Hans in Every Street

Originaltitel: Hans in allen Gassen. (Das große Abenteuer.) Kriminalfilm 1930; 96 min.; Regie: Carl Froelich; Darsteller: Hans Albers, Camilla Horn, Max Adalbert, Betty Amann, Toni Tetzlaff, Gustav Dießl; Froelich-Tobis-Film.

Nachdem er sich in eine völlig fremde Frau verliebt hat, vergisst ein rasender Reporter, die Zeitung über eine sehnsüchtig erwartete Sensation zu informieren, um die Frau wie gewünscht über die Grenze zu bringen. Er wird von ihr in jeder Hinsicht überlistet, und sie überredet ihn, das Sonderflugzeug der Zeitung zu benutzen, um zu fliehen, erscheint wieder bei ihm, und sie fliehen gemeinsam vor der Polizei. Schließlich entpuppt sie sich aber als die gesuchte Mörderin.

Zusammenfassung
Auf seiner unermüdlichen Jagd durch die Zeit macht der rasende Reporter Hans Steindecker eines Tages halt vor einer halbgeöffneten Hotelzimmertür, aus der ein leises Weinen dringt. Dies wird sein Verhängnis. Die Tür führt in das Zimmer der ebenso rührenden wie aparten Frau Nelly. Hans vergißt über der neuen Bekanntschaft seine Pflichten als Sonderberichterstatter der M. Z., er vergißt die Eltern daheim in Berlin, die mit Sehnsucht Nachricht von ihrem Jungen erwarten, vergißt seine geliebte Sekretärin, die blonde Elisabeth Schüddekopp, die bei der Zeitung vergeblich auf seinen Anruf harrt, er vergißt sogar die wichtige Entdeckung, die er eben gemacht hat, und deren journalistische Auswirkung ihm eine glänzende Zukunft verspricht. Die schöne Unbekannte bittet, er möge sie mit seinem Auto über die Grenze bringen. Unbedenklich sagt er zu. Von Genf ist es ja nur ein Katzensprung zur Grenze, aber wegen der sensationellen Mordtat, die sich an diesem Vormittag vor dem Portal des Völkerbund-Palais zugetragen hat und deren Augenzeuge er selber war, ist die Grenze streng bewacht. Nelly gesteht in tödlicher Verlegenheit, daß sie keinen Paß besitzt. Hans Steindecker wird das einmal gegebene Wort halten. Wild fährt er sie mit seinem Auto durch die Schweiz, versucht den Grenzübergang im Norden, im Süden, im Westen, nirgends will es gelingen. Durch seine tollen Kreuz- und Querfahrten macht er sich mehr und mehr verdächtig. Nur mit Mühe entgeht das Paar den Verfolgern. Da zeigt sich in höchster Not die Rettung. In den Lüften erscheint das M. Z.-Flugzeug, das den Transport der „Mittags-Zeitung“ nach dem Süden vollzieht. Sein Kollege Elfenstock, der die Aufgabe hat, den vermißten Reporter zu suchen und seine journalistische Mission zu übernehmen, befindet sich als Passagier im Flugzeug. Wie Steindecker wird auch Elfenstock ein Opfer der verführerischen Bitten der schönen Nelly. Er überläßt ihr seinen Platz im Flugzeug. Zu spät kommt er auf den Gedanken, die schöne Unbekannte könne mit dem aufsehenerregenden Mord in Verbindung stehen, ja vielleicht selbst die Mörderin sein. Durch ein dringendes Telegramm teilt er der Sekretärin Schüddekopp seinen Verdacht mit. Diese nimmt Nelly bei ihrer Landung auf dem Flugplatz in Berlin in Empfang und bringt sie zu den Eltern ihres Verlobten, um sie dort bis zu dessen Rückkehr festzuhalten. Wie vorher die beiden Journalisten überlistet Nelly jetzt den Vater Steindecker. Als Hans bei seinen Eltern eintrifft, ist Nelly wieder geflüchtet. Die Suche nach der Entschwundenen, an der sich auch die Berliner Polizei beteiligt, bleibt ergebnislos. Todmüde kommt Hans nachts in seine Junggesellenwohnung und findet dort Nelly, die den Erstaunten zu versöhnen sucht. Von dem Zauber ihres Wesens wieder überwältigt, verspricht Hans ihr zu helfen. Doch die Polizei ist ihr schon auf den Fersen. – Nelly muß fliehen. Um sein stark erschüttertes journalistisches Ansehen wiederherzustellen, stürzt sich Hans mit doppeltem Eifer in seine journalistische Arbeit. Plötzlich taucht eine neue Spur des Mörders auf und bestätigt Steindeckers Verdacht auf einen gewissen Soranzo, der seinen Weg schon mehrmals unter eigentümlichen Umständen gekreuzt hat. In Soranzos Villa in Nizza findet Hans den Gesuchten. An seiner Seite Nelly, die Gattin Soranzos. Durch seine Zeitungsnachrichten hat Hans die Polizei auf die richtige Fährte gebracht. Die Villa ist umstellt. Entsetzt erfährt Hans, daß Nelly aus Eifersucht und gekränktem Ehrgeiz den Mord an dem Genfer Delegierten begangen hat. Um die Verfolger auf falsche Fährte zu lenken, besteigen die beiden Männer Soranzos Motorboot. Polizeiboote, die die Verfolgung aufnehmen, eröffnen das Feuer auf die Fliehenden. Da bekennt Nelly den sie umringenden Polizisten, daß sie die Mörderin ist. Zwischen den Männern im Boot entspinnt sich ein Kampf. In rasender Wut sucht Soranzo den Zerstörer seines Glücks mit sich in den Untergang zu reißen. – Alle Zeitungen des In- und Auslandes sind voll von den tollsten Gerüchten über das aufsehenerregende Ereignis. „Hans Steindecker ermordet?” „Hans Steindecker verunglückt?” „Hans Steindecker der Mörder von Genf?” Keine Mutmaßung trifft zu. Wie das tolle Abenteuer des rasenden Reporters in Wirklichkeit ausging, zeigt unser Film.

