-Schnitzler des Films, der uns bittersüße Liebesgeschichten erzählte.
So gibt es Dialog-Antithesen, Gegeneinander der Stimmungen, das die Figuren decouvriert. Seine Geschöpfe sind Fleisch vom Fleische Frank Wedekinds.
Ein Fortschritt im Film auch das: Auf die Revolution der Tonfilmerfindung ist die Evolution der Tonfilmentwicklung gefolgt.
Es ist viel nachzuholen auf dem neuen Gebiet und die erste Forderung bleibt die nach der Wiedergewinnung aller im Stummfilm bereits verarbeiteten Gattungen der Ausdruckskunst.
Neben Drama, Operette, Posse, Schauspiel und Kriminalreißer tritt nunmehr die dramatisierte Skizze.
Das alberne Wort vom verfilmten Theater, die Gegenmine der filmisch Minderwertigen, muß auch hier unschädlich gemacht werden.
Es ist ein Vorwurf, der Wesentliches nicht trifft. Ebensowenig wie etwa des stummen Films Bildtechnik von Einstellungswechsel und Ueberblendungen sakrosankt als Formengesetz der neuen Kunstart gelten kann, vermag es die Wort-Mission der Sprechbühne.
Gerade Siodmaks „Abschied” zeigt, wie weit wir schon über das Zwischenstadium der Anlehnung an beides hinausgekommen sind. (Und es kommt, immer wieder, auf die Fortschritte an!)
Allein die Selbstbegrenzung des Raumes, der Schauplatz eines Pensionskomplexes, erinnert an die der Bühne immanente Beschränktheit des Ortes.
Aber hier experimentiert Siodmak; er schöpft alle Möglichkeiten aus; weitet somit ein bisher dem Theater vorbehaltenes Gebiet.
Hinzu tritt die organische Verwendung des Tons. Akustisches, um zu charakterisieren. Endlich wird der Ton, der bislang zumeist Filmstar war, zum Hilfsmittel.
Er dient, wie die Träger der Handlung, wie das Optische, zur Herausarbeitung eines Zeit-Bildes. Die Musik – und das macht Siodmaks Werk neben der Einheit des Opto-Akustischen zum Gegenpol René Clairs – tritt hinter den Rhythmus zurück.
Der ewige Lärm im Massenquartier gibt die Lautkulisse. Sie wird impressionistisch verwandt, um Stimmungen zu erwecken.
Aehnlich hat der Reinhardt der Groß-Zeit mit Tönen und Klangschattierungen gearbeitet. Der Film macht diesen Zauber des Atmosphärischen nun Millionen zugänglich. (Und kommt in der symbolischen Verwendung des Staubsaugers als Schicksal an das Detail des Klang-Requisits heran, wie zuvor nie das Theater.)
Fast ist es ein Pleite-Idyll. Denn die Unsentimentalität der Schilderung wird gemildert durch die heimliche Liebe zu all diesen Mühseligkeiten und Beladenheiten einer Gesellschaft-Zwischenschicht.
Solchermaßen geht Siodmak seinen eigenen Weg; er geht ihn konsequent; „… doch so geht es auch“. (Brecht)
Evolution, die der Revolution gefolgt ist.
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In solchem Stadium des Verzichts auf die Schauspielerleistung wird von den Technikern am Werke alles verlangt. Sie schaffen es.
Knaake, der eine Pension liebevollst nachschuf, mit allen innenarchitektonischen Scheußlichkeiten von des 20. Jahrhunderts Beginn. Eugen Schüfftan, der den neuen Kamera-Stil ausbaut, mit subtilster Abstufung der Lichtwirkungen.
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Am Manuskript sind neue Leute tätig gewesen. Man merkt es an der Unverbrauchtheit, an der geistigen Durchdringung.
J. von Cube und E. Preßburger, die Namen seien den Produzenten angelegentlich empfohlen; nicht zum Notieren, sondern zur Verwendung.
Es ist schon so: Der Kampf um den neuen Film kann nur im Bunde mit dem neuen Autor gewonnen werden.
Die Darsteller, wie immer bei Siodmak, Debütanten: Konstantin Mic, Emilia Unda, Erwin Bootz, Martha Ziegler.
Eine Solo-Leistung, Wladimir Sokoloff, Meister-Porträt eines Gorki-Menschen aus der Tiefe.
Von der Starrheit des stummen Films erlöst, in natürlich-sympathischer Männlichkeit: Aribert Mog.
Und für die weibliche Hauptrolle Brigitte Horney, ein Mädel von reizvoller Herbheit. Weiterentwickeln lassen!
Was diesem Siodmak-Film das eigene Gesicht gibt, die kameragetreue Wiedergabe von Lebensschicksalen, erleichtert den Darstellern, das Spiel zum Sein zu machen: Die Alltäglichkeit der Situationen.
★
Robert Siodmak wird weitergehen zur Stilisierung von Klang und Bild; man spürt es bereits in diesem Film.
Was ihn schon heute zum großen Filmschaffen prädestiniert, ist die Unbedenklichkeit des Zupackens, der Mut zum Weitergehen, über Unvollkommenheiten, momentane Unlösbarkeiten hinweg.
So macht man Filmgeschichten und – Filmgeschichte.