Kritik (F. J., Film Kurier #303, 12/24/1930):
Mächtig aufgestockt steht da nun am ragout fin des Tonfilm-Jahres Hans Albers, der Greifer des Allgenblickstriumphes – –. (Der Schritt auf den Ueber-Albers, den Ueber-Alles-Albers ist ein sanfter Tonfilm-Rückschritt, lieber Carl Froelich.)
Richtig gerechnet, wenn dieser Film große, große Kasse macht (was diesem seriösen, deutschen Fabrikationsunternehmen wie keinem zu wünschen), dann geht alles in Ordnung: man macht einen Punkt hinter die Kritik. So blas ich meine Lieb’ in die vier Winde, man murmelt dabei etwas von Stargagenhöhe, überlegt im Stil dieser Filmdialoge, „aus welchem Kohlenkasten isn det Manuskript jezogen?“ – empfiehlt noch dem Arkitekten Schroedter ein kaltes Stirntuch (gelegentlich), wenn seine unbestrittene Bauphantasie allzu wilden Spargel schießt …. und der erstaunte Leser wird meinen, der Schreiber dieses sei etwas durcheinander. Er will damit nur objektiv, getreu abspiegeln, wie auch dieser Film – etwas durcheinander.

Um ihn richtig zu stellen:
Er ist als ein unterhaltendes Feinkunstwerk mit dem groben Natur-Star, dem Allerweltskerl, dem Bauchappeal der Leinwand gedacht.
Froelich strebt nach Stil; bewegte Reportage für den (unklaren) Reporterfilm.
Bild und Ton drängt sich, Eindruck-Stückchen folgt auf Motivteilchen. Naturpassagen, voll spannender Schönheitsmomente, Autofahrten durch die Schweiz, aufklärendes Regenwetter bei Lausanne, Alpenlandschaft, – dagegengestellt Zeitungsbetrieb, Setzerei und Redaktion, Telephonate und Umbruch. Mit Liebschaften, Berufssorgen und Familienszenen. Milieu-Dichter: F. Schroedter. (S. o.)
Handlungsanlaß: Ein Mord vor dem Völkerbundspalais in Genf; man hat den Eindruck, als ob 20 Sachverständige des Auswärtigen Amtes dem Autoren Dr. Rudolf Frank mehrere Seiten aus dem Manuskript gerissen haben. Offenbar gerade die wichtigsten. Infolgedessen sieht man eine Unmenge reizvollster Details, doch man kapiert nicht viel. Wieder hat Froelich ein blendendes Gerüst gestellt, aber ein Mangel an dramatischer Ballungskraft – auch wenn sie noch so parodistisch sein will – wird immer evidenter. (Ludwig-Wolff-Romane waren freilich oft Verfilmungsklippen.)
Reporter sind mysteriös, Morde nicht minder. Kriminalbeamte, Verlagsdirektoren, schöne Frauen und ein entlarvter Nicht-Mörder aus Nizza – – möge sicht zurechtfinden, wer will. Zum Schluß, zum Schluß wird doch geheiratet.
Improvisation, Drauflosspiellust muß herrschen, wenn Albers Sterne strahlen. So instrumentiert Froelich eine riesige Albers-Parade.
Mit song fang an, mit song hör auf – eine gute Idee, noch nicht ganz geglückte Ausführung, was wirkt schwächer, Text, Musik, Vortrag? Albers wie ein gespreizter Provinzlöwe gerade beim Prolog und Epilog!
Desto wirkungsvoller, wenn er „er“ sein kann.
Da treffen alle den Natur-Ton; und Autor (mit ganz lässig-selbstverständlichem Dialoghingleiten), Regie und Darsteller heimsen größte Lacher ein. Wenn Albers etwas hinmuschelt oder frech wird. Der stets „bereite“ Mann; froh über die leiseste Zweideutigkeit; mit einem skrupellosen Charme, der das Publikum in angenehmes Entsetzen vor so ungeniertem Freimut in allen Lebens- und Liebenslagen bringt.
Albers hat ein paar aggressive Monologe; ganz egal, ob mit dem Adlon-Boy oder der Geliebten, mit dem verdrehten Pappi oder – – mit dem Kollegen Paul Heidemann. Der Film hat dann nicht nur Schauspieler-, Atmosphäre, sondern Lebens-Gegenwart. Humbug, aber lustig, locker durchgeführt. Der Ringkampf der Kameraden in der Badewanne, die Schlafcoupészene – oder die Ohrfeigenepisode im Elternhaus; auf individuelle Art gebotene Komödien-Höhepunkte.
Als Plus dabei zu buchen, die Pointierung im Schnitt, der sich mit pointiertem Stichwort Szene und Szenenwechsel zuwirft, oft klappt’s. Nur noch geistige Führung in die Szenen-Montage!
Froelich hat zwei Partner von Albers vollendet gebracht; eben Paul Heidemann, der noch nie so gut im Film herauskam, und Max Adalbert, für dessen Extemporeliebe der Tonfilm eine gesegnete Erfindung ist.
Der Rest: Rahmen, gute Füllung, ob Musikuntermalung (Hanson Milde-Meißner) und Flugzeuglärm oder Star. Die zwei Damen des Films: Camilla Horn, Redaktionskönigin, sehr hübsch anzuschauen, und Betty Amann, mit sympathischen Akzenten des Aussehens und der Sprache. Beide (wie so oft bei den weiblichen Rollen unserer Tonfilm-Stars zu bemerken) unter offensichtlicher Atelier-Unbeholfenheit leidend. (Denn aller Dilettantismus rächt sich auf Erden.)
Gute Ergänzungen des Ensembles: Gustav Diessl, Toni Tetzlaff, Hermann Boettcher, Heinz Jarnow, Colette Jell.
Kamera: Franz Planer. Viel positive Reize neben geringen Schwächen. Großaufnahmen zu meist ganz stilwidriger Tönung. Ton: in der Wirkung (mit den üblichen Tobis-Premierenpech) nicht immer gleichwertig. Verstärkerpfiff, – Copie-Ungleichheiten neben offenbaren Aufnahmeschwankungen; Joseph Masolle und Carlo Paganini. Auch der Senior der Tonkunst darf nicht beim Basteln stehen bleiben.
Ein Wort noch. Froelich kann so viel, so viel. Hat wie kaum einer Sinn für das Schwebende, Innerliche im begrenzten Raum einer Szene.
Er hört wie kaum ein anderer ins Natürliche. Das neue Jahr schenke ihm den Autor. Sobald Froelich als Star – einen Autor gewinnt, wird er nicht zu schlagen sein.

Der Liebesreporter Albers hatte in der Uraufführung leichten Sieg. Viel Beifall und Vorhänge.

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